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Dreiecks-Fahrt: E-Day und Sound of Sky

Die Sache muss ihren Anfang im letzten Herbst in Oirschot genommen haben, als Ron Boots auf E-Live-Event den Termin für den E-Day 2017 ankündigte.  Am 29. April - da war doch irgend etwas? Ja, richtig, Baltes und Erbe im Planetarium Bochum.  Da hatte ich den Salat.  Terminüberschneidungen an sich sind zwar nichts ungewöhnliches, aber dieses Mal waren es zwei Events, deren Verzicht wirklich 'weh getan' hätte.  Also wie sollte man sich entscheiden?

Vielleicht für beides?  Von Oirschot bis Bochum sind es mit dem Auto keine anderthalb Stunden, und im Planetarium sollte es erst um 21 Uhr losgehen.  Zumindest für einen 'halben' E-Day in Oirschot sollte es also reichen.  Die meisten, denen ich von dem Plan erzählte, an gleichen Tag zuerst nach Oirschot und dann nach Bochum fahren zu wollen, erklärten mich erwartungsgemäß für verrückt, was ich dann einmal im positiven Sinne von 'verrückt auf Musik' interpretierte.

So machen mein Freund und ich uns am Samstag Mittag erstmal auf den Weg nach Oirschot.  Von winterlicher Kälte im wie im Januar und 'ergiebigen Regenfällen', wie der Wetterbericht sagen würde, bleiben wir dieses Mal verschont.

Eine erste Überraschung erwartet uns an der Anmeldung.  Dort gibt es gegen Vorlage der Ticket-Reservierung nicht nur das obligatorische Armband, das dieses Mal rot ist, es liegt auch eine große Menge an Heften des KLEM-Vereins aus.  Der besteht ja leider schon lange nicht mehr, aber offensichtlich hat jemand hier seine Sammlung aufgelöst - ich finde keine Ausgabe in der Auslage doppelt.  Ein paar Hefte nehme ich mit, es wird auch Spaß machen, einmal in der 'Historie' der elektronischen Musik zu stöbern und nachzulesen, was vor einem Viertel-Jahrhundert gerade neu veröffentlicht wurde und aktuell war.

Wie voll es dieses Mal ist? Nicht ganz voll, aber immer noch sehr respektabel, wegen der Terminüberschneidung hatte ich Schlimmeres befürchtet.  Es gibt wohl auch viele Fans, die so oder so nur zu dem einen Event hin gefahren wären, weil das andere ihnen zu weit weg ist - ein Event in Holland hat schon ein etwas anders Einzugsgebiet als eines im Ruhrgebiet.  Ron wird später melden, dass gut 200 Besucher gezählt wurden, 'De Enck' war also gut zu zwei Dritteln gefüllt - mehr als genug, dass der diesjährige E-Day kein Verlustgeschäft war.

Nach der Anmeldung führt der Weg in Oirschot wie immer durchs Foyer und das Cafe 'Die Möwe', vorbei an den CD-Ständen diverser Labels.  Alles neu macht der (kommende) Mai: Ich hatte mir vorher schon eine 'Einkaufsliste' diverser Neuerscheinungen gemacht, aber das Ergebnis eines ersten Abgehens ist dann noch größer als geplant.  Fast ein Dutzend neuer CDs sind im Rucksack und das Portemonaie ist um einen dreistelligen Betrag erleichtert.  So haben zum Beispiel Axel Stupplich und Andreas Morsch nicht nur zusammen mit Max Schiefele ein neues Pyramaxx-Album vorgelegt, auch von Pyramid Peak 'alleine' findet man am Manikin-Stand eine Neuerscheinung.  Mit dem neuen Album "Roots" kehren Axel und Andreas zu ihren musikalischen Wurzeln zurück und feiern 30 Jahre Zusammenarbeit.

Kurz nach 14 Uhr öffnen sich die Türen des großen Saals zum ersten Konzert des Tages.  Wie erwähnt, füllt sich der Saal dieses Mal nicht ganz bis zum letzten Platz, was dazu führt, dass man dieses Mal Taschen und Jacken mit in den Saal nehmen darf. Nicht ganz voller Saal, aber volles Programm auf der Bühne: Ron hat für diesen E-Day erstmalig Bernd 'moonbooter' Scholl nach Oirschot geholt, und ihn als Opener zu plazieren, ist nicht ungeschickt: Mit ihrem tanzbaren, bisweilen in Richtung Synthie-Pop gehenden Stil ist Bernds Musik geeignet, das Publikum für den Rest des Tages anzuheizen.  Und genau so legt Bernd auch los, mit den dazu passenden bunten und dynamischen Animationen. Aber es gibt nicht nur 'Volldampf' - mit einigen Titeln seiner aktuellen CD 'Schwarzmond' demonstriert er, dass er auch anders kann.  Es wird ein mitreißender Auftritt, der auch dem Musiker auf der Bühne das Letzte abverlangt - Bernd braucht mittendrin ein Handtuch, um sich dem Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Dass er nicht ohne Zugabe aus dem Saal gelassen wird, versteht sich von selber: als Extra spielt er ein ganz altes Stück, von seinem allerersten Live-Auftritt vor vielen Jahren.

