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Die Schallwende-Grillfete auf dem Hof

Wer hat behauptet, die Urlaubs-Zeit wäre nur zum Faulenzen da? Für die Aktiven des Schallwende-Vereins waren die letzten Wochen sehr betriebsam, und wie es der Zufall wollte, konnten sie die Ergebnisse den Mitgliedern fast zeitgleich präsentieren: Just am Vorabend des Grillfests war der neue Schalldruck zum Download bereit, und auf dem Grillfest selber konnten die Mitglieder, die den Weg nach Ahlen gefunden hatten, auch gleich ihr Exemplar der neuen "Schallplatte" im Empfang nehmen.

Aber wieso Ahlen? Leider hatte es auch dieses Jahr wieder nicht geklappt, einen Termin für einen der heiß begehrten Grillplätze im Essener Gruga-Park zu ergattern - Sylvia meinte scherzhaft, im nächsten Jahr müsste man wohl vor dem Büro übernachten, um überhaupt eine Chance im "Termin-Lotto" zu haben. 2018 war das Grillfest mangels Ausweich-Location ganz ausgefallen, aber in diesem Jahr hatte sich Bernd Glanemann bereit erklärt, seinen Bauernhof samt wetterfester Scheune als "Austragungsort" zur Verfügung zu stellen. Wer sich noch daran erinnert: das ist der Hof, auf dem im letzten Jahr die erste "Scheunenparty" gestiegen war.

Bernds Hof mag zwar ein wenig abgelegen sein (Es gibt zwar eine Bushaltestelle, aber ich habe den ganzen Tag keinen einzigen Bus gesehen), dafür hat diese Location einige andere handfeste Vorteile: Platz ist in beliebiger Menge vorhanden, der nächste Nachbar, der sich über Lärm beschweren könnte, ist weit weg und es gibt auch keine Parkaufsicht, die etwas gegen CD-Verkaufsstände einwenden könnte.

Das gibt natürlich in jeder Hinsicht Raum, die Grillfete eine Nummer größer zu gestalten, als man es vielleicht von vergangenen Jahren kannte: Nicht weniger als vier Musiker haben sich bereit erklärt, das diesjährige Grillfest elektronisch zu begleiten. Einer aus diesem Quartett, nämlich Bernd-Michael Land, musste leider seinen Auftritt kurzfristig absagen, hatte ein Hagelsturm doch Haus und Studio zugesetzt - da hatten die Reparaturen am Haus natürlich Vorrang. Von Unwettern sollte die Grillfete aber verschont bleiben, rechtzeitig war der (Spät-)Sommer nach Deutschland zurückgekehrt. Und auch die schmerzliche Lücke im Programm konnte geschlossen werden: Ron Boots hatte sich kurzfristig bereit erklärt, an Bernies Stelle einen Auftritt aus dem Hut zu zaubern.

Die Künstler spielen auf dem Schallwende-Grillfest im wesentlichen für das "Brot des Künstlers", nämlich den Applaus, und vielleicht noch etwas Fahrgeld. Nichtsdestotrotz ist es eher so, dass sich die Musiker beim Verein melden - solche Auftritte im eher kleinen, intimen Rahmen werden geschätzt. Frank Tischer zum Beispiel ist extra heute nach Ahlen angereist, obwohl er noch an gleichen Abend im 300 Kilometer entfernten Frankfurt ein weiteres Konzert im Terminkalender stehen hat. Da geht man auch gerne etwas auf ihn ein und schiebt sein Konzert ganz an den Anfang. Geplant ist es für 15 Uhr, aber Grill, Getränke und CD-Stände sind natürlich schon deutlich vorher bereit - erstmal nur für die Besucher, die Musiker und Technik sind mit Aufbauten beschäftigt. Gespielt wird heute übrigens nicht in der Scheune, sondern direkt nebenan in der Doppelgarage. Dieter Klimaschewski hat auch draußen Lautsprecher aufgebaut, man verpasst also nichts von der Musik, falls die nächste Lage Würstchen gerade mitten in einem Konzert fertig wird.

