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Langes EM-Wochenende am Wasserfall

Anfang September erwacht die Veranstaltungs-Szene wieder aus ihrer Sommerpause, und in diesem Jahr mit einem ganz besonderen Event: der zweiten Auflage von 'Schwingungen am Wasserfall' bei Kabelmetal in Windeck-Schladern.  Eigentlich sollte dieses Festival ja erst übernächstes Jahr wieder stattfinden.  Den Organisatoren von Kabelmetal hatte es aber letztes Jahr so gut gefallen, daß sie einige (finanzielle) Hebel in Bewegung gesetzt haben, auch dieses Jahr den Wasserfall in Schwingungen zu versetzen - auch wieder für ein langes Wochenende von Freitag bis Sonntag.  Gute Pressearbeit im Vorfeld und Glück mit dem Wetter, zusammen mit einer breiteren Programm-Auswahl, sorgten für einen massiv besseren Zuspruch als im Vorjahr.

Ein 'reinrassiges' EM-Festival waren die diesjährigen Schwingungen nämlich nicht - die Auswahl der Acts stand dieses Mal unter dem Motto 'eine Reise durch die Jahrzehnte'.  Links und rechts von der reinen EM gibt und gab es ja immer wieder Gruppen, die auch von EM-Größen beeinflusst wurden oder die von heutigen EMlern in einer Reihe mit TD, Jarre & Co.  als Einflüsse genannt werden.

Zu solchen Gruppen gehört sicher - stellvertretend für die 70er-Jahre - Pink Floyd.  David Gilmour oder Roger Waters "in natura" nach Windeck zu bekommen, wäre dann aber doch zu sehr nach den Sternen gegriffen.  Das muss auch nicht sein, gibt es doch Bands, die Pink Floyds Klassiker covern.  Ideal ist es dann noch, wenn die Cover-Band aus der Umgebung des Festivals stammt, wie in diesem Falle Pink Pulse aus Betzdorf.  Ein 'Lokalmatador' zum Einstieg füllt den Saal.  Man konnte dieses Mal nicht nur ein 'Festival-Ticket' für alle Konzerte kaufen, (Inhaber erkennbar am stabilen Stoffbändchen am Handgelenk), sondern auch Karten für einzelne der insgesamt fünf Acts.  Käufer solcher Karten erhielten am Einlass ein anderes Bändchen, für Pink Pulse passenderweise ein rosafarbenes.  Eine erkleckliche Zahl rosaner Bändchen bewies, wie beliebt Pink Pulse in der Gegend ist. In den folgenden zwei Stunden konnte man die ganzen Pink Floyd-Klassiker wie 'Shine On', 'Time' oder 'Money' hören, sehr zum Gefallen des Publikums, und auch den Akteuren auf der Bühne machte die Sache sichtlich Spaß.  Eine Zugabe war Ehrensache.

Eine weitere Änderung gegenüber dem letzten Jahr: die Anmerkung 'Stehplatz' auf dem Ticket war ernst gemeint.  Eine Handvoll Tischchen und Hocker waren vorhanden, auch einige Stühle für Personen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht lange stehen können, aber mit Ausnahme des Unisphere-Konzerts war die restliche Saal-Fläche frei.  Ein einfacher Grund für diese Entscheidung: die Menge der Zuschauer.  Für das TD-Konzert zum Schluss hatte Tangerine Dream's Management alleine über 400 Karten verkauft, so viele Stühle hätten überhaupt nicht in den Raum gepasst.

Die Pause bis zum zweiten Act des Tages gestattete einen Blick auf die restlichen Angebote des Festivals.  Roland hatte einen Stand mit diversen Keyboards zum Ausprobieren aufgebaut, auch CD-Stände fehlen nicht.  CUE-Records, ansonsten eher selten mit Ständen präsent, verkaufte direkt aus dem Wohnmobil heraus - Verkaufsraum und Hotel in einem.  'Echte' Hotelzimmer in der Nähe von Kabelmetal sind ein knappes Gut, mit dem größeren Andrang um so mehr.  Camping ist da eine Alternative, oder ein Schlafplatz bei Verwandten oder Bekannten in der Umgebung.

