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Full House in Oirschot

Die Zeiten, in denen sich Groove-Chef Ron Boots Sorgen um die Besucherzahlen seiner Events in Oirschot machen musste, sind schon länger vorbei.  Ein gute Mischung aus Neulingen, populären und eher anspruchsvollen Acts sowie einem 'Zugpferd', das den Saal füllt, sorgte in den letzten beiden Jahren immer für gute Besucherzahlen.  Diesen Herbst setzte Ron aber noch einen drauf: Loom als Haupt-Act sorgte dafür, dass bereits ein Wochenende nach der Ankündigung über 150 Karten verkauft waren, und vier Wochen vor dem 29. Oktober ging das letzte Ticket über den (virtuellen) Ladentisch.

Loom hatte vor fünf Jahren ebenfalls in Oirschot ihre Bühnen-Premiere, und auch heute noch ist die Band, die zu zwei Dritteln aus Ex-Mitgliedern von Tangerine Dream besteht, ein absoluter Besuchermagnet - selbst von der anderen Seite des Atlantiks waren einige Besucher angereist.  

Auch wenn einige nur wegen Loom nach Oirschot gekommen waren und erst zu deren Konzert in "De Enck" auftauchten, war das Foyer mit dem Cafe schon um 13 Uhr richtig gut gefüllt.  Bei kaum einem anderen Event sieht man einen so großen Teil der 'EM-Familie' an einem Ort vereint, sowohl Fans als auch Musiker.  Gleiches gilt für EM-Labels und deren CD-Stände, bis auf MellowJet Records waren dieses Mal alle da.  Neben Labels hatten auch einzelne Musiker wieder ihre eigenen Stände, zum Beispiel Remy oder Torsten Abel, der als Hingucker noch ein 'Schätzchen' aus seiner Synthie-Sammlung mitgebracht hatte.  Stefan Erbe nutzte seinen Stand neben dem CD-Verkauf auch wieder als Interview-Ecke, die Interviews werden nach und nach auf dem EMpulsiv-Channel auf Youtube erscheinen.

Neben den Konzerten auf der Hauptbühne gibt es in Oirschot in den Pausen auch immer kleine Auftritte in intimerem Rahmen im ersten Stock; dort haben Neulinge und auch Etablierte die Möglichkeit, in privaterem Rahmen Dinge auszuprobieren.  In der Zeit vor dem ersten Konzert konnte man dort Modulab bei der Arbeit zuschauen.  Der Name ist hier offensichtlich Programm: ein großer Tisch, voll gestellt mit modularen Synthesizern verschiedenster Herkunft, darunter auch einige Selbstbau-Geräte, an denen dann gebastelt und gedreht wurde.  Fertige Musik war das weniger, eher eine Art Klangwerkstatt, der man bei der Arbeit zuschauen konnte.  Freunde modularer Synthies werden an diesem Workshop aber sicher ihren Spaß gehabt haben.

Kurz nach 14 Uhr öffneten sich dann aber die Türen des großen Saals für den ersten Act: Cosmic Ground.  Ron erzählte, dass als er das erste Mal etwas von diesem Duo hörte, er das zuerst für ein ihm bisher unbekanntes TD-Bootleg aus den 70er-Jahren hielt. Aber nein, es ist ein Duo aus der Gegenwart, das für ihn die Essenz der TD-Musik dieser Jahre eingefangen hat.

Und ja, so klingt die Musik auch, die Sequenzen aus dem modularen Synthesizern sind so, als hätten Froese, Franke und Baumann anno 1975 noch ein Rubycon Teil 3 und 4 produziert.  Dazwischen ein etwas ambieteres Stück, unterstrichen auch durch den grünen statt roten Farbton, in den die komplette Bühne getaucht ist.  Eine gute Stunde laufen die Sequenzer auf Hochtouren, dann spendet das Publikum brausenden Applaus für diese Zeitreise in die 70er.  Die geforderte Zugabe wird natürlich gewährt, wir lassen die Sequencer einfach noch etwas weiter laufen, dieses Mal aber mit einigen schönen Improvisationen.  Etwas mehr Variation hätte ich mir auch vorher gewünscht, auf Dauer wird auch die schönste Sequenz langweilig.  Ansonsten aber ein prima Einstieg in den Tag.