Lautsprecher im Außen-Bereich sind natürlich auch hilfreich, als Sylvia zusammen mit dem "Hausherr" die Gäste vor dem ersten Konzert begrüßt. Lange wollen wir uns damit aber nicht aufhalten, sondern lieber die Musik sprechen lassen. Trotz des weiten Weges hat Frank Tischer alles andere als "kleines" Besteck mitgebracht, neben Keyboards und E-Piano sind auch noch zwei Doepfer-Racks mit im Gepäck. Er steigt rhythmisch-melodisch ein, und sein "Markenzeichen", die virtuosen Piano-Läufe, dürfen natürlich auch nicht fehlen. Video-technisch wird er dabei von Claus Jahn begleitet, auf einer nicht ganz bügelfaltenfreien Leinwand, die zu Hause vermutlich ganz anderen Zwecken dienen muss.

Nach zwei Tracks wechselt Frank zu ruhigeren Klängen, die Visuals versetzen uns unter Wasser. Und es wird ganz "klassisch": 'Remember Timewind' ist eine Anspielung, die wohl so ziemlich jeder im Publikum verstehen dürfte. Danach geht's stilistisch wieder zum Anfang zurück, und immer mit vollem Einsatz: Ein ums andere Mal muss sich Frank den Schweiß von Stirn und Brille wischen, und beim Spiel am E-Piano sind meist die Augen zu. Ein Titel vom aktuellen Album "Zusemusik" ist auch noch dabei. Frank hat sich vom rhythmischen Klappern und Klicken der Relais in einem historischen Rechner inspirieren lassen, und baut darum den Titel auf.

Die Konzerte am heutigen Tage sind eher von der kürzeren Sorte, mit der "Zusemusik" ist der viel zu kurze Streifzug durch Frank Tischers musikalische Welten schon wieder vorbei. Eine Zugabe? Ja, eigentlich herzlich gerne, wenn da nicht der zweite Gig heute Abend in Frankfurt wäre. Und alles, was hier aufgebaut ist, muss ja auch noch wieder ins Auto zurück.

Die Pause zum zweiten Konzert reicht gerade für den Gang zur Toilette. Wer letztes Jahr bei der Scheunenparty dabei war, erinnert sich sicher an die Toiletten-Häuschen. Heute ist es die rustikale Selbstbau-Version im Ganzholz-Design, gleich um die Ecke bei den CD-Ständen, und nah genug, dass man mitbekommt, wie Sylvia den zweiten Act des Tages ankündigt. Mit Ansgar Stock ist es mit Abstand der jüngste des Tages, auch wenn Ansgar im Gegensatz zum Vorjahr inzwischen eine zweistellige Zahl von Lenzen vorweisen kann. Mit dem Aufbau waren Ansgar und sein Vater schon vor Frank fertig, so steht Ansgar schon die ganze Zeit in den Startlöchern - oder sollte man sagen, auf der Startrampe? Ein Countdown eröffnet das Konzert, und bei Null zündet Ansgars Zwillingsschwester zwar nicht die Triebwerke, aber doch immerhin die Nebelmaschine, und Ansgar kommt im Astronautenkostüm auf die Bühne!

Dass Weltraum, Science-Fiction und Star Wars im speziellen es ihm angetan haben, das merkt man schon am Namen und Cover-Design seiner ersten CD "Episode 1 - A New Generation". Im Gegensatz zu vielen anderen Elektronikern fallen Ansgar bei diesem Thema aber alles andere als sphärische Klänge ein. Was Ansgar in der folgenden halben Stunde darbietet, ist durchweg rhythmisch-fetzig, und auch auf seiner Premieren-CD zu finden. Irgendwelches Lampenfieber hat er ja noch nie gehabt, und auch diese Mal lässt er sich nicht davon beirren, dass Frank Tischer direkt neben ihm noch damit beschäftigt ist, seine Instrumente abzubauen. Auch das parallele Spiel auf zwei Keyboards beherrscht er inzwischen. Der Riesenapplaus nach dieser Leistung ist wohlverdient, und weil er heute kein zweites Konzert im Kalender stehen hat, ist auch eine Zugabe drin. In der legt er gefühlt noch einmal einen Zahn zu. Da müssen die beiden "alten Herren", die die beiden verbleibenden Konzerte bestreiten sollen, erst einmal herankommen.

