Bernhard Wöstheinrich ist unter den Elektronikmusikern, die mir bekannt sind, einer der kontakt- und experimentierfreudigsten. Mit den unterschiedlichsten Künstlern hat er schon zusammengearbeitet. Das Album „Homayoun“ hat er gemeinsam mit dem amerikanischen Musiker und Philosophen David Rothenberg und Ali Sayah, Berliner mit iranischen Wurzeln, produziert. David Rothenberg ist im Oeuvre von Bernhard Wöstheinrich bereits ein „alter Bekannter“, Ali Sayah dagegen meines Wissens nach zum ersten Mal dabei.
Der Albumtitel ist erklärungsbedürftig. „Homayoun“ ist laut Wikipedia persisch für Glück oder glückverheißend und „als ursprünglicher Melodie-Titel die Bezeichnung eines musikalischen Modus im Dastgah-System“. Dastgah wiederum „ist ein unter anderem durch seine Tonabstände (Intervalle der zugrundeliegenden Tonleiter) charakterisiertes modales System in der traditionellen persischen Kunstmusik“. (Quelle: ebenfalls Wikipedia.)
Sehr ungewöhnlich für elektronische Musik sind auf „Homayoun“ die Instrumente. Ali Sayah spielt Bass (nicht ganz so ungewöhnlich) und Tar (sehr ungewöhnlich), David Rothenberg Klarinette und Bassklarinette (ebenfalls sehr ungewöhnlich), Bernhard Wöstheinrich bedient natürlich die elektronischen Instrumente (gar nicht ungewöhnlich). Diese Kombination bringt äußerst ungewohnte Klänge hervor, insbesondere, weil über weite Strecken die akustischen Instrumente im Vordergrund sind. Die Eigenständigkeit, die Bernhard Wöstheinrichs Musik im allgemeinen schon auszeichnet, fehlt auf „Homayoun“ nicht, erreicht durch die Zusammenarbeit der drei Musiker aber eine neue Ausrichtung.
Die Klarinetten David Rothenbergs, was und wie er spielt, würde ich sonst eher im Jazz erwarten. Aber das passt eben auch zur EM. Die Tar, eine Langhalslaute, ist in den Stücken „Homayoun“ und „Surmount“ zu hören und gibt den Tracks einen Touch von Weltmusik. Auch der von Ali Sayah auf „Blesswarp“ gespielte Bass verleiht dem Stück eine eigene Note und macht sich sehr gut in dem Track. Mir wäre nicht bewusst, dass Bernhard Wöstheinrich häufiger auf seinen Alben ein Klavier einsetzt. Auf dem neuen Album „Homayoun“ spielt er in mehreren Stücken das Piano, und auch das ist sehr stimmig.
Ich finde es spannend, wie im Eröffnungstitel „Unfacts“ das scheinbar willkürliche Spiel der Musiker im Verlauf immer mehr zusammengeht und harmoniert. „Blesswarp“ wirkt deutlich „strukturierter“, woran Ali Sayahs Bassgitarre und die von Bernhard Wöstheinrich gespielten Rhythmen großen Anteil haben. Nach dem Titelstück, das vor allem durch die Tar fremd für mitteleuropäische Ohren klingt, beginnt „Compline“ mit den harmonischen Klavierakkorden recht vertraut. „Surmount“, der Abschlusstitel, ist in der ersten Hälfte stellenweise wie das große Finale, wenn die drei Musiker sich „hochschaukeln“. Am Ende gibt es aber keinen Paukenschlag, das Stück hat stattdessen einen sehr langen Ausklang, wie wenn die Musiker sich aus dem Stück verabschieden – und plötzlich ist es vorbei.
Es gibt in der Elektronikszene Musik, die man sich regelrecht erarbeiten muss, um ihr etwas abzugewinnen. „Homayoun“ von Rothenberg / Wöstheinrich / Sayah zähle ich nicht dazu. Das Album ist keine „schwere Kost“. So ungewohnt die Instrumente und Klänge auch sind - wer sich mit Neugier und offenen Ohren diesem Album widmet, entdeckt sicherlich neue musikalische Welten. Natürlich bleibt alles auch immer Geschmackssache. Ich für meinen Teil bin jedenfalls immer wieder überrascht, welche Vielfalt in der EM möglich ist. Und das ist etwas, was ich nicht missen möchte: Neues entdecken, unerwartete Kollaborationen, überraschende Klänge und Einflüsse - Bernhard Wöstheinrich und seine Mitstreiter sind dafür immer eine gute Adresse.
Andreas Pawlowski