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Das Schallwende-Grillfest 2022 - alles bleibt anders

Drei Jahre ist es her, dass der Schallwende-Verein sein letztes Sommer-Grillfest veranstaltet hat. Corona-Beschränkungen sowie Krankheit und Tod der Vereinsvorsitzenden Sylvia Sommerfeld haben in den letzten beiden Jahren eine Fortsetzung dieser Tradition verhindert. Aber das Jahr 2022 liefert auch in dieser Hinsicht, was was man sich eigentlich schon vom Vorjahr versprochen hatte: Es kehrt Leben in die Veranstaltungsszene zurück, und entgegen teilweise geäußerter Befürchtungen ist das Interesse auch groß. In diesem Jahr wurde um eine Voranmeldung und einen (mehr symbolischen) Obolus von 5 Euro gebeten. Wenige Tage vor dem sechsten August hatten diesen bereits mehr als 50 Personen überwiesen, das Grillfest mit drei Live-Konzerten versprach also ein voller Erfolg zu werden.

Schallwende Grillfest 2022 Inf Banner

Ihren Neuanfang findet die Reihe der Grillfeste dort, wo sie 2019 ihr Ende gefunden hatte, nämlich bei Steffi und Bernd Glanemann auf ihrem Bauernhof bei Ahlen. Dieser bietet reichlich Platz, und die nicht so gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln lässt sich durch Bilden von Fahrgemeinschaften lösen. Wir haben uns zum Beispiel zu dritt auf den Weg nach Ahlen gemacht, und sind so rechtzeitig los gefahren, dass wir um 14 Uhr eintreffen.

Fleißige Hände haben um diese Zeit schon die meisten Vorbereitungen erledigt: Der Grill steht, einige Zelte im Garten ebenfalls, die an diesem Tag nur Schutz gegen die Sonne und nicht gegen Regen spenden werden müssen. Die Scheune mit einer aus Holzpaletten gebauten Bühne wird als Konzertsaal herhalten. Sitzplätze für Zuschauer gibt es sowohl ebenerdig davor, als auch quasi im "ersten Stock", falls man sich die steile Treppe heraufzusteigen traut. Die vier Musiker haben bereits um 10 Uhr am Vormittag angefangen, ihre Geräte zu verkabeln und sind zusammen mit Dieter und Winnie gerade beim Sound-Check. Einen Raum weiter ist die Theke aufgebaut. Wertmarken sind bereits zu haben und können in Getränke oder Kuchen umgesetzt werden. Bis der Grill angeheizt wird, ist noch etwas Zeit. Die wird uns bis dahin nicht lang werden:

Zum einen beginnen die unter den Zelten aufgestellten Tische sich mit CDs zu füllen. Kilian mit seinem Syngate-Label ist nach einer längeren - Operations-bedingten - Abstinenz wieder einmal auf einem Event mit einem CD-Stand vor Ort und hat einige neue Alben der bei ihm veröffentlichenden Musiker mitgebracht. Auch Stefan Erbe, der direkt daneben seine Diskographie - zumindest den Teil davon, der noch auf CD verfügbar ist - ausgebreitet hat, kann mit "Distopia" einen Neuzugang vorweisen. Dieses Album ist zwar bereits seit ein paar Monaten als Download erhältlich, auf der physischen Version finden sich aber wie schon beim Vorgänger "Serbenity" ein paar Bonus-Tracks, die man auf anderem Wege nicht
erhält. Ähnliches soll in naher Zukunft mit der 2020er-Veröffentlichung "Breathe" erfolgen.

Stefan Erbe bietet heute nicht nur seine eigene Alben an, auch die Alben der heute aufspielenden Musiker haben auf seinem Tisch noch ein Plätzchen gefunden. Und wenn er nicht gerade Interessenten bei der CD-Auswahl berät, so hat er als Musik-Produzent und -Komponist mit jahrelanger Erfahrung auch immer ein offenes Ohr für die Probleme und Fragen anderer Musiker, die nach Verbesserung ihrer eigenen Fähigkeiten streben. Seit kurzem bietet Stefan zu diesem Zwecke auch wieder Workshops an.

