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Fritten, Fotos über Fotos und ein volles Programm: B-Wave 2018

B-Wave ist von den "großen" EM-Festivals mit mehreren Konzerten traditionell immer das letzte im Jahr, mit einem Termin Anfang Dezember. Nicht immer schaffe ich es dorthin, stehen in der Adventszeit für mich (und vermutlich auch für andere) noch diverse andere, nicht EM-bezogene Termine an. Diese Jahr hat es aber gepasst, und ich mache mich kurz nach Mittag auf den Weg zum Kulturzentrum "De Muze" in Heusden-Zoldern.

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Für meine Verhältnisse ist es ein recht kurzer Weg von Aachen aus, gerade einmal eine dreiviertel Stunde braucht man über die Autobahn. Trotzdem bin ich alles andere als der oder die Erste, als ich im Foyer meine Eintrittskarte vorzeige und mir dafür ein rotes Armbändchen umbinden lasse. CD-Stand reiht sich an CD-Stand, und die Mini-Bühne für die beiden kleineren Konzerte in den Pausen steht auch bereits. Ich werde an diesem Tag fast die ganze "EM-Familie" sehen, einschließlich diverser Musiker, die sich wohl auch noch ein letztes Mal in diesem Jahr sehen wollen. Das ist ein schöner Erfolg für Johann Geens: Nach dem zuerst schleppend laufenden Kartenvorverkauf war es zeitweise unsicher, ob B-Wave in diesem Jahr überhaupt stattfinden würde. An dieser Stelle der obligatorische Hinweis: Wer sicher ist, zu einem Festival zu kommen, der kaufe sein Ticket so früh als möglich - das reduziert das finanzielle Risiko, das die Organisatoren immer eingehen müssen.

Auch wenn B-Wave noch eines der Festivals mit "jüngerer" Tradition ist, so ist die 2018er-Ausgabe doch schon das sechste. Aus diesem Anlass wird es ein Fotoalbum mit Bildern vergangener Jahre geben: Interessierte können sich auf einer Mailing-Liste eintragen. Highlight und Leckerbissen dieses Tages ist ohne Frage Michael Stearns, den Johann von der anderen Seite des "großen Teichs" nach Belgien locken konnte. Bis zu diesem Höhepunkt sind es aber noch drei große und zwei weitere kleine Konzerte, und da es auch bis zum Beginn des ersten Konzerts noch ein wenig Zeit ist, kann man in Ruhe die Stände abklappern: Mit Groove, Wool-E, Syngate, Manikin und Spheric Music ist fast die "komplette Riege" der einschlägigen EM-Labels vertreten, aber auch Einzelmusiker wie Stefan Erbe, Erik Seifert oder Volker Rapp präsentieren sich mit ihren Alben und bieten die Gelegenheit zum Rein- und Probehören. Bemerkenswerte Neuheiten dabei: Mit "Menzmann and Friends" ein neuer Name am Manikin-Stand, und gegenüber mit "The Return of Peru" ein ganz alter Name aus der Szene: Rob Papen möchte es wohl noch einmal wissen.

Komplettiert wird das ganze dann noch mit Ständen, an denen man Synthesizer ausprobieren oder gleich erwerben kann - sei es ein kleines Keyboard oder ein ganzes Doepfer-Modularsystem. Trotz Sonderpreisen an diesem Tag sollte dafür die Brieftasche aber deutlich besser gefüllt sein als für ein paar CDs.

Solcherlei Überlegungen legt man erst einmal zur Seite, als ein Gong zum ersten Konzert in den Saal ruft. Der Saal von "De Muze" ist ähnlich groß wie in Oirschot, und die Bühne noch einmal größer und tiefer - tief genug, dass die Instrumente für die folgenden Konzerte bereits im Hintergrund aufgebaut sind. Johann Geens und Mark de Wit nehmen sich natürlich noch etwas Zeit, die Besucher zu begrüßen, und weisen noch auf das anlässlich dieses Festivals erschienene Dreifach-Album "Ambient Nation 5" hin. Zwanzig Euro für einen solch umfassenden Überblick über die belgische Musikszene sind wahrlich ein günstiges Angebot. Aber dann heißt es auch schon: "Let's play!":

