Ein wahrer Tausendsassa in der modernen elektronischen Musik steht heute Rede und Antwort: Martin Juhls. Der umtriebige Dortmunder ist sowohl Musiker, als auch DJ, Musik-Festival Organisator und Labelbetreiber von oktaf. Im empulsiv-Interview verrät er uns, was ihn antreibt, an was er gerne arbeitet und wohin er sich bewegt.
1. Du warst ursprünglich eher ein Gitarrenmensch. Wie fandest du zur elektronischen Musik und was hat deine Faszination dorthin wechseln lassen?
Ich habe mich schon immer vorrangig für Klang an sich interessiert. Auch bei der Gitarre ging es meistens darum. Ich bin sehr schnell bei Neil Youngs Feedbackgewittern auf Arc und natürlich auch bei den Noise-Eskapaden von Sonic Youth gelandet. Darüber kam dann der Blick auf deren Einflüsse wie Stockhausen mit seinen Elektronischen Studien, Ligeti mit der Cluster Technik und natürlich Philipp Glas und Steve Reich mit ihrer so genannten Minimal Music. Die Fortführung dieses innovativen Umgangs mit Sound, Instrument und Technik findet ja vorrangig in der Elektronischen Musik statt. Da war der Sprung zu Aphex Twin, Autechre, Wolfgang Voigt und Co. sehr naheliegend. Von daher hat meine Faszination nicht gewechselt, sondern mich kontinuierlich dahin geführt.
2. Wie einige andere Elektroniker hast du zunächst Erfahrungen im DJing gemacht, bist aber recht schnell auf Live-Sets und Live-Konzerte übergegangen. Was hat dich daran gereizt, mehr zu tun, als nur aufzulegen?
Das Auflegen war ein guter Ansatz um vieles auszuprobieren, was mit anderen Mitteln sehr aufwendig gewesen wäre. Ich hatte damals nicht mal einen Desktop Computer, sondern nur einen Vierspurrecorder, ein altes Keyboard und ein paar Effekte. Freunde hatten Drum-Computer, Sampler und Analog Synthesizer. Dann gab es die Atari Computer mit Midi-Schnittstelle und das Produzieren ging los. Dabei war aber alles immer sehr langwierig. Beim Auflegen ging das einfacher. Ich hatte zwei 3 CD Player, einen Plattenspieler, zwei MiniDisc Player mit Loops und auch noch ein Tape-Deck. Da habe ich dann alles zusammengeworfen was mir unter die Finger gekommen ist. Da gab es dann auch Alltagsgeräusche, Wahlgesänge, Hörspielsamples, Vogelgezwitscher, Gitarren-Noise und vieles mehr. Als ich dann zum produzieren kam, war ich mit vielen von diesen Ideen bereits durch und konnte mich mehr auf eigene Ideen konzentrieren. Das erste Live-Konzert damals haben ein Freund und ich damals mit Loops auf 4 Mini-Disc Playern gegeben. Das waren Funksignale und Störgeräusche, die wir aus dem Internet geladen und dann überspielt hatten. Alleine das war eine Aktion, die nicht selbstverständlich war.
3. Deine Inspiration stammt eher aus den klassischen und ernsten Quellen der elektronischen und elektroakustischen Musik. Hattest du je ein Ohr für oder Interesse an populärer EM wie von Klaus Schulze, Kraftwerk, Jean-Michel Jarre und Co.?
Das würde ich so überhaupt nicht unterschreiben. Es gibt zum Beispiel einen DJ Mix von mir, indem ich nur alte EM Tracks zu einer sehr aparten eigenständigen Collage verarbeitet habe. (https://soundcloud.com/martin-juhls/krill-minima-dj-set-06-70tieskraut-ambientmix)
Damals habe ich auch alle Platten von Klaus Schulzes IC Label gesammelt, der Funke ist aber nur bei wenigen Sachen übergesprungen. Die raueren Sachen von Schulze wiederum fand ich sehr spannend. Und dann natürlich die ruhigen Krautrocker wie Amon Düül, Popol Vuh, etc.
