Zweimal im Jahr trifft sich die EM-Szene in Oirschot, im Frühjahr zum E-Day und im Herbst zu E-Live. Im Vergleich zum E-Day ist E-Live immer die etwas 'größere' Veranstaltung, das war auch dieses Mal so. Bis auf ein kleines Restkontingent von 20 bis 30 Stück waren alle der 300 Karten schon im Vorverkauf weggegangen, ein Umstand, der sicher auch dem Haupt-Act Ashra zu verdanken war.
Sowohl E-Day als auch E-Live werden von Groove-Chef und EM-Musiker Ron Boots organisiert, was auch in diesem Jahr wieder vorzüglich funktionierte. Der vorher bekannt gegebene Zeitplan wurde bis auf kleinere Verzögerungen von vielleicht einer Viertelstunde eingehalten. Das ist gerade für die Besucher angenehm, die nicht mit dem Auto, sondern Bus oder Bahn anreisen. Verschieben sich die Zeiten zu sehr, kann man das letzte Konzert dann nicht mehr ganz sehen, weil man sonst seinen Zug verpasst.
Gerade in den Pausen war das Foyer des "De Enck" brechend voll, sowohl die Theke als auch die CD-Stände waren umlagert. Ron's Label Groove Unlimited nimmt die Events in Oirschot auch immer als Anlass, einige Neuerscheinungen zu präsentieren. Diesen Herbst waren das z. B. Gert Emmens' neue Solo-CD 'Triza' und das Debut-Album von Eric van der Heijden und Rene Splinter aka Uni Sphere. Beide waren auch an diesem Abend live auf der Bühne zu sehen, dazu später mehr.
Der Groove-CD-Stand ist in Oirschot naturgemäß der größte und bot eine breite Palette am EM-CDs, nicht nur aus dem Hause Groove. Aufgefallen ist dem Autor z. B. eine neue Veröffentlichung von Redshift Life to Come, und das neue Album Time Machine von Altmeister Jean-Michel Jarre war natürlich auch zu bekommen.
Natürlich gab es nicht nur den CD-Stand von Groove. Vertreten waren auch Syngate, AD Music und Manikin als Labels sowie diverse Einzelstände der an diesem Abend auftretende Künstler. MellowJet und Stefan Erbe fehlten an diesem Tag leider, was wohl einen Termin-Konflikt geschuldet war - Baltes und Erbe sowie MellowJet-Chef Bernd Scholl aka Moonbooter hatten an diesem Abend zusammen mit Wellenfeld einen Auftritt im Planetarium Münster. Über diesen Terminkonflikt (der in diesem Jahr in der EM-Veranstaltungsszene nicht der erste war) hat es in den letzten Wochen und Monaten die eine oder andere 'betrübte' Bemerkung gegeben, und auch der Autor hätte gerne beide Events besucht. Man sollte die Sache aber eher positiv betrachten: wir haben in der Szene inzwischen wieder so viele Veranstaltungen, dass es bei aller Planung eben zu solchen Überschneidungen kommen kann - ein Jahr hat eben nur 52 Samstage und auch die Organisatoren sind nicht immer frei in der Wahl der Termine. Genießen wir einfach, was im Moment alles so 'abgeht'.
An diesem Nachmittag und Abend wurden dem Zuschauer und -hörer vier Haupt-Acts geboten. Den Anfang machte Pepijn Courant aka Akikaze. Für ihn war das sein erster Live-Auftritt seit 10 Jahren. Akikazes Musik ist melodisch und kurzweilig, bisweilen wird sein Stil mit Mike Oldfield verglichen. Begleitet wurde Akikaze von Gert Emmens am Schlagzeug, eine Rolle, die Gert in den letzten Jahren schon öfters auf E-Day oder E-Live übernommen hatte. Akikazes Musik kann man problemlos der 'klassischen EM' zuordnen, wobei aber durchaus nicht nur Freunde Oldfield-artiger Wohlklänge auf ihre Kosten kamen. Akikaze spielte auch eine Reihe komplizierterer und längerer Melodien und entlockte seinem modularen Synthesizer dazu schöne Sequenzen, mit denen das Schlagzeug von Gert Emmens wunderbar harmonierte und eine Einheit bildete. Zwischendurch griff Akikaze auch immer wieder zum Mikrofon und gab einige Kommentare und Erklärungen zu dem Gespielten. Ein neuer, längerer und zweiteiliger Titel bildete Abschluss und Hauptteil des Auftritts und wurde vom Publikum mit großem Applaus bedacht. Dementsprechend wurden die beiden auch nicht ohne Zugabe aus dem Saal gelassen - etwas, was bei dem nach-mittäglichen Opener in Oirschot nicht selbstverständlich ist!
