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Die Macht der Worte und der Musik

Bisweilen erreicht mich ein Hinweis zu einem Event nicht über die 'üblichen' Kanäle wie Newsletter oder Webseiten, sondern zuerst als Einladung über Facebook - so in diesem Fall, als Rike Casper mich zu "Wortklangreich" einlud. Dieses Wortspiel soll verdeutlichen, dass am heutigen Sonntagabend elektronische Musik auf Lyrik treffen wird, die von Bettina Dornberg vorgetragen wird. Also vielleicht so etwas ähnliches wie neulich in Solingen, als Wolfgang Brunner aus seinem Buch "Smith - Mein Leben bis zur Tragödie der Titanic" gelesen hat? Vielleicht, vielleicht auch nicht, wir werden sehen (und vor allem hören).

Spielort ist die Antoniuskapelle in Kaarst, ein kleiner Kirchenbau, der etwas versteckt in einem Wohngebiet liegt. Parkplätze gibt es direkt vor dem Gebäude nur eine Hand voll, der Rest der Gäste sucht sich einen Parkplatz in einer der Seitenstraßen, falls man überhaupt mit dem Auto gekommen ist. Was auffällt: An diesem Abend sehe ich kaum Besucher aus der "EM-Szene", Dieses Event scheint eher diejenigen aus der Umgebung anzuziehen, die bereits seinen Vorgänger aus dem letzten Jahr kennen.

Erik Matheisen, seit Rikes Comeback ihr musikalischer Partner im Duo "RikeErik", ist ebenfalls gekommen. Er hat Rike beim Abmischen der Tracks geholfen, spielen muss sie an diesem Abend aber alleine. Erik muss seine Hand noch eine Weile schonen, bis er wieder in die Tasten greifen darf.

Eine Überraschung zu Beginn: Es gibt kein festes Eintrittsgeld, am Ende des Konzerts darf jeder geben, was ihm die Sache wert war. Bettina und Rike erzählen nachher, dass die meisten Zuschauer auf diese Weise am Ende freiwillig mehr geben, als man als Eintritt hätte verlangen können.

In der Kapelle ist es kühl, die Zuschauer behalten ihre Jacken an. Kurz vor Beginn werden noch ein paar Kerzen angezündet, und die bunte Beleuchtung der Wand mit den Figuren hinter dem Altar tut ein übriges, dass es dem Publikum wenigstens auf diese Weise warm wird.

Nach einer kurzen Einführung beginnt Rike alleine mit der Musik. Die Melodie kommt mir vertraut vor, es ist ein Titel von der "Contact". Auf diesen folgt der erste Text, es geht um die "Zwiebel", was sich auf die Vortragende selber bezieht, genauer gesagt wie sie sich anzieht.

Die restliche Musik, die an diesem Abend gespielt wird, ist speziell für diesen Anlass komponiert und auf die Texte abgestimmt worden. Es bleibt nämlich nicht nur bei dem Wechselspiel von Musik und Lyrik, ab und zu begleitet die Musik auch die Texte und ist dabei fein auf den Sprech-Rhythmus abgestimmt. Nach und nach verstehe ich auch, dass der Inhalt der meisten Texte gar nicht das wichtigste ist, es geht vielmehr eher um den Klang der Worte - das ist wohl mit dem Titel "Wortklangreich" gemeint. Dem Hörer bleibt auf diese Weise viel Raum, sich eigene Gedanken über Begriffe wie "Ernst" oder "Schweigen" zu machen. Auch aktuelle politische Themen wie "Populismus" werden nicht ausgelassen. Dieses Thema ist für Bettina wohl besonders wichtig, sie redet sich darüber beinahe in Rage.

Dieses Wechsel- und Zusammenspiel der Worte und Klänge hält eine gute Stunde an, die schneller vergeht, als man glauben möchte. Das abrupte Ende bleibt uns aber erspart: "Ihr bekommt noch eine Zugabe", in der es um Gedanken am Ende des Jahres geht. Das Ende dieses Jahre ist ja auch nicht mehr so weit entfernt.

Die zweite Überraschung am Ende: Der für nach der Veranstaltung angekündigte Umtrunk bietet nicht nur Wasser und Wein, es gibt auch selbst gemachtem Zwiebelkuchen und Quiche. Die Gespräche über das gerade Gehörte gehen noch eine gute Stunde weiter, bis die Ersten sich auf den Weg nach Hause machen. Es ist zwar noch nicht so spät, aber es ist Sonntag und morgen fängt für die Meisten die Woche wieder an. Ich hänge auf dem Weg nach Hause noch dem einen oder anderen Gedanken hinterher: Warum man dieses oder jenes so und nicht anders macht, und was eigentlich der Sinn davon ist. Dass dieser Abend eine bereichernde Erfahrung war und der (nicht allzu lange) Weg von Aachen nach Kaarst sich gelohnt hat, das steht aber außer Frage!

Alfred Arnold

Über Empulsiv

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