Von Kabelmetal bis zur Bahnstation Schladern sind es nur ein paar Minuten zu Fuß.  Nur die letzte Bahn um halb zwölf will im Auge behalten werden, danach kommt man nur noch per Taxi oder Mitfahrgelegenheit weg oder man wartet drei Stunden auf den nächsten Zug Richtung Köln.  Umso ärgerlicher wäre es dann, würde man den größeren Teil des letzten Acts wegen aufgelaufener Verzögerungen nicht sehen können.  Im letzten Jahr war die Zeitplanung ziemlich aus dem Ruder gelaufen, dieses Jahr sorgte Stefan Erbe als Bühnen-Manager dafür, dass (fast) alles nach Zeitplan lief.  Auch ich musste die letzte Bahn am Freitag noch erwischen, konnte aber den größeren Teil des zweiten Acts noch sehen.  Zeitlich ging es von den 70ern weiter in die 80er, zu Camouflage, genauer gesagt zu M.I.N.E., einem Projekt von ihrem Sänger Markus Meyn. Programmatisch gab es natürlich Synthie-Pop im Stil der 80er-Jahre, knackig, flott und mitreißend.  Man hätte Markus Meyn einen Schritt-Zähler verpassen sollen, mich hätte schon interessiert, wie viele Kilometer er an diesem Abend auf der Bühne zurückgelegt hat.  Mit seinen Sprüngen wäre er jedenfalls heißer Kandidat auf die Hans-Rosenthal-Gedächtnismedaille ('Das war Spitze!') ...

Der '110-prozentige' EM-Fan wäre vom Freitag wohl ein wenig enttäuscht gewesen, oder er ließ ihn einfach aus - Tickets für einzelne Tage oder Konzerte wurden wie gesagt ja auch angeboten.  Mit drei Konzerten sowie Rahmenprogramm war der Samstag auch der Kern-Tag des Festivals, und es ging bereits am Mittag los.  Stefan Erbe überließ die Bühne für eine gute Stunde sich selber und machte einen Workshop zum Thema Musikproduktion und Composing.  Im stillen Kämmerlein Musik zu machen ist als Hobby ja eine schöne Sache, aber was muss dazukommen, wenn die eigenen Erzeugnisse auch außerhalb der eigenen vier Wände Erfolg haben sollen?  Man muss sich differenzieren, ein eigenes 'Branding' entwickeln, das Publikum muss mit der Musik eine bestimmte Visualität verbinden können.  Neben den musikalischen Ideen muss aber auch das Handwerkszeug vorhanden sein.  Wie ist ein Song strukturiert, wie baut man ihn um einen Refrain herum auf, wie macht man dazu ein Intro und einen Ausklang? Moderne digitale Audio-Workstations sind in Musiker-Kreisen nicht unumstritten, erlauben so ein Sound-Editing aber auf sehr bequeme Art und Weise.  Stefan zeigte die Benutzung so einer DAW und wie man sie mit externen Controllern noch bequemer bedienen kann. Natürlich reichte die eine Stunde nur aus, um die Themen rund ums Composing anzureißen.  Er wird aber in Zukunft auch wieder mehrtägige Kurse anbieten, in denen man diese Dinge detailliert erlernen kann.

Während des Workshops schallten schon die Sound-Checks vom Unisphere-Konzert gut hörbar herüber, das als nächstes auf dem Programm stand.  Ausnahmsweise war dieses Mal der Saal komplett bestuhlt, man konnte sich zurücklehnen und genießen.  Mit Eric van der Heijden und Rene Splinter scheinen sich wahrhaft zwei musikalisch verwandte Seelen gefunden zu haben.  Ihr Bühnenaufbau glich dem von ihrer Premiere in Oirschot: beide umgeben von ihren Keyboards, dahinter die Geräte-Racks und als Dekoration darauf jeweils ein großer aufgeblasener Ball, auf dem sich das Bühnenlicht spiegelt.  Dazu noch eine große Prise Bühnennebel und ab geht das elektronische Feuerwerk.  Unisphere spielten ihre klassisch melodisch-druckvollen EM-Titel von der Debüt-CD 'Endless Endeavour', live noch einmal ein gutes Stück erweitert und angefettet - wenn man schon einmal eine richtig 'dicke' Sound-Anlage hat, dann will man sie ja auch ausnutzen.

Auch wenn ich Uni-Sphere damit schon zum dritten Mal gesehen hatte, wird es nie langweilig.  Ich finde, dass die beiden von Mal zu Mal besser miteinander harmonieren.  Rene ist ein eher stiller und introvertierter Mensch, aber auf der Bühne reißt Eric ihn mit - eine Freude, den beiden 'bei der Arbeit' zuzusehen.  Eine kleine Zugabe genehmigt das Bühnen-Management noch: 'Jocular Jive' - genau, das hatte ich noch vermisst!