Nach einer kleineren Pause waren Eric van der Heijden und Rene Splinter an der Reihe, die sich zu einem neuen Duo namens Uni Sphere zusammengetan haben. Eric hat übrigens nach dem Auftritt verraten, daß in diesem Namen die Namen der beiden 'versteckt' sind, aber in welcher Form, sei hier nicht verraten.
Ron hielt seine Einführung vor geschlossenem Vorhang, unter dem die ganze Zeit Rauch hervorquoll. Der entpuppte sich dann aber doch als Bühennebel und nicht als Rauch aus einem Keyboard, dessen Chips ungeplanterweise ihren 'Magic Smoke' herausgelassen hatten. Beim Nebel blieb es aber nicht, die beiden hatten dazu ein beeindruckendes Bühnenbild mit fast zwei Dutzend Keyboards, ihren Sequenzertürmen und farbig beleuchteten Stoffbahnen geschaffen, die während des Auftritts in verschiedenen Farben angestrahlt wurden.
Musikalisch war das Debut-Album Endless Endeavour natürlich Schwerpunkt der gespielten Stücke, darunter auch Colorful Fields of Summer, eine Hommage an die Schallwende-Vorsitzende Sylvia Sommerfeld, das es jetzt auch (endlich) auf CD geschafft hat. Daneben gab es natürlich auch eine Reihe Stücke aus dem Solo-Schaffen der beiden, jeweils für den gemeinsamen Auftritt neu arrangiert.
Wann immer zwei schon 'etablierte' Künstler etwas gemeinsam machen, ist man natürlich darauf gespannt, was stilistisch dabei in der Summe herauskommt. Einen kleinen Vergleich möchte ich zu Baltes & Erbe ziehen, einer Kooperation, die im Frühjahr auf dem E-Day zu sehen war und ein anderes Beispiel in diesem Jahr für eine wirklich gelungene Kooperation ist: Stephan Erbe und Steve Baltes unterscheiden sich beide in ihrem Solo-Stil sehr deutlich, als Duo haben die beiden aber eine Synthese gefunden, die stilistisch 'in der Mitte' liegt und etwas völlig Neues ist. Heijden und Splinter sind sich in ihren persönlichen Stilen deutlich näher und vertreten beide eher die melodische Richtung der EM, besonders bei Rene Splinter den Stil, wie ihn vielleicht Tangerine Dream in der Schmoelling-Ära hatte. Auf dieser Linie liegt dann auch die gemeinsame Musik der beiden - man könnte sagen, die beiden vervollständigen einander. Von den beiden ist Eric eher der extrovertierte Typ, der bei Auftritt zwischen seinen Keyboards hin- und herwirbelt und auch de Part übernimmt, die Historie der einzelnen Stücke etwas zu erklären. Rene ist eher der ruhige Typ, dessen Spezialität dafür die Piano-Solos sind. Über den Auftritt taute dann aber auch Rene auf und am Schluß spielten die beiden teilweise zusammen auf einem Keyboard. Über den ganzen Auftritt konnte man den beiden den Spaß an der Musik und das Engagement ansehen, was dann auch vom Publikum mit stehenden Ovationen, Blumen und einem Küßchen honoriert wurde. Ohne Zugabe kamen die beiden natürlich auch nicht von der Bühne, in dem zeigte dann auch Rene mit dem mobilen Keyboard, dass er auf der Bühne 'agieren' kann. Insgesamt ein wirklich gelungenes Debüt, sowohl von der Musik als auch von der Dynamik und der Show, der sicher nicht der letzte seiner Art bleiben wird.
Nach diesem Auftritt gab's zum Verschnaufen eine größere Pause. Wie üblich hatte Ron auch diesmal im ersten Stock eine kleinere Performance im ersten Stock organisiert, die man sowohl vor dem ersten Konzert als auch in der großen Pause genießen konnte. Ursprünglich sollte diese von Kjetil Ingebrigtsen aus Norwegen gegeben werden, der jedoch krankheitsbedingt kurzfristig absagen mußte. In solchen Fällen beweisen die hölländischen EM-Musiker aber, wie gut ihre Zusammenarbeit ist. Kurzfristig sprangen Skoulaman (vor dem ersten Act) und Remy (in der großen Pause) ein und sorgen dafür, daß diese beiden Programmplätze nicht leer blieben.
