Drei Mal räumte er bereits mit seiner E-Post-Rock Gruppe Picture Palace music den Schallwelle Preis ab, mit der er die EM-Fans in den letzten Jahren offensichtlich sehr zu beeindrucken vermochte. Unermüdlich ist er auch in 2013 wieder auf großer Tour, sowohl mit PPm als auch mit seiner Arbeit bei Tangerine Dream. Offensichtlich treibt ihn ein Drang zur Erschaffung neuer Klangwelten und zum Live-Erlebnis an, und seine Mitstreiter ziehen begeistert mit. Mit empulsiv plauderte er in diesem Interview über seine Motivation und ein wenig mehr über sein elektronisches Leben.
1. Wie hast du zur elektronischen Musik bzw. elektronischem Post-Rock gefunden?
Elektronisch erzeugte Musik fällt in das Aufgabengebiet eines jeden Keyboarders bzw. Synthesizer-Spielenden. Die Genre-Zugehörigkeit hingegen fällt eher in das Aufgabengebiet des Musik-Beschreibenden. Unser „Electronic-Post-Rock“ entsteht durch Kompositionen, Sounds, Stilistiken und das Zusammenspiel von Musikern und Sequenzerspuren, die sich für uns natürlich und richtig anfühlen.
2. Du bist Experte in Sachen Keyboards, aber du spielst noch mehr. Zudem hast du eine musikalische Ausbildung gemacht. Welche Instrumente beherrscht du, welche(s) spielst du am liebsten und was hat dich angetrieben, Musik zu studieren?
Beherrschen ist ein großes Wort. Jedes Instrument erfüllt seinen eigenen Zweck. Komposition, Klavier, Synthesizer, Flöten und Orgeln sind die von mir am vielfältigsten einsetzbaren Instrumente, da ich diese gelernt und teilweise auch studiert habe. Hier fällt es mir am leichtesten, verschiedene Aufgaben, Anforderungen und Wege des Ausdruckes zu erfüllen. Ich bin in einem sehr von Musik geprägtem Umfeld aufgewachsen und erhielt schon als Kind Flöten-, Klavier- und Geigenunterricht. Später kam noch Gesangs- und Schlagzeugunterricht dazu. Gitarren lernte ich leider nur mithilfe von Büchern und von Freunden. Nebenbei bin ich immer auf der Suche nach ungewöhnlicheren Instrumenten wie zum Beispiel Kora, Koto (von mir Schreibmaschinen-Gitarre bezeichnet) und das Pickup-Kazoo – die es dann in der Regel mindestens auf eines meiner Stücke schaffen.
Die späteren Instrumente sind deshalb sehr an meine musikalische Sozialisierung und meinen sich immer verändernden Geschmack gebunden. So tendiere ich beim Schlagzeug bei Breaks immer zur ternären Spielweise, werde auf Grund meines momentanen Musikgeschmackes nie die Notwendigkeit erkennen, Gitarren-Bendings oder typische Gitarrensoli zu üben und vermeide es auch, jegliche „Vokalakrobatik“ in meine eigene „Performance“ einfließen zu lassen.
3. In deinen verschiedenen Musikprojekten widmest du dich verschiedenen Stilen. Einfach nur, weil es Spaß macht, oder treibt dich etwas anderes an, unterschiedliche Genres zu bedienen?
Das Spielen verschiedener Stile ermöglicht es, seine eigenen Fähigkeiten zu verbessern und aus den stiltypischen Produktionsweisen, Spielarten und Klangelementen zu lernen und diese bei Gefallen in die eigene Entwicklung einfließen zu lassen. In meiner eigenen Welt liegen diese Stile auch nicht weit voneinander entfernt, da sie sich vielleicht in Skalen und Klang unterscheiden, aber sich in den zentralen Fragen der Aussage und des vermittelten „Lebensgefühls“ am Ende des Tages sehr ähnlich sind. So ergeben sich schneller Brücken von elektronisch erzeugter Musik, Elektronik, Gothic, Progressiv-Rock, Psychedelic, Ind(i)ependent, Post-Rock, Industrial und sogar zu Swing als ursprünglich vermutet.
4. Einen Punkt, den man kaum umgehen kann: Du bist seit vielen Jahren festes Mitglied von Tangerine Dream. Welchen Einfluss hat Edgar Froese und deine Arbeit bei TD für dich persönlich sowie auf deine eigenen Projekte und wie gut klappt es, die einzelnen Projekte zu trennen?
Seit 2003 im Studio und seit 2005 Musiker und Teil-Komponist (Jeanne D´Arc, Madcap´s Flaming Duty, Springtime in Nagasaki, Purple Diluvial, Fallen Angels, Metaphor, The Island of the Fay, The Angel of the West Window, Finnegans Wake) bei Tangerine Dream zu sein, ist nach wie vor eine unglaubliche Erfahrung. Edgar ist sicherlich einer der besten „Lehrer“, den man für elektronisch erzeugte Musik, Erstellung von Sequenzen, Melodiefindungen, Arbeitslogistik und - wahrscheinlich noch viel wichtiger - für ein unglaublich weites Feld um die Musik herum haben kann.
