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Alt, aber sehr lebendig: Das Synthesizer-Dinosauriertreffen

Es gibt Veranstaltungs-Orte, zu denen fahre ich mindestens zweimal im Jahr, und zu anderen führt mich genau einmal im Jahr der Weg. Es gibt aber auch die Events, die nur alle paar Jahre einmal stattfinden. Konzerte in der Dechenhöhle sind so ein Fall, und ebenso verhält es sich mit dem Synthesizer-Dinosauriertreffen in Bocholt. Das letzte Treffen datiert von 2015, und lange stand in den Sternen, ob jemals wieder eines zustande kommen würde. 2018 hat es doch wieder einmal geklappt, und so führt mich bei herbstlichem Wetter der Weg in das Bocholter Kulturzentrum "Alte Molkerei".

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Das Dinosaurier-Treffen ist kein gewöhnlicher Konzertabend, es ist eine Mischung aus Konzerten, Ausstellung historischer Synthesizer, Geräte-Börse und Diskussionen. Es läuft über ein ganzes Wochenende, und man kann sich an den ausgestellten Geräten nicht nur einmal selber versuchen, sondern auch ausgiebig mit den Musikern (oder Konstrukteuren!) sprechen. Vielleicht gibt das dann dem einen oder anderen reinen "Konsumenten" auch die Motivation, es einmal selber mit der Musik oder dem Elektronik-Basteln zu versuchen. Ist man doch eher auf die Live-Musik aus, ist der Samstag der passende Tag, denn dort läuft der Großteil der Konzerte.

Die erste Überraschung erlebt man an der Kasse: Ich reiche 15 Euro herüber und bekomme nicht nur mein Ticket, sondern gleich auch die für meine beiden Freunde - der Eintritt beträgt schlappe 5 Euro pro Person, und dafür gibt es nicht nur einen Stempel oder ein einfaches Bändchen ums Armgelenk, sondern ein ein laminiertes Ticket, das man sich am mitgelieferten Lanyard um den Hals hängen kann.

Vorbei an der Bar und einem Mini-Gebrauchtmarkt geht es in den abgedunkelten Saal. Der ist mit Tischen voll gestellt, auf denen die "aktiven Teilnehmer" ihre Schätzchen ausgebreitet haben. Erster Eindruck im Vergleich zu 2015: insgesamt ein paar Aussteller weniger, und modulare Geräte sind ebenso nicht mehr ganz so prominent vertreten wie Eigenbau-Projekte. Nichtsdestotrotz ist das eine beeindruckende Kollektion historischer Synthesizer. Dass dies hier kein bloßes Museum ist, sondern alle Instrumente funktionieren, wird heute noch die eine oder andere praktische Vorführung zwischen den Konzerten beweisen.

Fällt die Ausstellung heute vielleicht ein wenig kleiner aus, so ist das Konzertprogramm um so üppiger: drei Konzerte sind für den Samstag angekündigt. Damit dieses pralle Programm überhaupt in einen Abend passt, fängt das erste Konzert recht früh um 18 Uhr an. Bestritten wird es von einem Musiker, den ich schon eine Weile nicht mehr live gesehen habe: Wolfgang Barkowski alias Alien Nature. Neben Musik verschiedener Stilrichtungen zeichnet und malt Wolfgang auch noch, seine Werke wurden schon in den Solinger Güterhallen ausgestellt. Heute ist aber wieder die Musik an der Reihe. Fast ein wenig eingeklemmt zwischen den Instrumenten der anderen Acts steht er in der Mitte der kleinen Bühne, und kündigt das an, was man im Publikum immer besonders gerne hört: er hat neues, noch unveröffentlichtes Material dabei, nämlich das kommende Album "Heisenberg 3". Es beginnt so, wie man es von den ersten beiden Heisenberg-Alben kennt: gewaltig, kantig, und extrem abwechslungsreich - man kann nie sicher sein, welcher Sound einen "um die Ecke" im nächsten Moment erwartet. Für Anhänger sanfterer Klänge mag das zu harter Stoff sein, es ist bei einer Veranstaltung wie dieser aber auch völlig in Ordnung, für einen Moment aus dem Saal zur Bar zu gehen und sich stattdessen mit anderen Teilnehmern zu unterhalten.

Nach einer halben Stunde Volldampf wechselt Wolfgang in ruhigeres Fahrwasser, die Klänge werden für einen Moment stiller und sanfter, bis sie in Track 3 sich wieder zu einem triumphalen Höhepunkt steigern - hat Herr Heisenberg gerade seine Unschärferelation entdeckt? Im finalen vierten Teil kommt dann auch mal eine Sequenz zum Einsatz. "Klassische EM" a la Berliner Schule ist aber nicht Wolfgangs Sache, und so muss diese Sequenz recht schnell wieder dem Stil weichen, in dem Wolfgang begonnen hat.

