Was anders erwartet man beim Besuch des Zirkus als Attraktionen, Sensationen und eine begeisternde Atmosphäre? Auch im siebten Jahr ihres Bestehens schuf das Electronic Circus Team um Frank Gerber und Hans-Hermann Hess wieder dieses einmalige Manegengefühl für EM-Freunde aus aller Welt. Mit harter Arbeit und Ausdauer gelang es, dem Publikum ein mit Leichtigkeit erscheinendes Festival in die Weberei zu zaubern. Genau der richtige Funken Magie, der auch von einem Act zum nächsten überzuspringen schien. Ja, sie haben alles richtig gemacht.
Der Veranstaltungsort ist nun seit einiger Zeit bekannt, und trotz kleinerer Umbauten wirkte alles so vertraut, wie ein jährlicher Kurzurlaub ins Vergnügen. Mit der Weberei hat man einen eigenen, aber passenden Ort gefunden, an dem sich die Liebhaber elektronischer Musik mittlerweile fast zuhause fühlen.
Das Kesselhaus bot wieder einer Menge Stände der Musiklabel und -schaffenden Platz. Vor und zwischen den Auftritten tummelten sich hier Festival-Besucher, stöberten in den zahlreich vorhandenen CDs und diskutierten freudig mit besuchenden und auftretenden Künstlern. Auch in diesem Jahr nutzten einige Labels die Gelegenheit, ihre Neuveröffentlichungen vorzustellen, natürlich auch mit Anhörmöglichkeit. Mit dabei waren dieses Jahr die Musiklabel CUE Records, Groove Unlimited, Manikin, MellowJet, Spheric Music, und SynGate sowie die Künstler Bernd Kistenmacher, Jörg Erren (Erren, Fleissig, Schöttler, Steffen), Loom (Jerome Froese, Rob Waters, Johannes Schmoelling), Matzumi (Kathrin Manz), Stefan Erbe, Stephen Parsick, Vile Electrodes. Auf der kleinen Tribüne über dem Kesselhaus stellte Roland aus und bot Interessierten neue und aktuelle Geräte zum Anfassen. Auch empulsiv war mit einem kleinen Stand vertreten, an dem mit verschiedenen Künstlern zahlreiche Video-Interviews gedreht wurden.
Natürlich durfte auch das Circus-Feeling nicht fehlen. Und so traf man immer wieder auf den berühmten Clown Mike mit seinem Wunderzylinder und der Seifenblasenmaschine. Aber auch die beiden Köpfe des Teams, Frank und Hans-Hermann, überzeugten wieder mit ihren zahlreichen Outfits. Nicht nur zur Begrüßung sondern zu jedem Act und in mancher Pause warfen sich die beiden in Schale. Ein Nebenprogramm, das nahezu reif fürs Variete war.
Aber auch die Live-Acts hatten es wieder in sich. Den Anfang machte eine recht neue Gruppe aus Italien: Alerick Project. Die beiden Musiker Alessandro Ghera und Riccardo Fortuna gründeten das Projekt 2011 mit dem Ziel, die Stilmittel der traditionellen EM, des Chill-out und des Ambient zu vereinen. Herausgekommen ist eine Variante elektronischen Synth-Pops mit leicht italienischem Hauch. Der musikalische Einfluss aus der Vangelis und Tangerine Dream Ecke war ebenso deutlich hörbar, wie Riccardos Faible für die 80er Jahre und sicherlich auch ein wenig Italo-Pop. Im Circus präsentierten Alerick Project Stücke aus ihrem Debut-Album "One Way" (2013). Ihrer Vorstellung sah man zu keiner Minute an, dass es ihr erster Live-Auftritt überhaupt war. Und die Begeisterung des Publikums bestätigte sie in ihrer Kunst und ihrem Konzept. Ein Bravissimo an Alessandro und Riccardo.
