"Sound of Sky"-Konzerte im Bochumer Planetarium haben an Exklusivität gewonnen. Konnte man früher fast jeden zweiten Monat ein solches besuchen, so liegt die Frequenz inzwischen eher bei zweien pro Jahr, plus die Termine im Kalender, zu denen Stefan Erbe ATB unter die Kuppel einlädt. Das steigert im Gegenzug den Wert, den man als Zuschauer dem einzelnen Event beimisst, und gibt Stefan mehr Raum, dieses vorzubereiten. Dazu gehört heute auch ein extra für diesen Abend gewählter Titel: "Infinity" - was will Stefan uns damit sagen?
Das dazu gewählte Titelbild weist auf die Weiten des Weltalls hin. Ob selbiges wirklich unendlich ist, oder doch einfach nur unvorstellbar groß, darüber diskutieren die Gelehrten noch, und vielleicht wird das auch nie geklärt. So oder so bietet es Elektronik-Musikern seit Jahrzehnten den Raum und Anlass, ihre Gedanken in Klänge umzusetzen. Stefan Erbe macht dabei keine Ausnahme, auch wenn er seine Inspiration genauso im irdischen Leben findet und mit beiden Beinen im Leben und auf dem Boden der Realität steht.
Wie bei "Sound of Sky" üblich, ist dies die letzte Veranstaltung an diesem Abend und für 21 Uhr terminiert. Das legt nahe, zwecks Abendessen vorher noch einmal die lokale Gastronomie zu frequentieren. Als langjähriger "Sound of Sky"-Besucher hat man die natürlich längst mindestens einmal durchprobiert. Dieses Mal fiel unsere Wahl auf die "Karawane": Sehr gute arabische Küche, eine Tischreservierung ist aber dringend angeraten.
Als wir von der Karawane zurück zum Planetarium kommen, trifft Stefan in der Kuppel schon die letzten Vorbereitungen; die Frage nach seiner Interpretation von "Infinity" muss also bis nach der Vorstellung warten. Im Foyer halten Frau Erbe und Luna die Stellung am CD-Stand. Was gibt es an neuen Erbe-CDs? Das aktuelle Album "Distopia" ist bisher nur als Download erhältlich, aber für einige Besucher ist dies das erste "Sound of Sky" nach zwei Jahren Pandemie und Lockdowns. So wechseln doch noch einige Exemplare des Album-Vorgängers "Serbenity" gegen den üblichen Zehner ihren Eigentümer.
Wegen des Zuspruchs hatte ich mir im Vorfeld etwas Sorgen gemacht. Die erweisen sich jetzt aber als unbegründet: Nach und nach füllt sich das Foyer wie zu besten Zeiten, und das Personal des Planetariums hat gut zu tun, nicht nur die Tickets, sondern auch die Impfnachweise zu kontrollieren. Auch wenn die meisten bundesweiten Corona-Einschränkungen mittlerweile aufgehoben sind, per Hausrecht darf man sie weiter anwenden, und die Stadt Bochum tut das auch in ihren Einrichtungen (zu denen das Planetarium gehört). Eine FFP2-Maske muss die ganze Zeit getragen werden (wer nur eine einfache OP-Maske hat, kann noch schnell im Shop ein Upgrade erwerben), und es gilt "3G". Erfreulicherweise hat eine deutlich dreistellige Zahl von Besuchern sich nicht davon abschrecken lassen: Stefan Erbe wird an diesem Abend zwar nicht vor ausverkauftem Saal spielen, aber gut gefüllt ist er allemal.
Im Vorbeigehen ein kurzer Blick auf das aufgebaute "Besteck": Das ist auch für Stefans Verhältnisse dieses Mal sehr übersichtlich. Aus drei Keyboards plus Notebook ist nur noch eines sowie ein neu erworbener Korg Wavestate geworden. Da hat der Roadie ja kaum noch etwas zu tun! Von Keyboard und Instrumenten verstehe nicht allzu viel, aber im Gespräch nach dem Konzert höre ich heraus, dass Stefan gerade mit dem Wavestate sehr zufrieden ist.
Auch wenn "Geartalk" in der EM-Szene nicht unwichtig ist: Die Mehrzahl der Besucher interessiert sich doch in erster Linie für die Musik und nicht womit sie gemacht wird. Nachdem Frau Professor Hüttemeister das Mikrofon an ihn übergeben hat, verrät Stefan den musikalischen Fahrplan des Abends: Es werden heute nur Tracks von ihm selber laufen, und zwar ein Querschnitt der letzten sechs Jahre. In denen ist viel passiert, und die in diesen Jahren entstandenen Erbe-Alben decken eine erhebliche stilistische Spannweite ab. Wird Stefan dies für ein musikalisches Kontrastprogramm nutzen, oder doch eher nach den Gemeinsamkeiten suchen?
Schon nach den ersten beiden Tracks ist klar, dass Stefan sich für letzteres entschieden hat. Die erste Hälfte des Konzerts ist ein durchgängiger Mix von sphärischen und ambienten Klängen ohne wesentliche Brüche. Wer die Erbe-Diskographie nicht aus dem Eff-Eff kennt, wird erst am nächsten Tag bei der Veröffentlichung der Playlist feststellen, dass die zusammen gestellten Titel von vier oder fünf verschiedenen Alben stammen. Passend zur Gesamtstimmung sind Klaus-Dieter Ungers Projektionen an der Kuppel eher dezent und drängen sich nicht in der Vordergrund.
Grob zur Halbzeit schaltet Stefan einen Gang hoch: Jetzt kommen Titel, bei denen Melodie und Rhythmus eine deutlich tragendere Rolle einnehmen, und irgendwie schafft er, von dem Alben immer meine Favoriten zu treffen: "The Girl with the flaxen Hair", "At the last Stage", "When Angels Travel"...und dann auch noch das Titelstück der "Nachtlichter". Jetzt schwebe ich wirklich auf Wolke Sieben!
"Nachtlichter" war der letzte Track des Abends, und gleichzeitig noch die Zugabe: Die vorbereitete Liste ist komplett gespielt. Auch wenn ich die meisten Titel selber erkannt habe, die am nächsten Tag veröffentlichte Playlist wird dieses Mal besonders ungeduldig erwartet. Es ist Stefan Erbe an diesem Abend gelungen, aus Titeln von einem halben Dutzend Alben quasi ein neues zusammen zu stellen, und das möchte man in den eigenen vier
Wänden noch einmal nachvollziehen.
Um auf die Überschrift "Infinity" zurück zu kommen: Ich schlage nach dem Konzert im Geist den Bogen, dass Stefan Erbe an diesem Abend seine eigene musikalische "Essenz" heraus geschält hat: Das, was man wie einen Fixpunkt ewig umkreist, und dabei immer wieder aus einer anderen Perspektive betrachtet. Ich kann damit natürlich auch grob daneben liegen. Wie Stefan selber auf diesen Titel gekommen ist? Über den die ganzen anderen Dinge, über die man nach dem Konzert im Foyer sonst noch so plaudert, bis das Personal endlich abschließen will, ist mir entfallen, ihn das zu fragen - das werde ich bei nächster Gelegenheit nachholen. Hoffnung auf ein weiteres "Sound of Sky" in diesen Jahr darf man sich machen. Es ist aber noch nichts spruchreif, die von Stefan beschickten Nachrichten-Kanäle sollte man also im Auge behalten.
Alfred Arnold