Diese Aufforderung nimmt "Aerodyn", der erste Act dieses Tages an. Wer regelmäßig EM-Konzerte in Belgien besucht, wird das aus Jan Buytaert, Alain Kinet, und Philippe Wauman bestehende Trio noch von Cosmic Nights 2017 kennen. Wird es ihnen auch dieses Mal gelingen, sich zu einer Performance zu finden? Der Einstieg ist heute weniger avantgardistisch, stattdessen verbreiten Naturklänge und atmosphärische Sounds eine relaxte Stimmung - vielleicht um das Publikum für die komplexe Sequenz empfänglich zu machen, die nach ein paar Minuten einsetzt. Mönchsartige Gesänge ergänzen das dichte Klanggemälde, während auf den Visuals im Hintergrund die ganze Zeit der Schnee rieselt - eine elektronische Winterlandschaft, in die man das Gefühl hat, immer tiefer einzusinken. Sequenzerlastige Passagen wechseln sich den Rest der Zeit mit eher flächigen Teilen ab, bis wir von ein paar Glockenschlägen wieder in die Realität zurückgeholt werden - das war gefühlt eine kurze Stunde, und Aerodyn hat bewiesen, dass Musik nicht unbedingt hektisch sein muss, um kurzweilig zu sein.

Was in "De Enck" der kleine Saal im ersten Stock ist, das ist hier in Heusden die kleine Bühne im Foyer. Das erste "Pausenkonzert" bestreitet Alienna, ein Name, der mir noch nicht geläufig war. Ihre Webseite lässt vermuten, dass sie eher als DJ unterwegs ist, und auch die auf der Bühne aufgebauten Gerätschaften lassen eher vermuten, dass gleich virtuell "aufgelegt" wird. Doch weit gefehlt: Was uns in den ersten Minuten zu Gehör kommt, erinnert eher an die Klang-Collagen, die große Namen der EM in den frühen 70ern gemacht haben, bis sie zu ihrem "Berliner Schule"-Stil gefunden haben. Diese Findungsphase scheint hier in Zeitraffer abzulaufen, denn als ob jemand den richtigen Schalter umgelegt hätte, ist die Sequenz und mit ihr die Struktur auf einmal da. Das funktioniert gut genug, um den Rest der ersten Pause zu füllen. Alienna selber scheint mit dem Ergebnis auch zufrieden zu sein, sie macht einen fast erleichterten Eindruck, als sie am Ende den verdienten Applaus entgegen nimmt.

Kurz darauf ruft der Gong zum zweiten Konzert in den großen Saal zurück. Nach zweimal Belgien geht es jetzt mit Pyramaxx nach Deutschland. Eigentlich ist Pyramaxx ja ein Trio, bestehend aus Axel Stupplich und Andreas Morsch, ergänzt um Max Schiefele an der Gitarre. Leider fällt Andreas wegen Krankheit heute aus, und so müssen Axel und Max alleine die richtige Mischung aus Rock und Elektronik finden, die sich auch schon auf zwei bisher veröffentlichten Pyramaxx-Alben findet. Dabei muss sich die Elektronik von Pyramid Peak etwas in Richtung Rock bewegen, und Max darf sich im Gegenzug auf seiner Gitarre nicht ganz so exzessiv austoben, wie man es von seinen Soloalben kennt. Das tut seiner Expressivität auf der Bühne aber keinen Abbruch, und auch das Fehlen des "dritten Mannes" bekommen Axel und Max an diesem Abend gut aufgefangen. Wir hören eine gute Stunde kraftvollen, elektronischen Rock mit einer warmen Note, der auch mal durch Soundeffekte wie einen durchfahrenden Zug angereichert wird. Ganz zum Schluss darf Max sich noch einmal richtig austoben. Den Kaffee in der ersten Pause hätte ich wohl gar nicht gebraucht - die leichte nachmittägliche Trägheit ist wie weggeblasen.

