Wenn der Zirkusdirektor in die Elektronik-Manege schreitet und von Mike dem Clown mit Seifenblasen überzogen wird, dann ist klar, es ist wieder Circus-Zeit. Und wie immer erwartete die Besucher ein bunter Reigen an Attraktionen, dargeboten am 5. Oktober in der Weberei in Gütersloh. Auf dem akustischen Speiseplan des Tages standen dieses Mal Florent Lelang, Auto-Pilot, Pyramid Peak, Vile Electrodes und Michael Rother. Präsentiert von den Chefköchen des Circus Frank Gerber (Directeur de Cirque) und Hans-Hermann Hess (Mister Disco). Wohl bekam's.
Der in diesem Jahr gut besuchte Circus platzte fast aus seinen Nähten. Und die Gäste erschienen früh und zahlreich, und tummelten sich froh gelaunt an den Ständen. Im Aufenthaltssaal wurde auch so einiges Feil geboten. Neben den vielen Label- und Künstlerständen auch wieder dabei, war Rainer Sauer mit seinen Mini-Live-Präsentationen sowie Stefan Erbe mit seinem Interview-Instrumentarium. Stefan führte während des Festivals verschiedene Interviews mit Künstlern und Ausstellern, die demnächst auch wieder hier auf empulsiv zu finden sein werden.
Um 14 Uhr ging es endlich los. Das Publikum enterte den Saal und jeder ersuchte, einen guten Platz zu finden. Die herzliche Begrüßung erfolgte wieder durch die zwei mit den Zylindern, Frank und Hans-Herrmann. Gemeinsam mit Mike dem Clown sorgten sie schon für eine lockere und fröhliche Stimmung, die Freude über das gut besuchte Event und die musikalischen Acts stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Im Laufe des Abends sollte man sie noch in wechselnden Kostümen auftreten und die Künstler ankündigen sehen, Einlagen, die die schöne Atmosphäre dieses Festivals unterstrichen.
Den musikalischen Auftakt machte Florent Lelong mit seiner Band. Der recht junge Franzose erinnerte nicht nur optisch an eine bekannte Größe der Elektronischen Musik aus seinem Lande, sondern auch klanglich ist eine gewisse Nähe nicht zu verleugnen. Dabei bemüht er sich jedoch eines etwas moderneren Stils und Equipments. Natürlich mit dabei, ein dynamischer Auftritt mit Keytar. Mit seiner Band heizte er durch eher flotte Stücke das Publikum gleich zu Anfang richtig ein.
Nach einer kurzen Pause ging es weiter mit Auto-Pilot, einer Zwei-Mann-Combo aus Großbritannien bestehend aus Adrian Collier und Shaun Herbert. Das ursprünglich im Bereich Techno und House produzierende Duo präsentierte sich im Circus mit feinster, tanzbarer Elektronik. Die teilweise recht poppigen Stücke wurden stellenweise durch Adrian gesanglich begleitet.
Wieder einmal 5 vor 12, nämlich kurz vor dem Festival, ist die neue CD des Leverkusener Trios Pyramid Peak fertig geworden. Das neue Album heißt Anatomy, und dies war musikalisch wie auch optisch das Programm der drei Jungs auf der Bühne. Und natürlich ließ sich das Electronic Circus Team es nicht nehmen, eine kleine "Zirkuseinlage" darzubieten, und so startete das Konzert mit einer Direktschaltung in die Synthesizer-OP. Andreas Morsch und Axel Stupplich an den Keys sowie Uwe Denzer am Schlagzeug präsentierten mit Anatomy frische und progressive elektronische Musik, für die sie das Publikum liebte und liebt. Harald Nies unterstützte das Trio mit seinem einfühlsamen Gitarrenspiel (in Vertretung für den leider ausgefallenen Maxxess). Sie boten einen starken Auftritt mit deutlichem Fingerzeig für die Lebendigkeit der EM.
Nun zu etwas völlig anderem: Vile Electrodes. Ein weiteres Duo aus Großbritannien, dass sich in die Manege des Zirkus wagte. Es sind Martin Swan (Keys) und Anais Neon (Keys und Vocals), die das Publikum so richtig mit in die Neuzeit gehobenem Synthie-Pop einheizten. Währen Martin hinter seiner Synthesizer-Burg fast schon verloren wirkte, bot insbesondere Anais eine gesanglische Ohren- und optische Augenweide in ihrem engen Latex-Dress. Die bereits als Vorgruppe von OMD spielende Gruppe konnte auch in dieser Gruppe Elektronik-begeisterter Zuschauerschaft vollends überzeugen.
Den Abschluss eines bereits fantastischen Musiktages bot ein Urgestein der elektronischen Musik: Michael Rother. Mit seiner großen Historie als Mitglied bei Kraftwerk, NEU! und Harmonia gilt er als einflussreicher Musiker bei vielen Künstlern auf der weiten Welt. Umso schöner, dass er dem Circus die Ehre seines Auftritts gab. Gemeinsam mit Schlagzeuger Hans Lampe (NEU!, La Düsseldorf), krautrockten die beiden Recken den Saal. Michaels Gitarrenspiel hatte nichts von seiner Magie verloren und die eigentlich alten Stücke wirkten in diesem Saal einfach zeitlos. Und auch Hans zeigte an seinem Schlagzeug eine klasse Leistung, von der sich so einige jüngere Kollegen noch einige Scheiben abschneiden könnten.
War es in 2012 ein gelungener Kindergeburtstag für Erwachsene, so bot der Circus dieses Jahr eine nostalgische Zeitreise in die Zukunft. Eine wirklich gelungene Mischung aus moderner, progressiver und junggebliebener elektronischer Musik mit angemessenem Blick in stimmungsvolle und tanzbare Regionen der Elektronik. Bitte mehr davon. Und gerne wieder im Circus in 2014.
Bericht und Fotos von Stefan Schulz