Musik als lebensbegleitendes Element? Erinnerungsgeber für Meilensteine der eigenen Vergangenheit? Klingender Kalender für Situationen, die wir unseren Kindern erzählten?
Klar, jeder von uns hat diese Momente, für die er ein Musikstück aus der Kiste kramt und sicher ist, dass es auch dieser Sound war, der den Augenblick oder die Zeit so besonders gemacht hat. Das erste Livekonzert, ein Urlaub in Italien, die großen Liebesschnulzenkatstrophen, das erste Auto … was auch immer! Es gibt sie, die unvergesslichen „Musik meets Emotionen“-Momente!
Aber mal ehrlich, lässt dies nicht deutlich nach? Trügt der Eindruck? Haben wir diese Kausalität nicht beinahe verloren? Gibt es immer weniger audiophile Gefühls-Ereignisse die wir in unserem Gedankenspeicher mit uns herumtragen?
Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass ich persönliche Klangkombinationen im flüchtigen Synapsenspeicher vorfinde, die mich die letzten Jahren emotional tangiert haben. Ok, es gibt da ein paar gehypte Medienmelodien, wie beispielsweise Enyas Song zur New Yorker Zwillingsturmkatastrophe, aber ein typischer Sound für die Zeit nach dem Millenium will mir einfach nicht präsent werden. Also ein Zeitalter ohne stilprägende Erneuerungen? So wird es wohl sein, denn schon seit einer gefühlten Ewigkeit, hat sich die Musik von typischen Lebenseinstellungen, politischen Statements und äußerlicher Darstellungsformen gelöst. Jeder darf alles hören. Punk und Wave sind heute socialized und gefacebookt, Techno konsumgeformt und Rock´n Roll ist ein Werbebanner für Pflegestufe-Ambitionierte die immer noch darauf hoffen, nicht alt zu werden.
Wo sind die neuen Stones, Beatles und Presleys? Die TDs, Schulzes und Kraftwerker? Die Polices, Sex Pistols und Modes? Wieso hat die Musikwelt vergessen, dass sie auch einem Anspruch unterliegt, sich nicht nur medientauglich zu erneuern?! Es gibt somit scheinbar keine Innovationen, keine neuen Musikrichtungen und keine wegweisenden Stilrichtungen mehr? Ist somit alles erfunden? Ist jede Note gespielt? Gibt es keine Gesellschaftshaltungen mehr, in der sich die Musik wieder finden kann?
Scheinbar nicht, denn kaum etwas von der aktuellen Musik hat eine Wirkung, die Menschen über das Konsumieren hinaus, auch zu einer „Bewegung“ zu motivieren. Vielleicht ist es aber auch einfach nur die unendliche Flut an Informationen, aus der wir die einzelnen Botschaften nicht mehr wahrnehmen. Das viel zu große Angebot an Möglichkeiten, sich und andere nur noch beiläufig berieseln zu lassen und der Einsicht des wegsterbenden Genres geschuldet, tonerzeugtes nicht mehr als Medium der Meinung zu betrachten.
Wo ist bloß die Musik geblieben?
Stefan Erbe