Jetzt sind aber vielleicht doch nicht alle Zuschauer im Saal Fans der poppig-tanzbaren Spielart der EM und bevorzugen sanftere und sphärische Klänge.  Ron wäre nicht Ron, würde er nicht auch denen das passende Kontrastprogramm anbieten.  Das findet man direkt im Anschluss im ersten Stock im 'kleinen Saal'.  Den bespielt heute Jez Creek aus England.  Das tut er mit 'kleinem Besteck,' wie manche dazu sagen würden - alle Geräte passen auf ein Tischchen, kein großer modularer Synthesizer.  Aber auch aus kleinen Gerätchen können bekanntlich große Klänge kommen, in diesem Fall der sphärischen, spacigen Art.  Leider ist die Pause bis zum nächsten Konzert zu kurz, um darin wirklich eintauchen zu können.

Als zweiter Act steht Arcane auf dem Programm.  Hinter Arcane steht Paul Lawler aus England, auch er hat mit 'Moon' heute eine Neuerscheinung mitgebracht.  Live sehe ich ihn heute zum ersten Mal, seine Musik kenne ich bisher nur von diversen CDs, und deren Stil kann man durchaus als 'variabel' bezeichnen: die Spannbreite reicht von rhythmisch-melodischen Alben bis zu CDs wie der 'Automaton', die dem Hörer schon zu etwas mehr Konzentration abfordern.  Insofern war es spannend zu sehen, von welcher Seite Paul Lawler sich heute zeigen wird.  Großen Aufwand um sich selber macht er jedenfalls nicht: nach der Vorstellung durch Ron geht er einfach zu seinen Geräten und legt los.

Dieses Konzert ist einer der wenigen Fälle in Oirschot, wo ich mich vielleicht besser ein paar Reihen weiter nach hinten gesetzt hätte - von einer der vorderen Reihen aus gesehen verschwindet er fast hinter seinen Keyboards.  Was er spielt?  Ein langes, durchgehendes Stück im Stil der Berliner Schule, aber ohne die Gleichförmigkeit, die dabei bisweilen nach ein paar Minuten einsetzt.  Dabei behalten die Klänge immer einen warmen, melodischen und vollen Charakter - man kann wunderbar darin versinken und merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht.  Genauso schlicht und ohne große Worte, wie Paul auf die Bühne gekommen ist, so geht er auch wieder, aber nicht ohne noch ein paar Minuten Zugabe abgeliefert zu haben.

Nach diesem zweiten Konzert endet unser Frühjahrs-Besuch in Oirschot - leider, denn besonders das folgende Konzert von Pyramaxx hätte mich doch sehr interessiert.  So bleibt es bei der neuen Pyramaxx-CD im Rucksack, und das sonst übliche Pizzaessen in der großen Pause zwischen dem zweiten und dritten Konzert fällt diese Mal auch aus.  Stattdessen gibt es auf den 130 Kilometern zwischen Oirschot und Bochum Kekse und sonstigen mitgebrachten Proviant, ergänzt um Käse und Fleischbällchen aus dem holländischen Supermarkt.  Wir haben Glück und die Autobahn ist frei, keine anderthalb Stunden später sind wir in Bochum am Planetarium, und es ist noch eine gute Stunde Zeit, bis die Vorstellung beginnt.

Heute Abend steht bei "Sound of Sky" die 'offizielle' Premiere des neuen Baltes & Erbe-Albums auf dem Programm.  Im Prinzip konnte man seiner Live-Aufnahme schon im Februar in der Sternwarte Hagen beiwohnen, und alle damaligen Besucher haben die fertig abgemischte Version vor ein paar Wochen schon als kostenlosen Download erhalten, aber heute ist eben die echte Veröffentlichung, auf der das Werk auch auf CD vorliegt - für viele Fans gilt ein richtiger, gepresster Silberling eben noch mehr als ein immaterieller Download.  Außerdem: wie lässt man sich einen Download vom Künstler signieren?

Dementsprechend ist "Electric Garden" am heutigen Abend auch die CD, die sich mit Abstand am besten verkauft.  Wie üblich, übernehme ich für eine Weile den CD-Verkauf, während Stefan und Steve bereits in der Kuppel sind und letzte Vorbereitungen machen.  Jede CD gibt einen Strich auf der Liste, sortiert nach CDs von Baltes & Erbe, von Stefan Erbe solo oder von Steve Baltes' eigenem Projekt "Arctic Sunrise".  Das geht zwar mehr in Richtung Synthie-Pop als klassischer EM, aber auch dafür finden sich Liebhaber, nachdem sie einmal kurz hineingehört haben.