Bericht und Fotos vom dritten Act 'Vile Electrodes' muß der Schreiber dieser Zeilen leider schuldig bleiben, weil das Abendessen mit guten Freunden in einer Pizzeria in Oirschot leider etwas zu lange gedauert hat (oder die große Pause war dieses Mal zu kurz, wie man das auch immer sehen will...). Wer nichts verpassen wollte, konnte wie sonst auch im Foyer des De Enck seinen Hunger mit holländischen Snacks befriedigen.
Wer Vile Electrodes weder dieses Mal noch auf einem Ihrer Auftritte 2013 oder 2014 auf dem Electronic Circus gesehen hat, den sei nur so viel gesagt: 'klassische EM' a la Jarre oder TD bekommt man bei den beiden nicht zu hören, eher 80er-Jahre Synthie-Pop mit Gesang a la OMD oder New Order. Insbesondere Sängerin Anais Neon ist mit ihrer Vorliebe für Latexkleidung auf der Bühne immer wieder eine Augenweide.
Nach einer weiteren kleinen (Verschnauf)pause war es dann pünktlich um 21 Uhr Zeit für den Hauptact. Hatte Ron letztes Jahr schon Manuel Göttsching solo nach Oirschot geholt, war dieses Jahr Ashra da, in Form von Manuel Göttsching und Lutz Ulbricht. Bühnentechnisch war deren Auftritt ein ziemliches Kontrastprogramm zu Uni Sphere: stark abgedunkelt und in ein Blau getaucht, keine großartigen Aufbauten, einfach nur die beiden Musiker mit ihren Gitarren und ein oder zwei Keyboards. Die Musik von Ashra aus den 70er-Jahren sollte ihre hypnotische Wirkung entfalten, ohne dass der Hörer von etwas anderem abgelenkt wird.
Hauptteil des Auftritts war "Le Berceau de Cristal", original aufgenommen als Filmmusik im Jahr 1975, veröffentlicht als CD im Jahre 1993 und inzwischen lange vergriffen - Manuel stellte aber eine Neu-Veröffentlichung in Aussicht. Ihrem Alter und den damaligen technischen Möglichkeiten entsprechend kommt dieser musikalische Kristall eher minimalistisch daher - damals haben zwei Gitarren, eine elektronische Orgel und ein Phaser gereicht, der Musik ihren meditativen bis hypnotischen Stil zu geben, und sie hat auch 40 Jahre später noch beim Publikum die gleiche Wirkung entfalten. Der schlichte Bühnenauftritt war auch genau passend zu dieser Musik. Nach "Le Berceau de Cristal" spielten Manuel und Lutz einige Stücke aus "Inventions for Electric Guitar", zu ähnlicher Zeit entstanden und auch stilistisch nicht weit davon entfernt. Wieder das fast nicht enden wollende und sich mit der Zeit doch subtil wandelnde Gitarrenspiel, unterlegt von elektronischen Klängen, in den man als Hörer versinken möchte - eine wahre Zeitreise in die 70er!
Und wieder ließ das Publikum die Künstler nicht ohne eine kleine Zugabe ziehen. In diesem Falle war es "Oasis" von Ashras Album "Correlations". Beeindruckend war vor allen Dingen, wie das Gitarrenspiel der beiden im wahrsten Sinne des Wortes 'korrelierte' - man hatte stellenweise den Eindruck, dass dort eigentlich nur ein Gitarrist steht, der auf irgendeine Weise beide Linien gleichzeitig spielt.
Nach diesem Höhepunkt und Finale kurz vor 23 Uhr hatte eine gelungene Veranstaltung ihr Ende gefunden. Ron Boots uns seine Leute hatten wieder eine tolle Veranstaltung auf die Beine gestellt, die im Vergleich zum Electronic Circus vom Anfang des Monats vielleicht etwas mehr auf den Pfaden der 'klassischen EM' wandelt, aber nichtsdestotrotz eine gelungene Mischung aus Neuem und Alten geboten hat. Nächster Termin in Oirschot ist der E-Day 2016 am 16. April, schonmal vormerken!
Alfred Arnold