4. Du bist Marsen Jules, bist krill.minima. Welche musikalischen Projekte laufen bei dir aktuell und worin unterscheiden sich deren Ansätze?
Das ist eigentlich recht einfach zu beantworten. Bei krill.minima verwebe ich sehr viele unterschiedliche Klänge, Instrumente, Techniken und musikalische Ansätze zu eigenen Klangwelten. Da geht es um das Spiel der akustischen und technischen Möglichkeiten. Bei Marsen Jules wiederum konzentriere ich mich auf sehr reduziertes Ausgangsmaterial. Da geht es um die Essenz des Klanges. Um das Universum, das entsteht wenn man einen kurzen musikalische Moment auf allen Ebenen gleichzeitig ausdehnt. Da geht es um das Spiel mit Zeit- und Rhythmus und die Aufhebung bzw. Auflösung davon, das Ausfüllen des gesamten Frequenzspektrums und natürlich auch die räumliche Anordnung im Stereo-Feld. Tatsächlich ist es aber auch ein sehr raues und intuitives Projekt. Da passiert sehr viel auch unterbewusst und auf emotionaler Ebene. Sachen, die ich mir oft erst viel später selber erschließen kann.
5. Veröffentlichungen deiner Alben, insbesondere als Falter und Krill.Minima, fanden oftmals auf Netlabels wie Thinner oder Stadtgrün statt. Wie siehst du den Wert und den Status von Netlabels und Online-Veröffentlichungen, und warum halten deiner Meinung nach viele Hörer lieber an CDs fest?
Thinner und auch das Sublabel Autoplate, das war einfach eine spannende Zeit. Ich hatte gerade angefangen mit den ersten krill.minima Tracks als ich Jörg (Sensual Physics/Digitalverein) kennengelernt habe. Über ihn kam dann die Verbindung zu Sebastian Redenz von Thinner, der sich auch für meine Sachen interessierte. Damals hatte ich gar keine Ahnung von diesen Dub-Techno-Sounds und war direkt so inspiriert etwas Eigenes daraus zu machen, dass das Falter-Projekt entstand. Durch den guten Draht zu Sebastian war es zudem sehr unkompliziert die eigenen Sachen zu veröffentlichen. Ich habe ja auch viel konzeptuell mitgewirkt und einige Releases kuratiert. Uns war es wichtig, durch das komplette Auftreten des Labels eine Wertigkeit zu erzeugen, die mit anderen Labels vergleichbar war. Wir haben Merch verkauft und von dem Geld haben wir Promo-Cover gedruckt und weltweit verschickt. Manche Magazine haben erst mal gar nicht gemerkt, dass es die Musik kostenlos im Netz gab. Zudem hatte das Label eine sehr deutliche Handschrift und war sehr wählerisch bei den Veröffentlichungen. Das hat sicher auch zu dem Erfolg geführt. Ich finde es immer wieder schade, dass es da irgendwann keine Fortsetzung mehr gab. Da es aber keine wirklichen Einkünfte gab, war alles auf dem Enthusiasmus, der Faszination und dem enormen Engagement der Beteiligten begründet. Das ließ sich irgendwann nicht mehr aufrechthalten.
Dass die Hörer an der CD festhalten kann ich so gar nicht bestätigen. Heutzutage hört man Musik doch digital. Immer mehr geht es über zu Playlists und Streaming-Services. Wer dann eine besondere Wertigkeit auf die Musik und das Musikhören legen möchte, der kauft auch heute noch Vinyl oder halt CDs. Ich persönlich sehe die CD aber eher als eine schön gestaltete Visitenkarte, die am Ende eh digital eingelesen wird.
6. Im Jahr 2009 hast du dein eigenes Label oktaf gegründet. War dies eher eine Notwendigkeit oder ein generelles Bedürfnis und wofür steht das Label?