"Eine Zugabe hätte ich noch, wenn es jemand hören will" - ja, das will man hören. Besonders wenn es ein Stück von "Amoeba" ist, einem Album, das wohl nie veröffentlicht werden wird, wie Wolfgang schmunzelnd hinzufügt. Was in diesem ersten Konzert gespielt wurde, wird man also so schnell nicht wieder irgendwo hören.

Wer nach diesem Konzert eine Pause braucht, hat dafür eine knappe Stunde Zeit, man kann aber auch im Saal bleiben und der ersten Vorführung beiwohnen. Was Stephen Parsick macht, ist ein Vortrag mit Musikbeispielen. Zu vielen historischen Synthesizern lässt sich eine Geschichte erzählen, und heute steht der "Harmonic Synthesizer" vom RMI im Mittelpunkt. Ein Sammlerstück ist dieses Gerät alleine aufgrund der geringen produzierten Stückzahl, in Europa soll nur eine einstellige Zahl Geräte verkauft worden sein. Der bekannteste Nutzer dieses Gerätes war Jean-Michel Jarre, und Stephen spielt eine kurze Sequenz an, die jeder EM-Fan sofort erkennt: Oxygene Teil 5. Nachdem Stephen das für seine Zeit ungewöhnliche Funktionsprinzip des RMI ausführlich erläutert hat, und es mit einer Mini-Performance hörbar gemacht hat, erzählt er noch kurz, auf welchen Wegen und Umwegen dieses Exemplar in seine Sammlung gelangt ist. Ein paar Anekdoten, zum Beispiel zur mechanischen Stabilität des Gehäuses, dürfen auch nicht fehlen. Der Firmengründer hat sich einmal auf einer Messe auf einen RMI draufgestellt, ohne dass das Gehäuse Schaden genommen hätte.

Während Stephen seinen Vortrag gehalten hat, wurde auf der Bühne eifrig ab- und aufgebaut. Wer letzte Woche in Holland war, der kennt die zweite Band bereits: P'Faun ist der neue Name von Betzler und Brückner, nachdem sie sich Tommy und Michael um Sammy David und Volker Lankow verstärkt haben. Stilistisch und namentlich knüpft P'Faun an die 80er-Jahre-Band P'cock an, bei der Tommy seinerzeit auch schon gedrummt hatte - Elektronik mit einem guten Schuss Krautrock. Ein kurzer Soundcheck muss reichen, dann kommt vom Michael die Ansage: "Rein terroristisch wären wir bereit" - bereit für eine Session, die direkt mit einer Improvisation über "So Ham" beginnt. Vielleicht hat das Quartett aus dem Gig in Oirschot gelernt, dass man sich für Krautrock erst einmal eingrooven sollte? Dafür ist ein Stück mit Freiräumen natürlich besser geeignet. Einmal warm gespielt, geht es mit "House in the Storm Part 2", einem alten P'cock-Titel weiter, und der funktioniert nach der "Warmlaufphase" dann richtig gut. Es macht auch nichts, dass Sammy in der Folge für einen Titel kurz Pause macht, danach steigt er für "Only One Life" ohne Probleme wieder ein - und dieser Titel will fast kein Ende nehmen, es läuft jetzt richtig gut bei P'Faun. "The Trip", in Oirschot noch der Einsteiger, ist hier die Zugabe. P'Faun spielt ihn in etwas gekürzter Form, denn auch bei so einem eher "offenen" Event gibt es noch einen rudimentären Zeitplan. Zumindest eine kleine Zugabe muss drin sein: Es wurde wieder das Risiko des freien Spiels gewagt, und es hat letzten Endes geklappt.

Die folgende Pause ist etwas länger als geplant, P'Faun hat deutlich mehr abzubauen und Sine Amplitude fast genauso viel wieder aufzubauen. Das gibt Raum für zwei Mini-Konzerte oder Präsentationen, ganz wie man will. Das erste dreht sich um ein modulares System von Buchla, das schon vorher die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich gezogen hatte: Es sieht auf den ersten Blick wie ein klassischer modularer Synthesizer aus, bei dem man die einzelnen Baugruppen frei verkabeln kann, das "Innenleben" ist jedoch digital und die Module sind zusätzlich durch einen Bus verbunden, so dass im Gegensatz zu einem rein analogen Aufbau das Abspeichern von Einstellungen möglich wird. Garniert wird das ganze noch mit einer Bedienphilosophie, die sich deutlich von Moog unterscheidet: Wolfgangschaltung aka Serge spricht hier von einer "Westküsten- versus Ostküstenkultur". Dazu kommt noch Software in den Modulen, die dem universitären Umfeld entstammt und wohl nicht immer ganz zu Ende entwickelt wurde. Eine weitere Besonderheit: von Hause aus bringen Buchla-Systeme keine klassische Tastatur mit, für die Vorführung wurden ein paar kleine Keyboards per MIDI-Interface angeschlossen. Um dem "Buchla-Spirit" gerecht zu werden, benutzt Serge in den folgenden 20 Minuten daneben noch einen mit dem Atem gesteuerten MIDI-Controller, wie man ihn vielleicht schon einmal bei Steve Baltes gesehen hat. Das Set ist sphärisch-schwärmerisch und darauf angelegt, die andere Klangfarbe der Buchla-Module zu demonstrieren. "Anders" heisst auf keinen Fall schlechter: Ganz im Gegenteil sehe ich kaum jemanden die Runde verlassen, ehe nicht der letzte Ton verklungen ist. Software-Abstürze und Reboots sind uns während dieser Vorführung erspart geblieben - wie Serge erwähnt, hatte er in der Vergangenheit nicht immer so viel Glück. Update: Mitschnitte des Konzertes: https://wolfgangschaltung.bandcamp.com/releases

