Jemand geht eine Straße entlang. Autos fahren schnell vorbei. – Das klingt wie die unmittelbare Umsetzung des Titels „A Return To Cromley Hall“, was allerdings nicht ganz zutreffend ist. Zumindest, was den Zeitpunkt der Rückkehr angeht. „A Return To Cromley Hall“ ist die Fortsetzung des Albums “A Diary Of Occurrences”, das 2010 erschien (siehe schalldruck Nr. 43, 10/2011). Andy Condon aus Essex (GB), der The Glimmer Room ist, führt mit dieser etwa 46 Minuten dauernden EP seine Erzählung über The Borley Rectory fort, die als Trilogie angelegt ist.
Diese Fortsetzung findet im engeren, d. h. musikalischen Sinn jedoch nur im ersten Track, dem Titelstück, statt. Mir stellte sich zunächst die Frage, wieso das Album mit „A Return To Cromley Hall“ überschrieben ist, wenn es doch um das Pfarrhaus von Borley geht. Cromley Hall? Des Rätsels Lösung schrieb mir Andy Condon selber: Lionel Foyster, der mit seiner Frau Marianne von 1930 an für 15 Monate The Borley Rectory bewohnte, hat seine Geschichte in Buchform gebracht und für diesen Zweck die Namen aller Personen geändert, und das Haus Cromley Hall genannt. Allerdings ist das Buch niemals verlegt worden, weshalb ich auch im Internet keine Verbindung zwischen Cromley Hall und der Borley Rectory finden konnte.
Wenige Sätze zur Geschichte hinter der Borley Rectory hatte ich schon in der Rezension zu „A Diary Of Occurrences“ spendiert. Wenn sich The Glimmer Room eine ganze Trilogie lang Zeit nimmt, diese Geschichte musikalisch zu erzählen, so ist es vielleicht interessant, sich diese ein bisschen anzuschauen. Eine Rezension bietet allerdings nicht genügend Raum dafür. Bei Wikipedia z. B. findet sich alles, was wichtig ist.
„A Return To Cromley Hall” nun richtet den Blick auf die letzten Minuten der Reise von Lionel und Marianne Foyster, die sie, von Kanada kommend, im Oktober 1930 in besagtes Pfarrhaus von Borley führte. Es ist der Weg über die alte Landstraße, der die Grundlage für die nun zu hörende Musik ist. Andy Condon ist knapp 83 Jahre nach den Foysters dieselbe Straße gegangen – zu hören zu Beginn, und in Gänze als eigener Teil des Albums: „Walk To The Rectory 10 April 2013“.
Um sich in die beiden auf ihrem Weg hineinzuversetzen, lief Andy Condon denselben. Weil er sich vorstellte, wie Marianne sich gefühlt haben mag, als sie 1930 dort zum ersten Mal auf die Borley Rectory zuging. Und das möglicherweise mit all den Geschichten über das Haus im Kopf, die ihr Mann Lionel ihr zuvor erzählt haben mag. Marianne Foyster kam zum ersten Mal nach Borley; Lionel war wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen bereits zuvor dort gewesen.
Wie schon bei „A Diary Of Occurrences” vermittelt die Musik keineswegs ein schauriges Gefühl, wie das Sujet vielleicht nahelegen würde. Möglicherweise Unheimliches oder Düsteres haftet ihr zwar anfangs an. Nach den Schritten sind als Intro etwas mysteriöse Töne zu hören, die sich stimmungsmäßig sowohl positiv als auch negativ entwickeln könnten. Für einen Moment ist die Musik also in jeder Richtung offen. Spätestens jedoch, wenn das Klavier einsetzt, ist die romantische und durchaus schöne, je nach Veranlagung des Hörers auch positive Atmosphäre vorherrschend. Und damit ist auch die Stimmung des vorhergehenden Albums „A Diary Of Occurrences“ wieder aufgenommen. Der Weg den Hügel hinauf zu dem Ort, wo das Pfarrhaus einst stand, ist zwischendurch immer wieder hörbar mittels singenden Vögeln, Schritten und vorbeifahrenden Autos. An einer Stelle wird eine solche Vorbeifahrt sogar zum „Motor“ der Veränderung eines Klangs, eines Tons.
