Zuerst gehört habe ich dieses neue Spyra-Album als Livekonzert im Bochumer Planetarium. Auch durch die dort gesehenen Projektionen wurde gleich eine recht kosmische Atmosphäre geschaffen. Das muss nicht unbedingt in der Absicht des Musikers gelegen haben, denn bei dem Album „Staub“ geht es nicht primär um kosmische Themen.
Ich lasse gerne Wolfram Spyra selber zu Wort kommen und zitiere aus dem CD-Booklet: „… I got to thinking about electronic music and its genesis, asking myself where it all startet and where it’s at now. … Somewhere, at some time, I started experimenting with an old Juno 6 and fell in love with sequences all over again. Apparently all ordered and logical, but then, the more I played and the deeper I listened, the more chaotic and unpredictable their sound became. Late in 2013 I started to record my sessions. Always in the middle of the night while the city was asleep. … At last, I was back, dreamily, in my element.”
Es dreht sich also eher um die Essenz der Elektronischen Musik, um den Kern. Bereits in Bochum empfand ich Wolframs neues Werk sehr reduziert und essenziell, so dass ich seine Worte, die ich erst später las, bestens nachvollziehen kann. Das ist der Schlusssatz im Booklet: „One man, one synth and glitches, back to basics. Essential electronica.” Dabei könnte man es belassen – aber dann wäre es auch überflüssig, eine Rezension zu schreiben. Also füge ich dem doch ein paar Sätze hinzu.
Naturgemäß hat man beim Hören der CD einen anderen Eindruck als beim Konzert. Eine unterschiedliche Umgebung, andere Atmosphäre, live bzw. die „Konserve“ im heimischen Wohnzimmer… So erinnerten mich die Klänge im ersten Stück („Dusk“) momentweise an Tomita, jedenfalls während des Konzerts. Bei der CD höre ich diese Ähnlichkeit nicht mehr. Aber „Dusk“ hat überraschende Wechsel in der Tonhöhe, die in dieser Art nicht sonderlich oft zu hören sind, mir aber von Spyra durchaus bekannt sind. Dieses Stilmittel setzt Wolfram auch auf seinem neuen Album mehrmals ein.
„Staub“, das Titelstück, hat ebenso wie „Dusk“ eine „kleinteilige“ Basis, hervorgerufen durch die Sequenzen – Staub eben. Im Laufe des Tracks werden die Klänge „massiger“, mit mehr Bass und Volumen. Und auch hier gibt es Wechsel in der Intensität, der Tonhöhe und der Lautstärke. Sparsam werden ein paar Effekte eingepflanzt, die Akzente setzen.
Über das folgende „Glacier“ sagte Wolfram im Planetarium, das sei ein Arpeggio in verschiedenen Variationen, von Hand gespielt. Auf alle Fälle ist es von Beginn an völlig anders als die beiden ersten Titel. Längere Töne, zusammenhängender, mehr ineinander übergehend. Die Sounds sind näher an den Klängen einer Orgel, zumindest zeitweise. „Spiral“ von Vangelis ist ein Stück, an das mich Wolframs Musik hier erinnert.
Die „Etude“ soll laut Spyra etwas für die Freunde der „Düsseldorfer Schule“ sein. Und in der Tat, Cluster, Neu! usw. sind der große Geist, der musikalisch über diesem Stück schwebt. „Etude“ hat eine ausgeprägte Melodie, die mit Flöte bzw. Mellotronklängen intoniert wird, und eine wunderschöne Sequenz. „Etude“ wirkt auf mich wie die Quintessenz der Düsseldorfer Schule à la Spyra – was jetzt vielleicht nicht ganz nüchtern betrachtet wird bzw. ein sehr subjektiver Eindruck ist.
Durch Schlichtheit beeindruckt mich „Ecce Homo“. Am Anfang fast meditativ und durch den Titel an die Passionsgeschichte denkend, nähert sich das Stück langsam mittels der eingesetzten Sequenzen an die vorhergehenden Tracks an. Es bleibt also nicht so ruhig, behält aber seine Intensität bei. Auch „Ecce Homo“ beinhaltet manch ungewöhnliche Sounds und Klangfärbungen.
Den Abschluss bildet das Stück mit dem ungewöhnlichen Titel „Flur“. Die tiefen Töne stehen zunächst im Vordergrund und auch im weiteren Verlauf bleibt eine Sequenz im Bassbereich sehr ausdrucksstark. Mehrere Sequenzen in verschiedenen Tonlagen und unterschiedlichen Klängen machen das ganze Stück aus. Der Bass wird sogar sehr durchdringend und rhythmisch.
Ein auf das Wesentliche konzentriertes und trotzdem abwechslungsreiches Album zu komponieren und einzuspielen, das bringt noch lange nicht jeder zustande. Wolfram Spyra ist einer, dem es mit „Staub“ gelungen ist. Nicht umsonst ist Spyra einer der großen Namen in der Elektronikmusik, und ich freue mich sehr, dass ich die Gelegenheit hatte, sein neues Album live zu erleben, und die Musik gleich mit nach Hause nehmen zu können!
Andreas Pawlowski