Einstweilen lassen wir ihnen genug Zeit, ihre Keyboard-Burgen aufzubauen. So eine Doppelgarage ist zwar geräumig, aber für vier Plätze auf einmal reicht es eben doch nicht. Die Zeit wird den Besuchern nicht lang: Der Grill läuft auf Hochtouren, zur Abwechslung darf es auch gerne mal ein Berliner sein, und an den CD-Ständen hat man bestimmt noch nicht alles gesehen. Über die Lautsprecher läuft derweil die neue "Schallplatte". Das diesjährige Thema "Mondlandung" hat sich als so ergiebig erwiesen, dass es dieses Jahr ein Doppelalbum geworden ist - so viele und so gute Beiträge sind gekommen, da konnte man nicht die Hälfte davon unter den Tisch fallen lassen, nur weil die eine CD voll war.

So eine Doppel-CD überbrückt auch die längste Umbaupause. Die "Abendsession" darf Ron Boots eröffnen. Der war ja recht kurzfristig eingesprungen, und es wäre niemand enttäuscht gewesen, hätte Ron nur bekannte Tracks zu einem Konzert zusammengestellt. Aber das wollte er nicht, wie er in seinen einführenden Worten erzählt: Die Woche "auf der Arbeit" war eher lau, so hatte er Zeit, über das Programm nachzudenken. Am ersten Tag war der Kopf noch recht leer, aber am Tag drauf formten sich dann die Gedanken. Wie Ron schon öfters erzählt hat, hat er bei seiner Musik immer einen fiktiven Film im Kopf, ohne dieses "Kopfkino" geht deshalb gar nichts. Wie lang der heutige Film werden wird, eher 45 oder 50 Minuten? "Holländische 50 Minuten" ist die vieldeutige Antwort. Drei bisher nicht gespielte Titel sollen es werden, und ein vierter bekannter noch hinten-dran. Also dann: Film ab!

Wie immer hält sich Ron nicht lange mit irgendwelchem Vorgeplänkel auf, mit wuchtigen Sequenzen kommt er gleich zur Sache. Die steigern sich immer weiter bis zum ersten emotionalen Höhepunkt. Ron versteht es, einen Spannungsbogen in einem Konzert aufzubauen, und so gibt er uns im zweiten Titel eine ambiente Atempause, bevor es in Teil drei richtig dunkel und beinahe bedrohlich wird. Gelegentlich verrät Ron ja, was für Filmszenen er dabei im Kopf hat, heute behält er das für sich - jede(r) mag frei selber assoziieren, was für Abenteuer unsere virtuellen Filmhelden durchstehen müssen. Und wie versprochen, holt er uns mit einem "Boots-Klassiker" zum Abschluss wieder in die echte Welt zurück.

Ohne Frage, die "alten Herren" haben's auch noch drauf, und auch Ron will man nicht ohne Zugabe ziehen lassen. Kurze Rücksprache mit Stefan Erbe, der als nächster dran wäre und heute auch ein wenig im Hintergrund die Fäden zieht: "Mach ruhig noch einen!". Nun denn, meint Ron, eigentlich hätte er ja nichts mehr für diesen Tag vorbereitet. Er hätte noch etwas auf der Platte, aber das würde er normalerweise mit Harold van der Heijden und Frank Dorittke spielen. Auch ohne die beiden erkennt man "Acoustic Shadows" bei den ersten Takten - es ist einer der großen, wenn nicht "der" Boots-Hit schlechthin. Und Ron wäre nicht Ron, wenn er auch solo eine absolut hörenswerte Version davon abliefern würde.