Ein eigenes Label war mir schon lange ein Bedürfnis. Zum einen wollte ich ein langfristiges Zuhause für meine Veröffentlichungen schaffen. Deshalb gab es ja als erstes auch überarbeitete Releases meiner Net-Label Alben. Zum anderen wollte ich auch an meine Arbeit für Autoplate anknüpfen und einen bestimmten musikalischen Ansatz, eine bestimmte musikalische Außergewöhnlichkeit präsentieren. Das Label steht für sehr direkte Musik zwischen Akustik und Elektronik mit experimentellem Ansatz und starkem künstlerischen Ausdruck.
7. Neben eigener musikalischer Aktivität organisierst und unterstützt du Veranstaltungen im weiteren Sinne der elektronischen Musik und künstlerischen Events. Insbesondere im Ruhrgebiet und mittlerweile auch Großereignisse wie die Juicy Beats in Dortmund. Ist dies nur ein Job oder treibt dich mehr an?
Konzerte und Events veranstalte ich schon so lange, wie ich Musik mache. Auf das neue U-TOPIA Festival habe ich fast 10 Jahre hingearbeitet. Es ist quasi die Konsequenz aus meiner Tätigkeit als Musiker mit den vielen internationalen Kontakten, meinen eigenen musikalischen Interessen und meiner Erfahrung als Veranstalter. Da hänge ich natürlich mit besonderem Herzblut dran. Beim Juicy Beats wiederum war ich schon vor 17 Jahren als Gast und später auch als Künstler mit dabei. Das ist einfach eine tolle Veranstaltung, ein super Team und jede Menge organisatorische Herausforderung. Auch wenn mir viele der Acts musikalisch sehr gefallen, ist da kaum Zeit sich mal einen Auftritt komplett anzuhören.
8. Kürzlich erst hast du zusammen mit Roger Döring eine Neuvertonung von Nosferatu dargeboten. Filmvertonung gerade von Stummfilmklassikern ist ja immer wieder ein Thema der verschiedensten Musikstile. Was hat dich bzw. euch daran gereizt und wird es weitere Projekte dieser Art von dir geben?
Bei Nosferatu hat mich besonders gereizt den Film wirklich ernst zu nehmen. Die Musik sollte die Schwarz-Weiß Atmosphäre des Films unterstützen, nicht aufdringlich sein und wirklich mit der Handlung gehen. Ich denke, dass unsere Vertonung gerade deshalb viele gruselige Momente hat, während andere Vertonungen den Film oftmals überspielen oder kitschig wirken lassen. Das dann Live im Kino zu machen ist natürlich eine besondere Herausforderung und die Zusammenarbeit mit Roger von Dictaphone ist ohnehin immer ein großer Spaß. Leider gibt es nicht so häufig die Gelegenheit dazu.
9. Ganz aktuell hast du viel Energie in U-TOPIA, einem Festival für Musik und Kunst, gesteckt, aber sicherlich ist schon das nächste geplant und auch musikalisch steht bestimmt eine (oder mehrere) neue Veröffentlichung an. Was wird dich in nächster Zeit beschäftigen und was bekommen wir zu hören?
Es steht einiges bereits zu lange in der Pipeline. Es wird Anfang des Jahres ein krill.minima Album geben. Dann ein Album des Marsen Jules Trio. Zudem habe ich noch sehr viel neues Solo-Material. Gerade arbeite ich an der Vertonung eines kurzen Animationsfilms und in der nächsten Woche beginnt die Arbeit an einem recht außergewöhnlichen Theaterprojekt, welches im Februar im Schauspiel in Dortmund Premiere feiert. Zudem soll es dann im November eine Fortsetzung des U-TOPIA Festivals geben.
10. Die obligatorische Frage 10: Welche drei Alben anderer Künstler würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?
Ich kann mir eine einsame Insel sehr gut auch ganz ohne Musik vorstellen.
Links zum Thema
Marsen Jules
oktaf (Musiklabel)
Das Interview führte Stefan Schulz