Apropos Besucher: etwa 120 davon wollen an diesem Abend die Album-Premiere sehen.  Das Planetarium ist also bei weitem nicht ausverkauft, aber es ist doch deutlich mehr als bei einigen der vorherigen Sound of Sky-Veranstaltungen.  Ich finde diese Zahl jedenfalls einen Erfolg, und ich wünsche mir, das Stefan mit dieser Reihe nicht allzu lange Pause macht - weitere Termine sind bisher nicht angekündigt.

Nun wollen wir aber erst einmal diesem Premierenabend genießen: Es sind zwei Teile zu je 50 Minuten angekündigt, also genug Zeit, um die komplette "Electric Garden" zu spielen, plus das eine oder andere Stück aus der "s-thetic".  Es wird gefragt, ob denn die Titel in der Reihenfolge gespielt werden, wie sie auf der CD sind.  Das wird man dann sehen, wenn das Konzert läuft.

Der Einstieg im ersten Teil ist gleich das Titelstück der "Electric Garden", durchaus ein standesgemäßer Einstand.  Geplant war das aber nicht ganz so, wie mir Stefan nachher verrät, eigentlich sollte es der CD-Opener "Cold Flowers" sein. Irgendwie ist selbiges Steve aber auf seinem Notebook abhanden gekommen, und so bleibt es das eine Stück der neuen CD, das heute nicht zu Gehör kommt.

Gleich nach "Electric Garden" springen Steve und Stefan zu "Into The Blue", dem zweiten Titel der "s-thetic" - womit sich die Frage nach der Reihenfolge auch schon beantwortet hat.  Ein vorgegebenes Programm einfach herunterzuspielen, das ist einfach nicht die Sache der Beiden. Und jede Live-Aufführung klingt anders, weil viele Sounds live auf der Bühne mit der Hand gebastelt werden und nicht aus dem Notebook kommen.

Der Rest des ersten Teils gehört dann aber alleine dem neuen Album, eine schöne Sequenz reiht sich an die nächste.  Passend zum 'Eintauchen' gestaltet auch Klaus-Dieter Unger wieder seine Projektionen an der Kuppel, bisweilen überlagert von Video-Aufnahmen, wie die beiden die Instrumente ihres 'elektronischen Gartens' bedienen.

Der erste Teil ist viel zu schnell vorbei, aber auch die Musiker brauchen mal eine Pause.  Wieder wechseln reichlich "Electric Garden" CDs ihren Besitzer, dieses Mal ist auch Zeit zum Signieren.  

Der zweite Teil nach der Pause beginnt Rhythmus-betont mit "Basic Lifeform", daran schließt sich mit "Polyaural" mein aktueller Liebling der neuen CD an.  Gelungene Kombination: passend zu "Polyaural" zeigt Klaus-Dieter Unger Variationen von Polyedern an der Kuppel.  Eine neu arrangierte (und längere?) Version von "Ultra" schließt sich an, in dieser Version ein unglaublich sphärischer und entspannender Titel.  Ich wäre auch beinahe weg gedöst, da kommt das 'Danke schön' von Stefan - was, die zweite Hälfte ist auch schon herum?  Ich mag es kaum glauben, aber so ist das mit den wirklich schönen Erlebnissen im Leben.  Wie schon vorher angedeutet, gibt es natürlich noch eine Zugabe: das Titelstück der "s-thetic" ist dafür schon fast obligatorisch.

Nach dem Konzert gehen natürlich noch einmal reichlich CDs über den Tresen, nicht ohne signiert zu werden.  Erfahrene Fans bringen dafür ihren eigenen Lack-Stift mit. Nach und nach leert sich danach das Foyer, man verabredet sich noch zu den kommenden Terminen in der Saison, und irgendwann sind nur noch Stefan, Steve und wir beide da - zu viert geht das Abbauen aber viel schneller und es ist noch Zeit für einen Nach-Mitternachtssnack in der Burgerbraterei des geringsten Misstrauens.  Zeit genug, einen Tag Revue passieren zu lassen.  Doppel-Events sind immer etwas stressig, vor uns liegt ja noch der letzte 'Schenkel' der Dreieckstour, zurück von Bochum nach Aachen.  Es ist aber die Form der Ermattung, die von tiefer Befriedigung begleitet ist, und von einem Erlebnis, das man nicht so schnell vergessen wird.

Natürlich wäre es schön gewesen, wenn es die Termin-Überschneidung an diesem Tag nicht gegeben hätte, und man könnte trefflich darüber streiten, wie voll es dann in Oirschot und Bochum gewesen wäre.  Nichtsdestotrotz war es ein toller Tag, und ich bin sicher, es wird nicht das letzte 'Doppelerlebnis' dieser Art sein.

Alfred Arnold

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.