Hellwach geht es also in die große Pause. Die gute Nachricht für alle, die hungrig sind: die Imbissbude gegenüber von "De Muze" hat geöffnet, und von vergangenen Jahren weiss man, dass diese auch mit einem spontanen Ansturm von Besuchern gut klarkommt. Nach einer großen Portion belgischer Fritten ist noch genug Zeit für die anderen Dinge, die die Organisatoren für die Pause bereit gehalten haben: eine Autogrammstunde mit Erik Wøllo und Michael Stearns, und mit "Eiland" einen mit elektronischer Musik unterlegten Film. Etwas ganz besonderes: unter dem Titel "Ode ala pluie" eine Ausstellung von Gemälden, die vom Regen inspiriert sind - ein Thema, das gerade für den Aachener nur allzu vertraut ist. Die Bilder wirken auch so verlaufen, als hätte man sie versehentlich im Regen stehen lassen. Das ist in Wirklichkeit natürlich nicht der Fall, es ist eben die Fähigkeit der Malerin, es nur so wirken zu lassen und die Assoziationen zu wecken. Beschallt wird der Raum von atmosphärischen Klängen, die den Eindruck eines verregneten Abends verstärken. Ein Sessel mit Stehlampe steht bereit, nur das Buch müsste man noch selber mitbringen.

(Erg.: Verantwortlich für die Ausstellung war das Künstlerpaar Erica Hinyot (Gemälde) und Jean-Marc Lederman (Musik), die auch für Gespräche über ihre Kunst und rund um das Thema Musik und Malerei offen waren. Jean-Marcs Musik, die während der Ausstellung zu hören war, wurde durch die Ausstellung seiner Frau inspiriert. Neben den Bildern stellte Erica auch ein geleichermaßen inspiriertes Parfüm vor, das von ihrer Freundin Anne Pascale Mathy-Devalck (l'Antichambre) entworfen wurde.)

Bei all den sensorischen Eindrücken sollte man aber aufpassen, dass auch die längste Pause irgendwann vorbei ist und man das dritte Konzert nicht verpasst - der Gong reicht nämlich nicht bis ins untere Stockwerk.

Im dritten Konzert geht die Reise in den hohen Norden zu Erik Wøllo. Eine Einführung von Johann gibt es nicht, das Konzert startet einfach aus dem bereits laufenden Klangteppich heraus. Auch Erik setzt die Gitarre neben seine Keyboards ein, aber hier erleben wir die Antithese zu Max Schiefeles expessivem Spiel aus dem vorherigen Konzert. Es gibt quasi keine Bewegung auf der Bühne, und die Gitarrenklänge haben sich in das Gesamtbild einzufügen. Und das ist - wie schon die Ode an den Regen in der Pause - sphärisch. Wasser spielt auch hier eine große Rolle, nur kommt es dieses Mal nicht von oben. Stattdessen begleiten Bilder vom Meereswellen die Reise durch eine skandinavischen Fjordlandchaft. Erst nach zwei Dritteln des Konzerts kommen einige zarte Rhythmen dazu, aber die Gesamtstimmung bleibt nordisch-kühl und stimmig. Langer Applaus belohnt diese Leistung, und jetzt möchte auch Johann etwas sagen: "We want more!" ist die Aufforderung, die Reise noch um eine Station zu verlängern.

Derartig tiefen-entspannt geht es in die letzte Pause. Aliennas DJ-Platz auf der Mini-Bühne ist Geräten gewichen, die dem Fan klassischer EM schon deutlich vertrauter sein dürften: Viele Knöpfe, und mindestens genauso viele Patchkabel. Eigentümer dieses Aufbaus ist Peter Moorkens, der unter dem Namen "Onsturicheit" firmiert. Über die komplette Pause füllt er das Foyer mit an die Berliner Schule angelehnten, teilweise experimentellen und auf jeden Fall handgemachten Klängen. Die auch auf dem Tisch stehende Spieluhr entpuppt sich dann aber doch als reine Dekoration, sie bleibt unbenutzt. So ein Konzert im Foyer ist immer eine etwas "undankbare" Aufgabe, wollen viele Besucher doch in erster Linie reden oder die CD-Stände durchstöbern. Und doch gelingt es Peter, eine kleine Runde von Zuschauern an der Bühne zu halten. Selbige muss übrigens nach dem Konzert noch als Bank für ein Gruppenfoto herhalten.