Nach relativ kurzer Pause startete Bernd Kistenmacher als zweiter Act des Tages. Gleich zu Beginn riss er das Publikum von den Stühlen … um ein Foto der ausrastend jubelnden Besucher zu machen. Dann fing er an, die Zuschauer und vor allem Zuhörer auch mit seiner Musik zu begeistern. Wer Bernds Musik kennt, weiß um die stimmungsvollen Klangcollagen, die er auf seinen Synths zaubert. Unter anderem präsentierte er die Musik seines bald erscheinenden Albums Paradise, dessen leicht düster anmutenden Stücke in ihrem Verlauf die wahre Schönheit wie die eines Paradieses entfalten. Eine wirkliche Reise symphonischer Elektronik mit kraftvollen Flächen und sanften Melodiebögen bis hin zu einnehmenden Rhythmen. Auf der einen Seite ein Kontrapunkt und auf der anderen eine klangliche Ergänzung zum Programm des ersten Acts.
Vile Electrodes stand als dritter Act auf der geräumigen Bühne der Halle. Die beiden Künstler Anaïs Neon (Jane Caley) und Martin Swan aus London (GB) hatten bereits voriges Jahr das Vergnügen, hier auf dem Electronic Circus zu spielen. Auf dem siebten Festival nun mit einem längerem, vollwertigen Set über ca. 90 Minuten inklusive Zugaben. Am besten lässt sich die Musik der "gemeinen Elektroden" mit Synth-Pop und New Wave beschreiben. Jedoch finden sich auch Anleihen aus der traditionellen EM in ihren Stücken. Die geschickte Mischung aus instrumentalen und gesanglichen Stücken, und zu einem gewissen Teil sicherlich auch die Augenweide Anaïs in ihrem grün-orangem Latexanzug, vermochten es mit Leichtigkeit, das Publikum für sich einzunehmen. So war auch nicht verwunderlich, dass sie mit tosendem Applaus und nur schweren Herzens von der Bühne verabschiedet wurden.
Mit ein wenig Verspätung fanden sich auch Jerome Froese und Freunde auf der Bühne zum Hauptkonzert des Tages ein. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Loom-Konzerten bestand der Großteil ihres Auftritts diesesmal aus der Musik Jeromes, die er mit der Unterstützung Robert Waters präsentierte. Die durchaus rockigen, teilweise dann wieder elektronischen Instrumentalstücke spiegelten auch den Werdegang von Froese Junior wieder, löst er sich musikalisch doch immer mehr von der Musik seines Vaters und hat mittlerweile seinen ganz eigenen Zugang zu den elektrischen und elektronischen Klangwelten gefunden. Robert übernahm dabei den größeren Teil der Synth-Elemente, während Jerome immer wieder in die Saiten seiner Gitarren griff. Die Begesiterung steigerte sich noch, als Johannes Schmoelling zum Ende hin die Bühne betrat und einige Stücke aus den gemeinsamen Loom-Werken dargeboten wurden. Als Mitglied von Tangerine Dream aus deren kompositorischen Hochzeit Anfang bis Mitte der 80er Jahre genießt Johannes großes Ansehen in der EM Gemeinschaft. Und wer ihn an diesem Abend erlebte kann nur sagen: zu Recht. Im Team mit Jerome und Robert heizte Loom das Publikum zur späten Stunde noch einmal richtig ein und garantierte einen überragenden Ausklang für das Festival.
Der volle Saal und die großartige Stimmung vor, während und nach dem Festival sprechen eigentlich für sich. Hier wird beste Unterhaltung in einer familiären und freundschaftlichen Atmosphäre geboten, wie sie im Umfeld der elektronischen Musik in Deutschland niergendwo zu finden sind. Die Reise in Die Weberei nach Gütersloh hat sich ohne Zweifel gelohnt. Und man darf auf eine Fortsetzung auch in 2015 hoffen, denn solch ein Festival sollte definitiv nicht fehlen.
Stefan Schulz