Direkt herüber geht es zu Bert Feinstrom. Der hält sich nicht mit langen Vorreden auf und spielt einfach drauflos. Anstelle eines großen Systems sind hier zwei Dutzend kleine Kästchen und Effektgeräte miteinander verbunden. Dazu gehört eine Art "elektronischer Schnüffelsonde", die elektromagnetische Felder aufzunehmen und in Klänge zu verwandeln scheint. Ein weiterer origineller Sound-Input: ein kleines Gerät namens "Talking Trump", das Redeausschnitte des US-Präsidenten von sich gibt. In einen Sampler gespeist, zerhackt und geloopt ergeben sich interessante Effekte, die die ganze Leerheit von Trumps Wahl-Slogans bloßstellen.

Sine Amplitude ist gerade so eben fertig mit dem Aufbauen und beginnt mit den Sound-Checks, als die zweite Vorführung endet. Im ersten Moment mag man meinen, das Konzert hätte schon angefangen, klingt es doch schon recht vernünftig aus den Boxen. Es hapert aber wohl noch an den Front-Monitoren, über die die Musiker sich eigentlich selber hören sollten. Bis die zur Zufriedenheit der Aktiven eingepegelt sind, wird der eine oder andere Track angespielt und auch wieder abrupt abgebrochen. Bei einem "normalen" Konzert hätte man diese Proben-Phase gar nicht mit bekommen, man wäre erst zu Konzertbeginn hereingelassen worden. Hier beim Dinosauriertreffen, wo Ausstellung, Workshop und Konzert ineinander übergehen, ist das anders. Nach gut 20 Minuten Feintuning - der offizielle Konzertbeginn von 22 Uhr ist lange überschritten - geht es dann richtig los.

Das aktuelle Album von Sine Amplitude ist immer noch der Erstling "Hypnotized", und der Großteil der Titel in der folgenden Stunde stammt auch davon - nicht in der gleichen Reihenfolge, sondern wie es live am besten passt und "abrockt". Gerade Torsten Abel sieht man auch heute wieder an, wie er seinen Spaß bei der Sache hat. Die Atmosphäre hier in der Molkerei ist eine ganz andere als vor ein paar Wochen in der Kirche, hier kann er aus sich herausgehen. Um die Sache abwechslungsreicher zu gestalten, hat Torsten neben der üblichen "Keyboard-Burg" im Vordergrund einen Ableton Push aufgebaut. Den benutzt er in "Sunset at the Beach", einem von Martin "Martinson" Rohleder komponierten Titel, um mit ihm ein Duo im Vordergrund zu zelebrieren.

Sine Amplitude benutzt aber nicht nur moderne Technik: Torstens PPG Wave hätte auch problemlos in die Ausstellung gepasst, und Schlagzeuger Andreas Aulke spielt auf einem rein akustischen Schlagzeug, was die rockige Richtung von Sine Amplitudes Musik unterstreicht.

Sine Amplitudes Set war auf eine gute Stunde geplant, als die zu Ende ist, will man natürlich noch ein kleines "Betthupferl" als Zugabe hören. "Angst" von der "Hypnotized" verbreitet die passende Stimmung zu vorgerückter Stunde, und es gibt Andreas noch genug Zeit, wieder auf die Bühne zu kommen, ohne seinen Einsatz zu verpassen.

A propos "vorgerückte Stunde": Die Uhr zeigt fast Mitternacht, als die letzten Takte verklungen sind, Umbauten und Probleme bei Soundchecks haben sich auf fast eine Stunde summiert. Die Stunde bekommen wir heute Nacht aber wieder zurück, denn es ist die Nacht der Umstellung auf Winterzeit, vielleicht die letzte, die es geben wird. Um zwei Uhr werde ich noch auf der Autobahn nach Aachen sein, und werde doch um zwei Uhr im Bett liegen.

Das Dinosaurier-Treffen ist ein schönes Beispiel dafür, wie man mit Engagement und Ideen ein Event auch mal "etwas anders" gestalten kann. Wie die meisten anderen Events auch lebt es vom Einsatz der Veranstalter, und vom Zuspruch der Besucher. Hoffen wir, dass beides nicht versiegt, und dass es nicht wieder drei Jahre bis zum nächsten "Dino-Treffen" dauert.

Alfred Arnold

Über Empulsiv

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