Ich denke, dass es ein normaler Prozess sein sollte, Gelerntes in seine eigene Arbeit einfließen zu lassen. Die Trennung zwischen den verschieden Bands und Projekten beginnt jedoch schon vor dem Komponieren der ersten Note. Ich bereite mich thematisch sowie musikalisch intensiv auf jedes Stück vor, um die Entwicklung und den musikalischen Charakter der jeweiligen Band zu erhalten und um Wiederholungen zu vermeiden.
5. Dein uns bekanntestes eigenes Projekt ist Picture Palace music. Dem Namen nach zielt es ursprünglich auf Kinomusik ab, speziell auf die Vertonung von Stummfilmen. Was fasziniert dich an dieser Art Musik und wärest du auch für die Komposition moderner Filmmusik zu begeistern?
Die Idee hinter „Picture Palace music“ war das Vertonen von Filmen, Gedanken, Zeitfenstern und Dingen (wie z.B. Gebäuden, Büchern, Gemälden). Der Anlass eines Albums sollte nicht die Veröffentlichung eines Albums zum Selbstzweck erfüllen. Vielmehr muss meiner Auffassung nach eine Idee, eine Inspiration oder ein Konzept zugrunde liegen. Ein Album zu veröffentlichen, nur weil es mal wieder „an der Zeit“ ist oder weil genug Material verhanden ist, ist für uns nicht vorstellbar. Ebenfalls muss es über die Aussage einer Jamsession und den Zweck des „Spaßbereitens“ hinausgehen.
Stummfilme wie „Nosferatu“, „Faust“, Das Cabinet des Dr. Caligari“ und „Metropolis“ sind durch ihre düstere und mystische Grundstimmung sowie ihre Aktualität und Aussagekraft prädestiniert für eine musikalische Umsetzung nach unseren Vorstellungen. Wir haben bereits ein gutes Dutzend moderner, „neuer“ Kurzfilme vertont und in diesem Jahr die ersten zwei Full-Length-Soundtracks fertiggestellt. Einer („Remnants“) wird während unserer diesjährigen Planetariumskonzerte (Planetarium Berlin, Planetarium Jena, Planetarium Münster) gezeigt. Nach geeigneten Filmen für einen Picture-Palace-music-Soundtrack halten wir immer die Augen offen, auch wenn wir mitunter das Glück und die Ehre haben, dass beeindruckende Projekte wie „Remnants“ an uns herangetragen werden.
6. Kannst du uns ein wenig über deine anderen, für unsere Leser wohl weniger bekannten Projekte erzählen und ob du noch Zeit für all deine Projekte findest?
Zeit, Experimentierfreudigkeit und Freundschaften sind drei Faktoren die sich leider nicht immer zufriedenstellend verbinden lassen. Zum Glück hat sich über die Jahre eine personelle Schnittmenge entwickelt, sodass in „Picture Palace music“ teilweise die Geister der anderen, früheren Projekte schweben. So genieße ich z. B. die Zusammenarbeit mit Chris Hausl, der in den neunziger Jahren Teil und Gründungsmitglied von „Minory“ war und mich auch auf späteren musikalischen Wegen häufig begleitete. Auch mit Sascha Beator (gemeinsame Projekte: „Minory“, „Q-Factor“) und Thorsten Spiller (gemeinsame Projekte: „Gegenschein“, „Die Swingband“, „Regenzeit“) mache ich seit über fünzehn Jahren in verschiedenen Konstellationen Musik.
7. Anfang des Jahres bist du mit Picture Palace music zum dritten Mal mit dem Schallwelle-Preis ausgezeichnet worden. Inwieweit hat diese Auszeichnung dich und deine Arbeit beeinflusst, und was ist dein generelles Verständnis einer solchen Preisverleihung?
Drei Jahre in Folge den Schallwelle-Award zu gewinnen ist für uns eine große Ehre. Dass die Vergabe der Preise zur Hälfte auf die Abstimmung durch das Publikum zurückgeht, macht diesen Preis umso wertvoller, da er somit die Meinung vieler repräsentiert. Es freut uns sehr, dass Publikum und Jury an unserer Musik und ihrer Entwicklung interessiert sind und große musikalische Momente, wenn sie gelingen, mit uns feiern, uns andererseits aber diejenigen „musikalischen“ Momente, deren Größe vorwiegend in der Größe ihres Misslingen liegt, höflich verzeihen. Ich vermute, dass auch der Balanceakt zwischen diesen Möglichkeiten unser Schaffen ausmacht.