... der mit VoLt noch besser werden sollte.  Sequenzen können Michael Shipway und Steve Smith genauso gut, aber dabei bleibt es nicht.  Sie kombinieren das mit warmen Melodien, schönen Rhythmen und auch mal mit der E-Gitarre.  So werden auch lange Titel niemals langweilig.  Für ihren Auftritt in Oirschot hatten die beiden sich noch die eine oder andere Überraschung einfallen lassen: die Videos zum zweiten Titel liefen in 3D.  Wer sich noch an die 3D-Versuchsausstrahlungen im Fernsehen in den 80er-Jahren erinnern konnte, dem kamen die am Eingang verteilten Brillen mit rotem und grünen Fenster sicher bekannt vor.  Im Gegensatz zu den Polfilterbrillen, die heute bei 3D-Kinofilmen verwendet werden, bekommt man damit nur ein schwarzweißes 3D-Bild, aber auch damit lassen sich schon nette 3D-Effekte zeigen, die den dynamischen Charakter von VoLts Musik unterstreichen.

Zum letzten Titel griffen beide zur Gitarre und zum E-Bass.  Steve Smith erzählte in der Einleitung, damit würden sie zu ihren musikalischen Wurzeln zurückkehren, zu der Zeit, als sie sich vor 20 Jahren zum ersten Mal trafen und VoLt gründeten.  Der einzige Unterschied: Michael könne heute nur noch im Sitzen Gitarre spielen. Ganz ernst gemeint war das dann aber auch wieder nicht, denn mittendrin stand Michael dann doch auf - vielleicht macht die richtige Musik aber auch Lahme wieder gehend.

Die zweite echte Überraschung war dann aber die Zugabe.  Michael versucht, die Melodie anzuspielen, aber es will ihm nicht so recht gelingen.  Es klingt alles ziemlich schräg und so daneben, dass es eine Person in der ersten Reihe nicht mehr auf ihrem Sitz hält. Und diese Person ist ... John Dyson, der sich ans Keyboard stellt und mal zeigt, wie man 'Time Node' von Wavestar richtig spielt. Die nächsten zehn Minuten haben dann drei Herren soviel Spaß auf der Bühne, wie man ihn nur haben kann - auch für die Zuhörer purer Spaß und ein perfekter Schlusspunkt für den bisherigen Höhepunkt des Tages.

Nach dem zweiten Konzert bot die längere Pause Gelegenheit, einen Abstecher in die Stadt zu machen, zum Beispiel für ein Abendessen. Wie immer konnte man auch im Foyer mit holländischen Snacks wie Frikandeln und Fritten seinen Hunger stillen, wenn man aber etwas 'handfesteres' haben möchte, bietet eine nur 5 Laufminuten entfernte Pizzeria dazu Gelegenheit.  Eine vorherige Tischreservierung wird aber dringend angeraten, in der großen Pause ist diese Pizzeria immer voll mit Besuchern von E-Day oder E-Live.  Sehr praktisch ist auch die Möglichkeit, neben dem Platz gleich die Speise vorzubestellen, dann passt der Restaurant-Ausflug bequem in die große Pause.

Dem Abendessen in der Pizzeria fiel bei mir leider der Besuch von Betzlers und Brückners Konzert im ersten Stock zum Opfer, was schon etwas schade war, denn die Mitschnitte der Proben, die Michael Brückner auf seiner Mixcloud-Seite hochgeladen hatte, klangen durchaus vielversprechend.  Vielleicht sieht man sie in Oirschot demnächst auf der großen Bühne, es wäre nicht das erste Mal, dass der kleine Raum im ersten Stock das Sprungbrett für einen Auftritt im großen Saal ist.

Das Abendessen war wie gesagt dank Vorbestellung zügig 'erledigt', und das war auch gut so, als wir eine halbe Stunde vor Einlass für den ersten Teil des Loom-Konzerts zurück kamen, hatte sich schon eine Schlange Wartender vor dem Eingang gebildet.  Mit leichter Verspätung öffnete sich dann die Tür und Ron's Security-Leute (dieses Mal mit T-Shirt und Mütze gekennzeichnet) waren gut beschäftigt, die Massen möglichst zügig auf die Sitzplätze zu dirigieren, denn jetzt war der Saal wirklich bis auf den letzten Platz besetzt.

