Es ist mittlerweile schon zu einem Standard geworden, dass bei den jährlich stattfindenden Elektronikfestivals E-Day und E-Live eine CD mit bisher unveröffentlichtem Material der auftretenden Künstler herauskommt. Diese CDs sind bei den Konzerten erhältlich, können aber meist auch zu einem späteren Zeitpunkt noch in begrenzter Auflage nachbestellt werden.
Beim E-Day, der am 16.04. im niederländischen Oirschot stattfand, traten die beiden niederländischen Elektronikmusiker Remy und Rene Splinter mit jeweils einem Solokonzert auf. Daneben waren der aus Norwegen stammende Musiker Erik Wollø sowie der deutsche Elektroniker und Schlagzeuger Harald Grosskopf zu sehen. Der Sampler „E-Day 2011“ bietet neun Stücke dieser Musiker.
Während Rene Splinter der Musik im Stile der großen Tangerine Dream nacheifert, bewegt sich sein Landsmann Remy mehr im „Berliner Schule“-Stil von Klaus Schulze. Erik Wollø zaubert dagegen sehr atmosphärische Sounds, die er vor allem mit seiner E-Gitrarre erzeugt. Und Harald Großkopf, der zusammen mit Axel Manrico Heilhecker und Udo Hanten auf der Bühne stand, steht eher für die rhythmische Fraktion. Harald macht auch unter dem Projektnamen Sunya Beat zusammen mit Axel Manrico Heilhecker (Gitarre) und Steve Baltes (Electronics) Musik. Dieses Trio trat auch schon im Jahr 2004 beim E-Live auf. Und von Synya Beat befinden sich drei Tracks auf dem Sampler.
Den Start macht „Bahnhof Zoo“ von Rene Splinter, der in diesem Stück einen rhythmischen Sound produziert, der stark an Tangerine Dreams Musik Anfang der 80’er Jahre – so um das Album „Exit“ – angelehnt ist. Sein zweiter Track „Tunnel Vision“ ist ebenfalls im 80’er Jahre-Sound von Tangerine Dream verwurzelt. Auch der letzte Track ist von Rene Splinter im TD-Stil gehalten. Doch bringt er hier auch eine eigene Handschrift mit in den Titel, so dass dieses Stück doch etwas vom großen Vorbild abweicht.
Von Remy stammt nur ein einziges Stück, das ist dann aber mit 16:34 Minuten Spielzeit auch das längste des Albums. „Shadow Of Ignorance“ heißt der Track, der zunächst rhythmisch und mysteriös beginnt. Remy baut zu Beginn einen intensiven Spannungsbogen auf, denn der Track entwickelt sich erst langsam und die Synthieklänge kommen aus weiter Ferne aus dem Off und treten nur langsam in den Vordergrund. Doch sobald sie deutlich zu hören sind, kommt ein Sound wie von Klaus Schulze zum Tragen. Hier ist das Vorbild von Remy deutlich auszumachen. Je länger der Track wird, umso hypnotischer und druckvoller wird er. Ähnlich wie das Vorbild Schulze schafft es Remy in diesem Stück, den Hörer zu fesseln.
Mit den beiden aufeinander folgenden Stücken „Ataraxia 1“ und „Ataraxia 2“ ist Erik Wollø vertreten. Lebt Part 1 zunächst noch von seinem Rhythmus, setzen nach gut anderthalb Minuten die von Wollø so bekannten und geliebten Soundkaskaden ein, die er unter anderem auf seiner E-Gitarre zaubert. Das geht sofort unter die Haut. „Ataraxia 2“ ist ein eigenständiges Stück, das nicht nahtlos an „Ataraxia 1“ anschließt. Auch spielt Erik hier andere Harmoniefolgen. Der Track schwebt so leicht durch den Raum, dass man förmlich von ihm fort getragen wird.
Harald Grosskopf & Friends (aka Sunya Beat) liefern dann die drei Stücke „E-Day Live 1“ bis „E-Day Live 3“. Der erste Part ist recht schräg und hat etwas von sphärischem Spacerock mit Krautrock-Einschlag. Das liegt vor allem an der ungewöhnlichen Rhythmik und der von Axel gespielten E-Gitarre. Part 2, eine Version vom Stück „Delih Slide“, ist dann ein treibender Track mit einem asiatisch wirkenden und hypnotisch anmutenden Rhythmus. Part 3 wirkt dagegen eine Spur jazzig, da sich die unterschiedlichen Sounds mal harmonisch, dann wieder disharmonisch miteinander verbinden.
„E-Day 2011“ ist ein gelungener Sampler, der Freunden der „Berliner Schule“ genauso gefallen wird, wie den Fans der rhythmischen, abstrakten Fraktion (hierfür steht die Musik von Harald Grosskopf) und den Liebhabern der sphärischen Musik eines Erik Wollø. Ein sehr guter Sampler der eine Menge Abwechslung bietet. Zudem ist er durch seine begrenzte Auflage auch ein Sammelobjekt.
Stephan Schelle www.musikzirkus-magazin.de