Vervollständigt wird die Reihe der CD-Stände von Lamberts Label "Spheric Music". Neben Künstlern wie Robert Schroeder, die bei Lambert veröffentlichen, finden sich auch immer wieder Raritäten und Schätze aus früheren Jahren und Jahrzehnten. Selbst die Liebhaber von Vinyl-Platten kommen am Spheric-Stand auf ihre Kosten.

Der andere wichtige Programmpunkt des Tages vor Konzerten und Würstchen: Wie jeder ordentliche Verein muss auch Schallwende regelmäßig eine Mitgliederversammlung abhalten, und wie beim Aachener Computerclub, dem ich vorsitze, hat sich die Kombination mit dem Sommerfest als die Variante erwiesen, die am besten funktioniert. Klaus Sommerfeld - der seit Sylvias Tod im Dezember den Verein leitet - trägt den Tätigkeitsbericht der vergangenen Jahre vor. Es ist natürlich ein Bericht mit Höhen und Tiefen, geprägt von Highlights wie Preisverleihungen, aber auch von Tiefpunkten wie wegen Corona ausgefallenen Konzerten und dem Tod der Vorsitzenden. Der wichtigste Punkt: Der Verein hat die Zeit überstanden, nicht zuletzt durch den Einsatz von Klaus, für den ihm an dieser Stelle noch einmal ausdrücklicher Dank gebührt. Dem schließen sich die Berichte des Kassenführers sowie der Kassenprüfer an: keine Beanstandungen, so kann der Vorstand ohne Gegenstimmen entlastet und ein neuer gewählt werden. Klaus Sommerfeld, der in den letzten Monaten den Posten des Vorsitzenden bereits übergangsweise übernommen hat, hat ihn jetzt auch offiziell. Zu seinem Vertreter wird Andreas Pawlowski gewählt, und die Kasse bleibt in den Händen von Norbert Rescher. Gäbe es noch weitere Themen, die zu diskutieren wären? Ein Thema, das in vielen Vereinen immer wieder zur Sprache kommt, ist die Werbung neuer Mitglieder und wie die Sichtbarkeit des Vereins verbessert werden kann. Ein durchaus ambitionierter, aber nicht unrealistischer Vorschlag: Sich auf der nächsten Superbooth in Berlin zu präsentieren. Man wird sehen, ob und wie sich das realisieren lässt.

Nach Ende der Mitgliederversammlung wird noch eine kleine Pause für Kaffee und Kuchen gewährt - der Grill ist noch nicht ganz bereit, die erste Grillwurst muss also bis nach dem  ersten Konzert warten. Dieses wird von Peter Dekker, der seit einiger Zeit unter dem Namen "Däcker" auftritt, gestaltet werden. Eigentlich hätte Peter schon auf Schallwelle- Preisverleihung im Frühjahr spielen sollen, war er doch der Preisträger "Entdeckung" im Jahr 2021. Organisatorische Gründe verhinderten den Auftritt im März, das wird jetzt nachgeholt. Wer Peter in Eindhoven auf dem E-Day hat spielen sehen, dem wird seine Keyboard-Burg mit diversen klassischen Synthies bekannt vorkommen. Sie fällt heute vielleicht ein klein wenig bescheidener aus, was dem beschränkten Platz auf Bühne und im Auto geschuldet sein dürfte - beides hat Peter sich mit "Skoulaman" Hans van Kroonenburg geteilt.

Zu allererst kommt aber noch ein anderes, gänzlich un-elektronisches Instrument zum Einsatz. Mit einem Glöckchen werden die Besucher in die Scheune gerufen, bevor Captain  Dekker abhebt. Spacige Sound-Effekte, die nicht von dieser Welt sind, tragen uns hinfort und werden auch während der Reise den Sprung zu einer anderen Welt anzeigen. Flächen und Chöre illustrieren die erste Station, das könnte ein Wüsten- oder Eisplanet sein.  Hat Peter eigentlich schon einmal überlegt, sich als Film-Musiker zu betätigen, das Einfangen von Stimmungen gelingt ihm ja sehr gut?

