"...und für den Kleinen einen Lutscher im Brötchen"? fragte die Bäckerei-Fachverkäuferin. Die Frau schaute hilfesuchend zu ihrem Nachwuchs, der wiederum wild mit dem Kopf nickte, als gäbe es an diesem Tage nichts besseres als eine große gefärbte Anzahl intensivierte Zuckerbestandteile in sich aufzunehmen. "Und das Brötchen dazu gibt es geschenkt", schickte die etwas füllige und beschürzte Person hinterher. "Toll" dachte ich..."Warum bekomme ich nicht mal ein Teilchen oder was mit Hefe für Lau angeboten" murmelte ich ungehört vor mich hin. Aber irgendwie war es ja schon wirklich klever was sich das Handwerk über die Jahrzehnte als Kundenbindungsmechanismen erdacht hat. Bereits schon in jungen Jahren werden die Kinder in Abhängigkeit gebracht, in dem man den süssen Lolly in ein Brötchen steckt und sich damit seine zukünftige Generation an Abhängigen so "zurecht" schenkt...
Neidisch schaute ich der Mutter mit ihrem, vielleicht 5jährigen Sohn hinterher, der sicherlich gleich morgen früh seine Erziehungsberechtigte wiederum an den Gang zum Bäcker erinnern würde und erschrak, als die leicht mehlige Mitfünzigerin mich nach meinen Wünschen befragte. Nein, ich traute mich nicht nach kostenlosen Beigaben zu fragen und bestellte ein Brot mit 5 Körner Mischung und zuckte ein weiteres mal zusammen, als man mich um Dreieurofünfzig erleichterte. Sieben Mark, dachte ich noch. Dafür habe ich mal Mittags einen ganzen Griechen-Teller inklusive einer Dose Fanta bekommen. Ich bin sicher, dass dies sogar noch in diesem Jahrtausend war.
Aber was solls, auf irgendetwas musste ich ja meine Wurst heute noch drauflegen. Apropos Wurst, wahrscheinlich waren die beiden von gerade, jetzt schon beim benachbarten Metzger eingekehrt um eine dieser kostenlosen Bärchenwurst-Scheiben abzustauben. Früher gab es ja mal wenigstens ein Clownsgesicht auf der Schinkenwurst-Imitation, aber heute müssen es ja immer Sachen sein, die die Kinder sofort erkennen. Ich bin sicher, dass das Balg nicht mal eine sekunde draufgeschaut hat und sie gut gerollt und ungekaut verschlungen hat.
Aber auch hier gilt; Respekt für die Strategie des Einzelhandels. Der Ursprung des legalen Drogenhandels; erstmal anfixen und nach und nach süchtig machen. Wahrscheinlich hatte irgendein Bäcker, Wursthersteller oder Milcherzeuger im Mittelalter ein "Mittel" entdeckt, welches unbenannt und unbehandelt diesen Produkten beigefügt wird, um den Nachwuchs an das älteste Konsumgesetz zu binden. Nämlich, die kostenlose Beigabe!
Noch 2 Stunden später lies mich dieser Gedanke immer noch nicht los und ich assozierte und verband diverse "Give-Aways" als Beigabe zu meinen CD-Produktionen, die ich ja selbst in regelmäßigen Abständen meinen "Konsumenten" "Pfeil" bot. Aber keine der gedachten Devotionalien entsprach dem Muster, der skrupelosen Bäcker- oder Fleischer-Innung. Kein virtueller Erbe-Lolly oder kopiertes Abbild meine Visage, passte so recht in das Jewel-Case meiner Dutzend aktueller CD-Artikel.
Somit müsste eine andere Droge, den Erbschen Longplayern beigefügt werden, die nicht nur dem Nachwuchs meiner doch eher älteren Fans gefallen könnten, sondern auch bei der Übergabe am Ladentisch den Erzeugern ein Lächeln aufs Gesicht zaubern würde. Eben genauso wie in der Bäckerei.
Aber auch etliche Reißbrettzeichungen später, schien es immer noch keine Lösung zu geben, wie ich als legaler CD-Dealer meiner selbst erstellten Ware eine liquide Marktabsatzsteigerung hinbekommen würde. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, kleine Single CDs als Einstiegsdroge zu produzieren, nur um die wahren Kunden zum Kauf des größeren Artikels zu bewegen. Aber irgendetwas muss es doch geben, was dabei helfen kann, den Umsatz deutlich zu steigern!?
Vielleicht Gratisabende mit dem Künstler für Gruppenkäufe ab 10 CDs? Signierte Textilien (am besten noch gebraucht) um wenigstens den überschaubaren Anteil an Fetisch-Kunden abzugrasen? Oder doch wieder persönliche Einzelkonzerte für jeden der eine CD gekauft, empfohlen oder wenigstens richtig buchstabieren kann?
Nein, ich beschloss dann doch bei meinem bisherigen Konzept zu bleiben. Einfach nett und freundlich (also unverstellt wie immer) jedem Interessenten, Besucher oder CD-Käufer gegenüber zustehen. Darauf hinzuweisen, dass man die CDs sowieso schon viel zu günstig abgibt und darauf hofft, nein eigentlich sogar weiß, dass fast alle EM-Fans noch immer ein gutes CD-Produkt zu schätzen wissen. Auch zu wissen, dass es immer noch genügend nette Menschen gibt, die sich auf elektronische Musik freuen, gerne zu den Konzerten fahren und sich ihres besonderen musikalischen Geschmackes bewusst sind. Wer braucht da schon den EM-Lolly oder eine Wurst mit meinem Gesicht drauf? Nun...ich könnte sie ja auch auf eine CD drucken lassen. Dann wäre wenigstens endlich wieder mal ein "Clown" zu sehen.
Stefan Erbe