So, drei von vier Konzerten sind geschafft, nun ist es an Stefan Erbe, am heutigen Tag den krönenden Abschluss zu setzen. Der Aufbau war nicht ganz glatt gelaufen, eines der Notebook-Netzteile ist leider im heimischen Studio liegen geblieben. Hält der Akku durch oder nehmen wir die Backings lieber aus einem der Keyboards? Windows meldet gute drei Stunden Restlaufzeit, also versuchen wir's doch einfach. Um es vorwegzuehnem: ausnahmsweise hat das Microsoft'sche Betriebssystem mal eine realistische Zeitabschätzung abgegeben. Das Notebook hält die ganze knappe Stunde durch, in der Stefan uns einen bunten Mix seiner aktuellen Alben bieten wird, sowohl der beiden letzten Solo-Alben "Reflect" und "Genesys", als auch dem erst kürzlich veröffentlichten "A-11" von Baltes und Erbe. Die improvisierte Leinwand hängt noch und wird die ganze Zeit mit den passenden Visuals versorgt. Auch wenn Stefan bei den Tracks zwischen den Alben hin- und herspringt, ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild und ein repräsentativer Querschnitt durch das aktuelle musikalische "Erbe-Universum". Der beginnt mit dem Einsteiger-Track "No Return" von der "A-11", und ganz entgegen dieses Namens kehrt Stefan zu diesem Album am Ende des Konzerts zurück. "One Time in History" ist der perfekte Rausschmeißer für jedes Konzert, heute hören wir es aber mal völlig anders: Stefan meint, der Titel hätte genug Potential, dass man aus ihm auch einmal eine gestandene Pop-Nummer machen könnte. Und so hören wir ihn heute, wie wir ihn vorher noch nie gehört haben (und ich gebe zu, ich hätte ihn zuerst auch nicht erkannt): Statt der fetten und wuchtigen Rhythmus-Pattern, für die Steve Baltes im Original verantwortlich zeichnet, mit einem eher leichtfüßigen Beat, wie man ihn schon an anderen Stellen solo von Stefan gehört hat. Ich muss schon sagen, es ist erstaunlich, wie man einen Titel verändern kann, wenn man ihm einmal ein paar "neue Kleider" anzieht. Ob er irgendwann mal in dieser Form seinen Weg auf eine Erbe-CD finden wird? Nicht unmöglich, "seine" Version von 's-thetic' hat Stefan ja auch schon einmal veröffentlicht.

Zugabe? Ja, aber nicht so, wie wir jetzt vielleicht denken. Nach dem es die beiden "alten Herren" dem Nachwuchs jeweils solo gezeigt haben, wie wäre es denn einmal ... zusammen? Das muss wohl eine spontane Idee an diesem Tag gewesen sein, bei einem Bierchen und/oder einer Grillwurst, und es ist eine Premiere - ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, das Duo "Boots & Erbe" schon einmal irgendwo gehört zu haben.

Sowohl Ron als auch Stefan sind musikalische Profis und haben großen Respekt vor dem, was der jeweils andere macht. So will denn auch keiner die Session direkt dominieren, die ersten Minuten sind von einem Probieren und gegenseitigen Abtasten geprägt. Man einigt sich recht schnell auf eine eher chillige Grundstimmung, Elemente aus Stefans "Genesys" und einige Sequenzen von Ron passen vom Tempo her durchaus zusammen. Natürlich sitzt noch nicht jeder Ton, und man sollte nicht erwarten, dass diese 30 Minuten in dieser Form irgendwo veröffentlicht werden; Stefan und Ron sind als Vollprofis zu sehr auf die Qualität bedacht, als dass sie so einen Jam in "Rohform" einfach in die Welt entlassen würden. Nichtsdestotrotz ist diese für eine Zugabe opulent lange Session ein perfekter und wohlklingender Abschluss des Tages.

One more thing: Bernd Glanemann hat noch eine kleine Überraschung für Gartenfreunde. Zu später Stunde sind noch ein paar Blumen aufgeblüht, von denen man weiß, dass sie das erst tun, wenn es dunkel wird. Bei der Gelegenheit bekommt er auch noch einmal seinen Extra-Applaus. Er war der Gastgeber eines Schallwende-Grillfests, wie es vorher noch nie eines gegeben hat. Eine Wiederholung an diesem Ort ist natürlich nicht ausgeschlossen, trotzdem wird man im nächsten Jahr wieder versuchen, einen Grillplatz in der Gruga zu ergattern. Falls das wieder nicht klappt - wer weiß, vielleicht sieht man sich auch in 2020 bei Bernd auf dem Hof, bei Würstchen, Bier, toller Musik und der einen oder anderen Überraschung.

Alfred Arnold

Über Empulsiv

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