Weiter geht es zum Planeten 'Sequentia': Fette Sequenzen, wie man sie von Peters Album "Pareidolia" kennt, bilden das Fundament für ein improvisiertes Spiel, das bewusst  'unbequem' daher kommt: Auf diesem Planeten scheint es Konflikte zu geben, welche das auch immer sind - man darf sich hier gerne etwas Ähnliches wie auf unserem eigenen blauen Planeten dazu denken. Wie dem auch sei, Peter macht es jetzt selber sichtlich Spaß und er ist im "Tunnel". Er hatte 'etwas anderes als in Eindhoven' versprochen, und das bekommen wir jetzt auch - gut so!

Auf dem nächsten Planeten bleibt der Klangteppich genauso dicht, die Sequenzen werden aber Schulze-artiger und variabler: das könnte ein Waldplanet sein. Auf der letzten Station umschmeicheln uns sanfte Melodien und Harmonien - der Film hat ein Happy End. Aber so ganz ist das noch nicht das Ende, ohne Zugabe kommt Peter nicht von der Bühne oder von den Paletten: Ein getragener Piano-Part der sich zu einem bombastischen Finale steigert: Jetzt ist der Film komplett. Peters Vorbereitungen und Anstrengungen haben sich gelohnt, er hat ein Füllhorn der Stile und Stimmungen in einer knappen Stunde ausgebreitet. Die Wurst vom Grill hat er sich redlich verdient, für die er und wir uns jetzt anstellen.

Wie zu erwarten, hat der Mann am Grill nach dem ersten Konzert einen enormen Ansturm zu bewältigen, und er gibt sich alle Mühe, dass es nicht zu lange dauert, bis jede(r) die erste Wurst des Tages auf dem Teller hat - sie muss ja auch durch sein und es hat keinen Sinn, halb Gares zu verteilen. Am Nachschub wird aber kontinuierlich gearbeitet, und so ist die Wartezeit auf Wurst Nummer zwei schon deutlich kürzer. Die Pause nach dem ersten Konzert ist so bemessen, dass niemand mit halb vollem Magen wieder in die Scheune eilen muss, als das Glöckchen zum zweiten Konzert ruft.

Die Glocke hat sich nämlich als so etwas wie der "Running Gag" des Tages unter den Musikern erwiesen. Dieses Mal machen Jürgen Bruhn und Björn Vogelsang davon Gebrauch, die als "Suriya" firmieren. Obwohl sie es sich vor der Bühne aus Paletten bequem gemacht haben, legen sie Wert auf die Feststellung, dass sie keine Vor-Band sind - dieses Duo ist lange genug zusammen und hätte genug Erfahrung und Programm, einen ganzen Abend alleine zu füllen.

Man merkt vom ersten Moment an, dass Björn und Jürgen sich sehr gut verstehen und bereits ein kurzer Augenkontakt zur Absprache genügt. Björns Schwerpunkt sind dabei die Keyboards sowie ein selten auf der Bühne gesehener Blas-gesteuerter MIDI-Controller, der nach dem Konzert noch für die eine oder anderen interessierte Rückfrage sorgen wird. Jürgen andererseits ergänzt mit der Gitarre oder Steeldrum, die auch schon einmal für ein Solo in den Vordergrund treten kann. Von Titel zu Titel ziehen Jürgen und Björn sich gegenseitig immer weiter weiter hoch, so dass in die chillige und loungige Atmosphäre gerne auch mal ein paar Funk- und Soul-Elemente einfließen dürfen. Dass dabei der eine oder andere "Happy Accident" passiert, wie Björn sich später ausdrückt, das ist dem Großteil der Hörer wohl gar nicht aufgefallen, so gut funktioniert die Stimmung, die "Suriya" im zweiten Konzert verbreiten. Es fehlt eigentlich nur noch die Bedienung, die die dazu passenden Longdrinks reicht. Dass man den Stil aus der Sicht des Elektronik-Puristen vielleicht als Grenzwanderung empfinden mag - mag sein, aber auch so etwas passt auf eine Veranstaltung des Schallwende-Vereins. Auch "Suriya" werden nicht ohne Zugabe entlassen. Björn leitet diese mit einem Zitat von Jochen Malmsheimer ein, die Ausarbeitung einer Zugabe beweise lediglich die Unfähigkeit, das Material in normalen Programm unterzubringen. Dann nehmen wir auch gerne etwas nicht Ausgearbeitetes: Ein schönes, melodiöses Thema, das das geplante Programm passend abrundet.