In seiner Einführung kam Ron natürlich auf Looms Bühnenpremiere in Oirschot vor fünf Jahren zu sprechen.  Offensichtlich hat sich auch bei ihn Johannes' Piano-Solo direkt zu Beginn tief eingeprägt - er meinte, nach diesem Einstieg hätte er auch nach Hause gehen können, er wusste, es wird alles gut.

Ein großer Konzertflügel stand auch dieses Mal in der Mitte der Bühne, der blieb an diesem Abend aber im ersten Teil des Konzerts Dekoration.  Ich hatte mir schon vor einiger Zeit Looms CD 'Years in Music' gekauft (ein Mitschnitt des Berlin-Konzerts vom Frühjahr) und konnte schon nach den ersten Titeln erahnen, dass Jerome Froese, Robert Waters und Johannes Schmoelling deren Playlist für den Rest des Abends folgen würden.  So gesehen war es für mich ein Auftritt mit wenigen Überraschungen, nicht so spontan wie der von VoLt, aber nichtsdestotrotz qualitativ hochwertig und professionell gemacht.  Im Gegensatz zum Berliner Konzert hielt dieses Mal statt Johannes Jerome eine längere Rede nach dem dritten Titel.  Er hob dabei besonders hervor, dass 'Logos' als nächster Titel für ihn etwas ganz besonderes wäre, stammte er doch aus einer Zeit, als er als kleiner Junge immer im Tour-Bus 'mitgeschleppt' wurde.

Erfreulicherweise ist Loom aber nicht mehr nur die 'TD-Revival-Band', als die sie viele zu Anfang wahrgenommen hatten.  Die erste Konzerthälfte enthielt auch aus diverse Eigenkompositionen, z.B. 'Metamorphosis', das aus der Feder von Robert Waters stammt und auf seiner aktuellen Solo-CD 'Time Ahead Time' zu finden ist.

Nach einer guten Stunde war die erste Hälfte zu Ende, während der Pause durfte man aber auch im Saal bleiben.  Das haben viele (mich eingeschlossen) auch getan, einen einmal ergatterten guten Platz möchte man ja nicht verlieren.

Der zweite Teil war dann deutlich 'TD-lastiger', und sein Höhepunkt war erreicht, als Johannes sich dann endlich an den Flügel setzte. Passend zu 'Palace of Dreams', das ja auch Teil des TD-Konzerts im Palast der Republik war, liefen dazu Bilder von diesem Konzert.  

Mit 'Time & Tide' und Standing Ovations endete der zweite Teil des Konzerts, aber ohne die eine oder andere Zugabe kam Loom natürlich nicht von der Bühne.  Und bei der Zugabe gelang es der Dreien dann doch noch, mich zu überraschen: Als letzte Zugabe nicht 'Choronzon' wie anno 2011 und auf 'Years In Music', sondern dieses Mal 'Midnight in Thula'.

Mein Fazit dieses Tages habe ich eigentlich schon in der Überschrift gegeben - volles Haus und volles Programm.  Man darf gespannt sein, wen Ron Boots im Frühjahr 2017 zum E-Day auf die Bühne bringen wird - dieses Event und auch die zwei davor legen die Latte ziemlich hoch. Noch ist vom Lineup für den E-Day 2017 nichts bekannt.  Wohl bekannt ist aber, wer am 14. Januar in Oirschot spielen wird - kommendes Jahr wird es nämlich wieder ein 'Neujahrs-Event' geben.  Neben Stephan Whitlan aus England ist dafür Picture Palace music als Haupt-Act angekündigt.  Für Thorsten Quaeschning und seine Truppe wird das ihr drittes Gastspiel in Oirschot sein, und bei den ersten beiden haben sie sich als Zugpferd erwiesen.  Schauen wir einmal, ob das auch dieses Mal klappt.

Alfred Arnold

Über Empulsiv

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