Für mehr Zugaben wäre aber auch keine Zeit gewesen, sonst hätte man den Anfang des folgenden Vortrages verpasst - nach Beinen und Bauch 'intellektuelles Futter'.  Timo Kaul hielt einen Vortrag zum Thema 'Kraftwerk - die anderen Krauts'.  Angefangen von den Wurzeln des Krautrock wurde aus Musik-wissenschaftlicher Sicht definiert, wo sich Kraftwerk Anfang/Mitte der 70er-Jahre von anderen Krautrock-Bands wie CAN oder Popol Vuh zu differenzieren begann, und welche Anspielungen und künstlerischen Zitate sich auf den Platten-Covern der Kraftwerk-Klassiker von den 'Kegeln' bis zur Mensch-Maschine finden.  Der Vortrag hatte ein sehr hohes wissenschaftliches Niveau, ich hätte mir nur am Schluss eine URL mit dem PDF der Präsentation gewünscht, um die eine oder andere These noch einmal nachlesen zu können - um alles direkt zu verstehen, ging es mir stellenweise einfach zu schnell.

Trödeln durfte der Vortragende aber auch nicht, denn das nächste Konzert mit Peter Heppner fing pünktlich um 19 Uhr an - also direkt herüber vom Vortragsraum zurück in den großen Saal.  Die Bestuhlung vom Unisphere-Konzert war ausgeräumt, die wenigen Sitzplätze waren wieder für die reserviert, die sie wirklich brauchten.  Das war noch so angekündigt, die Überraschung war dann nur, man dürfe nur während der ersten drei Titel fotografieren.  Ich muss gestehen, ich erinnere mich nicht, wann ich zum letzten Mal ein Konzert mit solchen Beschränkungen besucht habe.  Das mag daran liegen, dass ich gegenüber großen Veranstaltungen kleine Events bevorzuge, auf denen die Künstler generell ein Interesse haben, überhaupt Öffentlichkeit zu bekommen, anstatt sie steuern zu wollen.  Wie dem auch sei, wenn der Künstler es so will, ist es sein gutes Recht, das so zu bestimmen, und es wurde sich auch größtenteils daran gehalten. Was die Zeitreise rund um die Elektronik angeht, war man mit Peter Heppner (Ex-Wolfsheim) in den 90ern angekommen, und ähnlich wie bei Pink Pulse am Vortag gab es viele Zuschauer, die - erkennbar am Bändchen - nur seinetwegen nach Windeck gekommen waren.  Die kamen auch voll auf ihre Kosten, inklusive einer Zugabe.  Den lautstarken Wunsch "einfach alles nochmal" konnte man natürlich nicht erfüllen, aber 'I feel young', 'Wir sind wir' und 'Wann kommt die Flut' sind als Zugabe ja auch nicht schlecht?

Einen weiteren Vortrag gab es nach dem Heppner-Konzert nicht mehr, den kleinen Saal hatte Zoran Velinov im Beschlag genommen - wer wollte, konnte einem großformatigen Gemälde bei der Entstehung zuschauen.  Die Umbauten auf der Bühne gaben allen anderen etwas Zeit, sich wieder zu stärken oder noch einmal an den CD-Ständen vorbei zuschauen.  Am Samstag waren neben CUE-Records auch Groove Unlimited und Spheric Music präsent.

Rechtzeitiges Anstellen für den Einlass zum TD-Konzert war aber angeraten, wollte man einen guten (Steh-)Platz haben.  Für das TD-Konzert waren wie gesagt weit über 400 Karten verkauft worden, mehr als für jedes andere Konzert dieses Wochenendes.  Kleine technische Probleme sorgten (ausnahmsweise) für eine Verzögerung, bis sich die Türen öffneten und die Massen in den großen Saal strömten.  Ich hatte dabei Glück und schaffte es bis ganz nach vorne an den Rand der Bühne.  Dort saß ich dann auch die folgenden zweieinhalb Stunden mehr oder weniger fest - das als Erklärung für die etwas einseitige Perspektive der Fotos.

Vor dem Konzert holte Jochen Dunkel, der zusammen mit Heike Hamann dieses Festival organisiert hatte, aber noch Bianca Froese für ein kleines Interview auf die Bühne.  Für viele Besucher dürfte dieses Konzert ihr erstes TD-Konzert ohne Edgar Froese gewesen sein, deshalb war es interessant zu erfahren, welche weiteren Pläne sie als neue 'Chefin' von TD hat - Tournee im nächsten Jahr nicht ausgeschlossen.