Nach einer brütend heißen Woche und einem Freitag mit Gewittern zeigt sich dieser Samstag von der gemäßigten Seite: angenehm warm, aber auch nicht zu sehr. Es wird langsam dunkler über dem Ahlender Himmel und auch die Temperaturen gehen in einen Bereich zurück, der den Griff zur mitgebrachten langen Hose oder Strickjacke angeraten erscheinen lässt. Außerdem ist nach wie vor der Grill in Betrieb und verzehr-fertige Würstchen sind jetzt fast "instant" verfügbar. Zeit ist wieder genug, bis die Glocke zum dritten Konzert  läutet...oder - genauer gesagt - es Jürgen nach einigen Anläufen und Entwirren des Seils gelingt, der Glocke einen Ton abzuringen. Tja, eine Glocke ist halt keine Steeldrum, und Glöckner ist ja nicht ohne Grund ein Ausbildungsberuf...

Geschlagen hat die Glocke in diesem Fall für Hans van Kroonenburg aka 'Skoulaman', der uns zum Abschluss wieder "Elektronik pur" präsentieren wird. Eine weitere Parallele zum ersten Konzert des Tages: Hans hat mindestens so viel Sound-Erzeuger-Hardware auf die Bühne geschafft wie Peter - angeblich sollen es drei Viertel seines Studios sein. Was er damit an die Lautsprecher schicken wird? Jeweils zwei Tracks von seinen beiden neuesten Alben "BYSSed" und "Mundus in Motu". Wie bei Vertretern der eher klassischen EM dürfen die Titel ja gerne etwas länger sein, eine knappe Stunde lässt sich mit vieren davon problemlos ausfüllen.

Wer Hans und seine Musik kennt, weiß aber, dass er den Stil der 70er nicht einfach kopiert, sondern auf seine ganz eigene Art weiter entwickelt hat. Die Sequenzen, die Hans nach und nach auf den Basis-Flächen entwickelt, wirken durch Arpeggio-artige Effekte frisch und leicht - Hans kann sich diesem Effekt selber auch nicht entziehen und schnippt den Rhythmus mit, während er von einem Keyboard zum anderen springt. Ab Track drei wechselt die Stimmung von meditativ zu fröhlich und optimistisch - hier kommt vielleicht nicht gleich die ganze Welt in Bewegung, aber hier in der Scheune wirkt es allemal: Die Zeit vergeht wie im Fluge, und auch Hans wird nicht ohne Zugabe von der Bühne gelassen. Er hat nicht nur etwas vorbereitet, er lässt uns auch noch die Wahl: Dieses Keyboard hier oder der Modulare - die Mehrheit wünscht den Modularen. Nehmen wir diese Sequenz oder jene als Basis - die erste war besser.

Und mit dieser Sequenz geht das Konzert dann noch einige Minuten weiter, bis wirklich die letzte Note des Abends gespielt ist. Klaus Sommerfeld, frisch gebackener Vorsitzender, verabschiedet die Gäste, nicht ohne sich noch einmal bei unseren Gastgebern, den Glanemanns, zu bedanken, die die Pforten ihres Hofes heute weit für uns geöffnet haben. Wo das Grillfest nächstes Jahr stattfinden wird? Man wird sehen, vielleicht auch wieder einmal in der Gruga, sofern man einen der raren Grillplätze ergattern kann. Für den Schallwende-Verein liegen erst einmal andere Termine in näherer Zukunft: EM-Breakfast, Hello 2023, und - last but not least - an der nächsten Schallwelle-Preisverleihung wird auch bereits geplant. Das sind Events mit langer Tradition, aber der neue Vorstand wird sie ohne Frage an die neuen Gegebenheiten anzupassen wissen. Wir dürfen gespannt sein. Einstweilen: Glück auf, Schallwende!

Alfred Arnold

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.