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Kolumne: Speichertasten ohne Sinn...

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Geht es Ihnen auch manchmal so? Man sitzt im Auto ist einfach nur genervt! Über Menschen vor Ihnen die mit 26,94 Kilometer auf 50 KM/H Strecken fahren oder rechts blinken und links fahren, oder blinken und gar nicht fahren...Ich weiß, besser nicht Aufregen ist die beste Option, aber manchmal laufen so viele genervte Strombahnen in meinen Synapsen zusammen, dass mein Vakuum einfach damit überfordert ist. Zusätzlich klappert dann auch noch mein Sitz, das Armaturenbrett quietscht obwohl mein Auto schon dreimal deswegen in der Werkstatt war und meine 6 Favoritentasten des Radios bringen ständig nur ganztägigen Müll hervor. Das was dabei aber am meisten nervt ist "das Beste aus den 80er, 90er und das beste von Heute". Eigentlich sollte es doch wohl heißen, "die einzigen Platten die wir hier im Studio noch haben, hat unser Praktikant in den letzten Monaten auf dem Trödelmarkt zusammengeschnorrt und wir spielen sie, bis alle Hörer auch wirklich weichgespült sind"!

Liebe Radiomacher, was habt ihr euch dabei gedacht. Ich mag keinen "Safety Dance", keine Whitney Houston-Songs und auch kein wiederholtes Roxette-Geklimper. Wer hatte bloß diese Idee und was tun sie den Redakteuren morgends in den Kaffee, so dass die den ganzen "Sch..s" auch immer und immer wieder spielen?

Jaja...ich weiss, es ist Zielgruppenorientiertes Radio. Geschicktes "hervorkramen" von alten Zeiten des wieder Jung-Seins, indem man die niederen Instinkte des Relativieren von Jugendzeiten und Pubertät provoziert. Man vermutet also tatsächlich , dass alle Mittdreissiger und Vierziger dieser Welt einträchtig vor dem Radio hocken und sich beim Lokalradio-Konsumieren an alte Schulzeiten und Partys erinnern, im wohligen Zustand sich an den ersten "petingierenden" Körperflüssigkeitsaustauschpartner schwelgend zu entsinnen und den weiteren Tag mit der Recherche in Stayfriends und Facebook zu verschwenden, um dort ehemals vergötterte Jugendlieben wiederzufinden.

Wenn dann aber der musikalische "Coitus Interruptus" mitten im Song, unangemeldet und unvermutet auf den nächsten Werbespot schwenkt und selbst die 8klassige Hauptschulabschluss-Hörerin mit dem abrupten Abriss Ihres ehemaligen Lieblingssong überfordert ist, pulverisieren sich in Sekunden alle guten Vorsätze zum unmotivierten Weiterhören. Wer so derart schlampig in die Werbung "schneidet", darf sich nicht wundern, dass nur noch Minderbemittelte bei den Werbeträgern einkaufen und der Rest sich mit der Beschaffung von CD-Wechslern und mobilen MP3 Lösungen verabschiedet hat. In einigen Auto-Radio-Generationen wird es eh keine Favoritentasten mehr geben, die auf die Belegung von namhaften Radiosendern hoffen dürfen, die nach dem Muster der debilen Beschallung von Geistesschwachen, ihr Programm gestalten.

Aber Aufgepasst liebe "Öffi-Rechtis" (Öffentlich Rechtlichen Radiosender), auch Ihr steht vor einem Abgrund! Ihr müsst euch nur mal umdrehen und den überdimensionalen Rotations-Dino genauer beschauen. Der frisst einfach Alles, wenn man ihm nicht mal von Zeit zu Zeit das Drehmoment kürzt. Kaum hat man sich versehen bzw. programmverrotiert, da kommt er auch schon um die Ecke gestampft und zerlegt wieder einen Teil der virtuellen Hörerschaft, die einfach genug hat, von Bruno Mars, Usher, den Toten Hosen oder den Ärzten. An Tagen wie diesen, rückt die tatsächliche Benutzung des AUX-Klinken-Anschlusses des Autoradios in immer greifbarere Nähe. "WIr haben einen USB-Anschluss und wir werden ihn benutzen" schallt es aus den Staus, den Linksabbiegerspuren und den Parkhauszufahrten. Und da hilft es auch nicht, die Nachrichten "Infos" zu nennen, die Sendung als Show zu betiteln oder den Wettermann zu duzen. Wir wissen auch ohne dem , dass wir Jung geblieben sind. Wieso fragt uns keiner, was wir wirklich hören wollen und spekuliert immer nur über mögliche Programmwünsche? Wo sind die ganzen "Independent-Bands" die wie hören wollen, wo sind die Newcomer mit den neuen Ideen und vor allen Dingen, wo sind die Redakteure die die Eier haben, etwas zu machen, was uns Hörern gefallen könnte?
Warum zwingt Ihr uns ins Internet, um da nach den inovativen Streams und Podcasts zu suchen, die den (zugegeben) gelegentlichen Wunsch nach "echter" neuer Musik befriedigen. Geht es wirklich nur um Werbekohle? Geht es wirklich nur um die Werbeträger? Nein, ich bezahle die GEZ-gebühren dafür, dass ich ein ausgewogenes und variables Programm erhalte und nicht um immer und immer wieder die 30 aktuellen Charteinträge zu inhalieren.  Wir wollen erst gar nicht davon anfangen, dass bestimmte Genres überhaupt nicht mehr in der Radiolandschaft vorkommen. 
Nun vielleicht liegt es einfach nur daran, dass sich der geneigte Konsument scheinbar mit Allem zufrieden gibt, solange es das Geknister der zu leerenden Chipstüte übertönt und die Flasche Cola-Light mit seinen unergründeten Ingredienzien den drogenähnlichen Zustand der Beiläufigkeit fördert. Da passt die Beliebigkeit der Beschallung natürlich Prima ins Konzept der Zielgruppe. Allerdings, scheint es mir auch dort nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis auch der "faulste" Hörer erkannt hat, dass die Speichertasten am Radio sinnlos geworden sind....

Stefan Erbe

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.