Vergleiche ich den Bühnenaufbau mit Windeck mit dem, was TD auf der Phaedra-Tour aufgefahren hatte (ich hatte das Glück, Edgar 2014 noch einmal live in Köln sehen zu können), dann wirkte er nachgerade bescheiden, auch wenn man die kleinere Bühne berücksichtigt und dass es 'nur' noch drei Band-Mitglieder sind. Thorsten Quaeschning versteckte sich etwas hinter seinen Keyboards, Ulrich Schnauss hatte seinen 'DJ-Tisch', wie ich ihn schon von früheren Soloauftritten kannte, um einige wenige Hardware-Synthies ergänzt, und Hoshiko Yamane (wie es sich gehört, in der Mitte) hatte neben ihrer Violine nur noch einen Notebook samt Controller dabei.  Man könnte meinen, dass die Drei durch diesen sparsamen Auftritt deutlich machen wollten, dass es ohne Edgar Froese eine Art von bescheidenem Neuanfang ist. Erfreulicherweise gab es dieses Mal keine Einschränkungen bezüglich Fotografieren, in dieser Hinsicht bleibt Tangerine Dream ihrer Fan-freundlichen Linie weiter treu.

Was gespielt wurde? Eine abwechslungsreiche Reise durch die Jahrzehnte des TD-Schaffens, angefangen von 'Rubycon' und 'Sorcerer', über 'Exit' und 'White Eagle' bis hin zu einigen Titeln von der 'Quantum Key'.  Der emotionale Höhepunkt für mich war aber ohne Zweifel 'Zero Gravity', das Edgar Froese zusammen mit Jean-Michel Jarre ein knappes Dreivierteljahr vor seinem Tod veröffentlicht hatte - für mich eine Art musikalisches Vermächtnis und ein Titel, bei dem einfach alles stimmt.  Auch Thorsten konnte man ansehen, wie er es auf der Bühne genossen hat.

Tosender Applaus war dem Trio nach dem Programm gewiss und natürlich kamen sie auch nicht ohne eine Zugabe von der Bühne. So war das Konzert fast anderthalb Stunden später zu Ende als geplant, aber - egal, es war einfach wunderbar und niemand ist früher gegangen.  Das auf diesem Konzert gespielte Set konnte man vom CD-Stand auch als brandneue Live-CD des Stettiner Konzerts mitnehmen, wo Tangerine Dream für den erkrankten Klaus Schulze eingesprungen war.

Die Stände auf dem Markt vor dem großen Saal waren noch alle geöffnet, man konnte den Samstag also problemlos noch etwas ausklingen lassen, bis zur ersten Bahn waren es ja noch zwei Stunden.  Wer ein Hotelzimmer vor Ort ergattert hatte, blieb nicht so lange auf, das Festival war mit den Samstags-Konzerten ja noch nicht zu Ende.  Für den Sonntag war neben dem Markt kein festes Programm geplant, spontane Sessions anwesender Künstler waren aber möglich.  Die hat es dann leider nicht gegeben, auch Musiker schlafen mal länger ... dafür hatte man dann Zeit, die Umgebung mit der Sieg etwas näher zu erkunden.

Das TD-Konzert war ohne Frage der Höhepunkt des Windecker Festivals, das man dieses Mal als vollen Erfolg einstufen kann - letztes Jahr war die Besucherzahl ja noch nicht so, wie die Veranstalter es sich gewünscht hatten.  Geholfen hat dabei sicher nicht nur der große Name des Haupt-Acts, sondern auch, dass es kein 'reines' EM-Festival war.  Mit Pink Floyd, M.I.N.E.  und Peter Heppner wurde ein deutlich breiterer Hörerkreis angesprochen.

Andererseits verändern auch 600 Zuschauer und Künstler, die bekannt genug sind, 'ihre Regeln' durchsetzen zu können, ein Festival in seinem Charakter: es war nicht mehr ganz eines jener 'EM-Familientreffen', wie man sie aus Oirschot und vom Electronic Circus kennt.  Taschenkontrollen, Security-Dienst und Fotografierverbote habe ich in Holland oder Detmold auch nie erlebt, aber diesen 'Preis' muss man wohl zahlen, um für so eine große Location den finanziellen 'Break-Even' zu erreichen. Erfolgreich genug war es, dass es nächstes Jahr seine Fortsetzung finden wird.  Als Termin steht bereits das Wochenende vom 1.  bis 3.  September 2017 fest.  Erste Zimmerbuchungen sind wohl schon gemacht worden ...

Alfred Arnold

Über Empulsiv

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