Ob es den Begriff „melodische Ambientmusik“ gibt, weiß ich nicht. Ich würde diesen 21 Minuten wunderschöner Elektronischer Musik jedenfalls ein solches Etikett aufkleben. Bilder steigen beim Hören der Musik auf: Der Weg durch von Hecken gesäumte Felder, vereinzelt ein Baum, es ist ein sonniger, nicht zu warmer Tag. Nach 15 Minuten scheint das Stück zu enden. Doch es ist ein Wechsel in der Stimmung. Vielleicht macht der Weg zum Pfarrhaus eine Biegung und gibt den Blick auf das Haus (bzw. den Ort, wo es einmal stand) frei. Die Musik jedenfalls bekommt eine leicht dunklere Färbung. Unsicherheit macht sich breit, was Marianne dort erwartet... So offen und erwartungsvoll endet auch das Stück.
Anders entwickelt sich der Ross Baker Remix von „Walking With Marie Lairre“. Das Stück stammt eigentlich von „A Diary Of Occurrences“, und wurde von Ross Baker neu interpretiert. Der Name dieses englischen Musikers war mir bislang völlig unbekannt. Andy Condon kennt und schätzt ihn schon einige Jahre, und so trat er mit der Bitte um eine Bearbeitung des Tracks an Ross Baker heran. Andy war von diesen Remix derart begeistert, dass er ihn hier mit veröffentlicht hat. Die Essenz von „Walking With Marie Lairre“, wie z. B. die glockenhellen Klänge, die sich in mein Gedächtnis eingegraben haben, sind erhalten geblieben. Aber drum herum hat Ross Baker ein Stück gewoben, was den Ursprung doch sehr verändert. Daher passt der Begriff „reworking“, den Andy Condon auch verwendet, viel besser, als das im Titel genannte „remix“. Es ist ein bisschen wie eine Sound-Collage, es werden unterschiedlichste Elemente wie gesprochene Texte, maschinell klingende Geräusche und Flugzeuge, Vogelstimmen, und eben auch einzelne Töne verwendet. Zwischendurch tauchen immer wieder die Klavierläufe und glockenartigen Klänge von The Glimmer Room auf. Die Melodie, die in dem Stück ursprünglich enthalten ist, wurde aber ganz weggelassen. Ich persönlich habe noch nicht wirklich einen Zugang zu dem Ross Baker Remix gefunden. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich nicht recht vom Original lösen mag, weil es mir so gut gefällt. Was hier im Ross Baker Remix aber im Gegensatz zur Originalversion deutlicher transportiert wird, ist eine seltsame oder auch etwas gespenstische Stimmung. Die ist im ganzen Stück zu spüren, im letzten Drittel noch verstärkt.
Der abschließende Track, „Walk To The Rectory 10 April 2013”, ist eben genau das, was der Titel aussagt. Es ist die Aufnahme („field recording“) von Andy Condons Gang zum Ort der Borley Rectory. Von daher hat es mit Musik an sich nichts zu tun, ist hier auf dieser EP aber auch nicht sinnlos. Gedacht ist es für die Leute, die akustisch und sozusagen im Geiste mitgehen möchten. Außerdem ist diese Aufnahme das „sound bed“ in „A Return To Cromley Hall“, wenn es auch nur momentweise im Titeltrack zu hören ist.
Nach diesem zweiten Teil der musikalischen Geschichte über The Borley Rectory bin ich sehr gespannt auf den Abschluss der Trilogie, und welcher Aspekt der Story dann im Mittelpunkt stehen wird.
Bezug: http://theglimmerroom.bandcamp.com/releases
Andreas Pawlowski