Wovon träumen manche EM-Fans? Vielleicht davon, ihren Lieblings-Musiker einmal zu einem Privat-Konzert ins heimische Wohnzimmer zu holen? Das ist ein Wunsch, der nur ganz selten in Erfüllung geht, alleine wegen des fehlenden Platzes. Andreas Pawlowski ist in der glücklichen Lage, anstelle seines Wohnzimmers einem Musiker einmal im Jahr einen ganz besonderen Spielort anbieten zu können: Er ist in der örtlichen Kirchengemeinde aktiv und an der Organisation der "Nacht der offenen Kirchen" beteiligt - ein Abend, an dem Kirchen nicht nur ihre Türen öffnen, sondern auch ein Programm anbieten, das zum Verweilen einlädt - vielleicht nicht die ganze Nacht, aber so lange, wie lange man möchte. Jede Kirche überlegt sich ihr eigenes Programm, und Andreas ist es auch schon wie im Vorjahr gelungen, einen Musiker aus der EM-Szene dafür zu gewinnen, den Abend in St. Ludger mit besinnlichen Klängen zu begleiten. War es im letzten Jahr Torsten Abel, so ist es dieses Jahr jemand, der Übung im "Beschallen" von Kirchen hat: Detlef Keller. Üblicherweise tut er das in Repelen im Trio mit Bas Broekhuis und Mario Schönwälder. Heute hat er die deutlich größere, im neo-gotischen Stil erbaute Kirche am gleichnamigen Platz in Duisburg ganz für sich.
Dass Detlef solo spielt, passiert nicht so oft. Deshalb warten auch schon diverse Besucher am Haupttor von St. Ludger, das um 20 Uhr öffnet. Für Detlef und die restlichen Aktiven der Gemeinde hat der Abend natürlich schon viel früher begonnen. Neben seinen Instrumenten, die Detlef direkt neben dem Altar aufbauen durfte, mussten auch an die 500 Kerzen entzündet werden. Der Großteil von ihnen bildet das "Kerzenlabyrinth", schon seit Jahren die andere Attraktion von St. Ludger an diesem Abend. Der durch die Kerzen gezeigte Pfad ist verschlungen und mit Umwegen verbunden, so wie das echte Leben auch. Man mag über die Irrungen und Wirrungen des eigenen Lebens reflektieren, während man ihn beschreitet und Detlefs Melodien lauscht. Was Detlef sich für den heutigen Abend überlegt hatte, das hatte er schon ein paar Wochen vorher in einem kleinen Video im Internet präsentiert. Und auch seinen Zeitplan: Die Nacht der offenen Kirchen geht offiziell von 20 bis 24 Uhr, also spielt er zu Anfang ein wenig, macht dann drei Stunden Pause, und kurz vor Mitternacht auch noch ein bisschen.
Aber nein, da saß dem guten Detlef natürlich wieder einmal der Schalk im Nacken. Wer bei Broekhuis, Keller & Schönwälder Titel mit epischer Länge zelebriert, der wird sich auch hier nicht die Gelegenheit entgehen lassen, die Akustik eines solchen Raumes so lange wie möglich zu erkunden. Zum Einstieg spielt Detlef ein fast 45 Minuten langes Stück, getragen von südländischen und sanften Gitarrenklängen, so wie man es schon im Internet vorhören konnte. Man könnte meinen, irgendwo müsste Raughi Ebert auf der Treppe sitzen und seinen Part live dazu beitragen. Die Gitarre kommt aber aus dem Synthesizer - Raughi ist zwar im Saal, aber heute nur als Zuhörer. Eine Viertelstunde Pause gönnt Detlef sich danach zum Umstöpseln, und das gibt Andreas die Gelegenheit, für dieses ganz besondere Konzert zu danken - und auf die am Eingang aufgestellten Körbchen hinzuweisen. Gespielt wird heute ohne feste Gage, eine Spende für den Musiker ist aber willkommen. Wieviel am Ende des Abends zusammen gekommen sein wird? Zum Ersatz der Fahrtkosten wird es auf jeden Fall gereicht haben, Detlef wohnt ja fast "um die Ecke". Alles ist für den zweiten Teil umgestöpselt, in dem ist statt der Gitarre das Piano an der Reihe. Wer Stammgast in Repelen ist, der erkennt die Melodie von "Source of Life" wieder. Detlef ist im Trio BK&S ja der Melodiker, und solo kann er das heute einmal voll und ganz ausleben. Der Titel wird länger und länger, und nach einer halben Stunde werden auch noch sakrale Klänge dazugemischt - Detlef zieht wortwörtlich "alle Register". Wieder hat er damit eine knappe Dreiviertel Stunde gefüllt, und wieder muss jetzt eine Viertelstunde Pause sein - das schreibt die Gewerkschaft angeblich so vor. Wer will sie einem so fleißigen Musiker verwehren?
In Teil drei - es ist schon nach zehn Uhr - wagt Detlef ein wenig. Flotte Sequenzen und Rhythmen tragen dieses Set, man hat fast den Eindruck, dass die Besucher dazu ein wenig schneller durch das Kerzenlabyrinth laufen. Die kommen und gehen auch, während Detlef spielt. So ist die Nacht der offen Kirchen gedacht: Hereinschauen, etwas verweilen, und dann auch gerne wieder weiterziehen, zum Beispiel um zu schauen, was die Nachbargemeinde an diesem Abend so macht.
War dieser dritte Teil jemandem vielleicht zu flott und möchte der Sache Einhalt gebieten? Als Detlef um elf Uhr mit dem letzten Set beginnt, kommen nur knarrende Tonstörungen anstelle von Melodien aus den Lautsprechern, auch nach mehreren Anläufen. Ein Kanal im Mischpult hat wohl das zeitliche gesegnet, auch wenn Detlef behauptet, es hätte ihn viel Mühe gekostet, den Sound genau in dieser Form einzuspielen. Aus dem Konzept bringen lässt er sich davon nicht: Dann improvisieren wir das ganze halt auf einem anderen Keyboard, es sind ja genügend davon vorhanden, und füllen so die letzte Stunde der "Nacht der offenen Kirchen". Pünktlich um Mitternacht verhallen die letzten Klänge und übergeben an die Kirchenglocken. Nicht alle, die wegen der Musik gekommen sind, haben bis zum Schluss durchgehalten, sie haben vielleicht noch einen längeren Heimweg vor sich. Eine guten und sicheren ebensolchen wünschen Detlef und Andreas den Anwesenden, bevor es an den Abbau geht. Mit ein paar helfenden Händen geht der schneller vonstatten. Aber so wie die Nacht für die Organisatoren früher begonnen hat, so werden sie auch deutlich später zu Hause sein als der letzte Besucher. Bereut hat den Aufwand niemand: Detlef Keller hat an diesem Abend ein fulminantes Konzert gegeben und gezeigt, dass er auch immer noch "solo kann". Auf der Bühne werden wir ihn demnächst wieder im Trio mit Bas und Mario sehen - BK&S hat den einen oder anderen Konzert-Termin auf der Agenda stehen. Und es steht außer Zweifel, dass es auch im nächsten Jahr eine Nacht der offenen Kirchen" in St. Ludger geben wird. Wen Andreas Pawlowski dafür gewinnen wird? Lassen wir uns überraschen. Der Spielort dürfte Anreiz genug sein.
Alfred Arnold