Das letzte Mini-Konzert des Tages hätte ruhig noch ein wenig länger gehen können, denn der Einlass zum Konzert vom Michael Stearns verzögert sich. Die Schlange vor dem Eingang wird länger und länger, und es dauert noch fast eine weitere halbe Stunde, bis sich die Tür endlich öffnet. Einen erkennbaren Grund für die Verzögerung gibt es nicht - Michaels Aufbau steht immer noch auf seinem Platz ganz hinten auf der Bühne, wo er schon den ganzen Tag gestanden hat. Als Einstimmung laufen bereits sphärische Klänge, und als Michael auf die Bühne kommt, dimmt das Licht herunter. Die Einführung gibt er selber: Fast entschuldigend meint er, es gäbe "not a lot to watch". Dafür sei aber um so mehr zu hören: Der Saal von "De Muze" verfügt über Surround-Lautsprecher, das wird er im folgenden auch ausnutzen.

Bevor Michael uns in die (akustische) Mitte von irgend etwas versetzt, fängt er ganz klein an: mit der Gitarre und seinem eigenen Gesang. Im Stile eines Live-Looping nimmt er seine Stimme auf und begleitet sich danach dann quasi selber. Das ganze ist zwar noch kein Mönchsgesang, entwickelt aber schon eine spirituelle Note. In seiner Einführung hatte Michael erwähnt, dass er in Santa Fe wohnt, unweit der Prärie, in der noch die Indianer leben. Dorthin werden wir als nächstes geführt, und der Surround-Sound sorgt dafür, dass man sich wirklich ans nächtliche Lagerfeuer versetzt fühlt. Langsam anschwellende Rhythmen deuten an, dass sich am Himmel etwas "zusammenbraut", und in der Tat geht als nächstes ein Gewitter über uns hinweg, begleitet von den passenden Lichteffekten. Nach dem Gewitter ist erst einmal wieder Stille, nur ein paar Kojoten heulen in der Ferne.

Vom indianischen Lagerfeuer geht die Reise weiter zu anderen Kontinenten, ab jetzt auch begleitet von Bildern. Das alte Ägypten und seine Tempel sind die nächste Station, von dort aus geht es weiter durch den Rest der Antike, über die Renaissance bis in die Moderne mit ihren Wolkenkratzern. Aber in der Moderne ist nicht alles modern: Viele Ureinwohner leben heute noch so wie zu Zeiten der Antike, und die Bauten der Ägypter und der Maya stehen heute noch - wird das mit den modernen Tempeln aus Glas und Beton in 2000 Jahren auch noch so sein? Ob und, wenn ja, was der Künstler uns mit dieser Performance sagen wollte, darüber kann natürlich jeder seine eigene Meinung haben. Für mich war es eine Aufforderung, einmal darüber nachzudenken, wo die Menschheit aktuell steht, wie sie dorthin gekommen ist und wie es weitergehen könnte oder sollte. Michael Stearns Konzert ist an diesem Tag vielleicht nicht das "lauteste", aber auf seine Weise das intensivste Konzert gewesen - wenn man bereit war, sich darauf einzulassen.

bwave 2018 goodbye

Wer seine Gedanken noch nicht ganz zu Ende denken konnte, hat noch eine Chance: Mit dem Satz "We want an encore" fordert Johann eine Zugabe. "It's past my bedtime", antwortet Michael, aber an so einem Tag darf man vielleicht doch ein wenig länger aufbleiben. In der Zugabe kehren wir wieder in die Prärie zurück, wo die Reise ihren Ausgangspunkt genommen hatte. Mit einem "Take the engergy into the dreams" verabschiedet sich Michael von der Bühne. Auch wenn Michael eingangs behauptet hatte, es gäbe nicht viel zu sehen, war dieses Konzert trotzdem ganz großes Kino, nämlich für den Kopf!

Die letzten Worte bleiben Johann Geens, dem Gründer und Hauptorganisator von B-Wave überlassen: Er hat eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: dies war das letzte B-Wave in an diesem Ort - "De Muze" an der Dekenstraat schließt seine Tore. Die gute Botschaft aber gleich hinterher: B-Wave geht weiter, und zwar in dem neuen Kulturzentrum. Dies wird direkt an dem alten Zechengelände in Heusden-Zoldern liegen, das man vom letztjährigen Cosmic Nights-Festival kennt. In diesem Sinne: Glück auf, B-Wave!

Alfred Arnold

Fotos: Alfred Arnold und Stefan Schulz
Ergänzung: Stefan Schulz

Über Empulsiv

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