Einen direkten Einfluss auf meine Arbeit haben diese Preise, Platzierungen und Auszeichnungen vielleicht eher in Hinblick auf die Bestätigung immer etwas Neues auszuprobieren, außergewöhnliche Dinge einfließen zu lassen und sich für jedes Album ein gut durchdachtes Konzept zu überlegen, dass die Ausrichtung und Intention der nächsten Produktions- und Schaffenszeit vorgibt.
8. Du bist dieses Jahr mit PPm im Rahmen der Synths-don’t-lie Tour in Deutschland unterwegs, ihr habt bereits einige Konzerte hinter euch, aber noch einige weitere auf dem Plan. Darunter auch zusammen mit Bernd Kistenmacher und zum Abschluss ein Silvesterkonzert. Was gibt es auf den Konzerten zu hören und zu erleben?
Die „Synths don´t lie – Tour 2013“ umfasst circa vierzehn Konzerte von Juli – Dezember 2013. Die Konzerte sind unter verschiedenen Überschriften zusammengefasst. Die „Summertime Madness“ Konzerte bringen uns mit einem knapp hundert minütigem Set durch die Rock- und Indiependent-Clubs und Kirchen des Landes. Das Lineup dieser Konzerte ist ein Schlagzeuger, ein Bassist und Klangsteinspielenden, zwei oder drei Gitarren, zwei Keyboardern und für ein paar ausgewählte Stücke – ein Sänger. Hier spielen wir eine Zusammenstellung unser eher rhythmusorientierten Stücke und probieren auch neue Kompositionen in Livesituationen aus. Auf dem Wald-Welt-Festival haben wir unter dem Motto „Shaking Worlds and Woods“ eine ähnliche Auswahl gespielt.
Dortmund ist ein Special-Event unter dem Motto „Indulge the Mode“ mit einem einstündigen Picture Palace music – Teil bekannter und neuer Stücke. In der zweiten Stunde spielen wir ein „Tribute to Depeche Mode“- Set, das uns jedes Mal sehr viel Spaß macht. Bei den Konzerte mit Bernd Kistenmacher (Berlin, Jena, Münster) zeigen und vertonen wir „Remnants“, einen knapp vierzigminütigen Film von Grant Wakefield, dessen Soundtrack ich geschrieben habe. Es handelt sich dabei um rein instrumentale Musik in kleiner Besetzung (vier bis fünf Musiker), aber möglicherweise spielen wir auch noch eine Zugabe in voller Besetzung.
Am Einheitswochenende werden wir in Teltow ein sehr nach „vorne“ gerichtetes, sechzigminütiges Set mit Gesang, Schlagzeug, zwei Gitarren und zwei Keyboardern spielen. Nach uns spielen die „Blind Passenger“, „Forced to Mode“ und „The Twins“. Am 30.12 im Planetarium Bochum können wir beim „Hello 2014“-Konzert mit insgesamt zweimal sechzig Minuten den Konzertaufbau individueller gestalten. Dem Motto angepasst werden wir fast in ausgeglichenem Verhältnis neue und alte Stücke spielen, dies wird, gepaart mit einer unglaublichen Visualisierung, hoffentlich der würdige Abschluss für ein bisher – in unserer Welt – gelungenes und veränderungsreiches Jahr. Zwischendurch werden noch einige Club-Konzerte in Berlin stattfinden, bei denen wir die Gelegenheit haben, Verschiedenes auszuprobieren und neue Stücke vor Publikum zu „proben“.
9. Wie sieht es bei dir mit der weiteren Planung über 2013 hinaus aus mit Konzerten, Projekten und Alben?
2014 folgt unser neues Album, das momentan „Unpredictable ConSequences“ heißt. Auch auf diesem Album probieren wir neue Stil- und Musiklemente sowie neue Produktions- und Kompositionstechniken aus. Mehr möchte ich aber an dieser Stelle noch nicht verraten. Auch was dieses Album betrifft, vertrete ich fest meine Ansicht, dass unser aktuelles Album (beziehungsweise unser nächstes) immer unser „Bestes“ ist. Auch stehen immer noch Konzerte im Vereinigten Königreich und in den USA weit oben auf unserer “To-Do”-Liste. Das Jahr 2014 steht also für eine neue CD und noch mehr Konzerte.
10. Die Abschlussfrage: welche 3 Alben, an denen du nicht beteiligt bist, würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?
- Counting Crows : “Live in Paris” 1994 (bzw. “August and everything after”)
- Genesis : „Selling England by the Pound“ (oder die „Archive 1“ Box – aber das wäre geschummelt)
- Sigur Ros „()“
Links zum Thema
Picture Palace music
Synth's don't lie tour - Dortmund, 22.11.2013
Hello 2014 - Bochum, 30.12.2013
Das Interview führte Stefan Schulz