Als Konzert-Veranstalter hat man's nicht leicht in diesen Zeiten: Hinter jeder Ecke lauert eine meist unangenehme Überraschung, und wenn man einmal glaubt, man hätte alles im Griff, dann passiert doch wieder irgendetwas und man muss die Pläne ändern.
Groove-Chef Ron Boots wird davon mittlerweile ein Lied singen können. Nach einem E-Live und einem E-Day hatte sich das NatLab gerade ein wenig als neue Heimstatt etabliert, da zwangen finanzielle Umstände ihn dazu, sich wieder nach einer neuen Location umzusehen. Wir wissen nicht, wie schwierig die Suche nach einer neuen "Bleibe" war, aber sie hat sicher mit dazu beigetragen, dass der Termin für das diesjährige E-Live ungewöhnlich spät im Jahr lag - Mitte November statt im Oktober. Dafür hat die Suche sich gelohnt: Das CKE, mitten in Eindhoven und unweit vom Hauptbahnhof gelegen, ist als Kulturzentrum genau auf Events wie E-Live ausgerichtet.
Der Saal des CKE bietet mit 230 Plätzen (einschließlich Empore) sogar etwas mehr Raum als der des NatLab. Ob Ron die auch alle würde füllen können? Ja, er konnte! Zwei Tage vor dem 12. November konnte er auf FaceBook ein stolzes "Sold Out" ausrufen - Punktlandung. Damit war der wirtschaftliche Erfolg schon einmal gesichert - es musste jetzt nur organisatorisch nur noch alles klappen. Das CKE ist nämlich ein wenig mehr auf "Selber-Macher" ausgerichtet, es bietet zum Beispiel keinen eigenen Catering-Service an. Also mussten dieses Mal auch Speis und Trank eingekauft werden. Und hoffentlich wird denen auch zugesprochen, sonst gibt es die nächsten Wochen im Hause Boots nur noch Hot Dogs und Grolsch...
Die gute Anbindung per Bahn werden wir bei der nächsten Gelegenheit sicher austesten, aber heute kommen wir doch noch einmal mit dem eigenen Fahrzeug. Praktischerweise befindet sich direkt neben dem CKE eine große Tiefgarage, und 7,50 Euro Tagestarif sind auch recht zivil (aus der Sicht eines Aacheners...). Ein wenig Verwirrung gibt es nur um die über allen Stellplätzen angebrachten Firmenschilder, aber die darf man an einem Samstag wohl ignorieren.
Nach wenigen Schritten stehen wir im Foyer des CKE. Es zieht sich über das gesamte Erdgeschoss und bietet deutlich mehr Raum als man im NatLab hatte. Zum Beispiel existiert hier eine richtige kleine "Neben-Bühne" mit Sitzplätzen davor. Die ist durch eine Trennwand so geschickt separiert, dass Musiker auch mal etwas lauter aufdrehen dürfen, ohne dass man sich an der Bar oder den CD-Ständen nicht mehr unterhalten kann. Ob Ron das bereits wusste, als er Manorlogic als "Pausenact" eingeladen hatte? Als wir kommen, ist das Foyer bereits seit einer guten Stunde geöffnet. Norman van Krimpen und Dirk Nusink präsentieren bereits ihre Mischung aus fetziger Elektronik und Perkussions-Instrumenten. Das muss für den Moment warten, erst einmal orientieren: Check-In, blaues Bändchen ums Handgelenk und bei der Gelegenheit auch gleich ein paar Verzehr-Marken erwerben. Für einen Besuch am Manikin-Stand reicht es gerade noch, "The Vlagtwedde Tapes" ist die Neuerscheinung und kann schon einmal auf der CD-Einkaufsliste abgehakt werden.
Vor dem Eingang zum Konzertsaal bildet sich bereits eine Schlange, es ist also an der Zeit, sich für einen guten Platz anzustellen - wie gesagt, E-Live ist ausverkauft. Die restlichen CD-Stände müssen warten, und Manorlogic spielen ja noch einmal in der großen Pause nach dem zweiten Konzert. Witziges Detail am Rande: Kaffeemaschine und Snack-Automat sind abgesperrt und heute per Definition außer Betrieb - bitte unterstützen Sie stattdessen den Veranstalter und sein eigenes Catering.
Der Einlass erfolgt pünktlich und unter dem obligatorischen Hochhalten des "bebändelten" Armes. Der Konzertsaal des CKE ist in Backstein-Optik gehalten, insgesamt wirkt er etwas kleiner als der im NatLab. Unter anderem durch die zusätzliche Empore passen hier aber mehr Zuschauer hinein. Erster Eindruck: Etwas gedrängter, dadurch aber auch intimer und so einem "Familientreffen" der EM durchaus angemessen. Die Bühne ist kleiner als im Natlab, aber immer noch hinreichend groß, dass die Instrumente aller vier Acts des Tages im Voraus aufgebaut werden können. Die Keyboards von "Elektronische Maschine", die den Tag eröffnen werden, stehen natürlich ganz vorne und bilden eine Phalanx. Wer ihre Auftritte kennt und in der ersten Reihe sitzt, der weiß, dass es eine 'hautnahe' Erfahrung werden wird.
Vorher spuckt aber die Nebelmaschine noch ein wenig Bühnennebel aus, und Ron Boots richtet ein paar Worte an den randvollen Saal - zuerst ausführlich auf Holländisch, und dann etwas knapper noch einmal auf Deutsch, denn auf den Rängen sitzen gut 60 Hörer aus dem Nachbarland. Das selbst organisierte Catering ist natürlich ein Thema, Ron hatte ja schon ein Foto der Einkäufe auf Facebook präsentiert. Fritten sind nicht dabei, wem der Sinn danach steht, der möge seine Schritte in der Pause einfach in die nächste Straße um die Ecke lenken. Was Ron im CKE auch selber organisieren muss oder darf: Das Licht, für dessen Aufbau und Steuerung heute Bas Broekhuis verantwortlich zeichnet.
Jetzt aber Bühne frei für die elektronische Maschine: Zu deren Konzept gehört ja nicht nur die Musik, sondern auch eine eingeübte Bühnen-Performance. Die habe ich in diesem Jahr schon zweimal genießen dürfen, einmal auf dem "Dutch Electronic Masters" und einmal auf der Summer Edition des Electronic Circus. Damit es nicht langweilig wird, wird die Show natürlich jedes Mal etwas variiert und verfeinert. Heute zum Beispiel ersetzen Tops in Schür-Optik die einfachen T-Shirts, und der Einsteiger-Titel ist ein neuer und hat heute Premiere.
Der Einstieg ist so, wie man es von der elektronischen Maschine erwartet: Druckvoll, mit Rhythmen, die die Sound-Anlage des CKE schon einmal einem ersten Test unterziehen, aber den Melodielinien noch Raum lassen. Dazu minimalistische Texte, und das ganze absolut tanzbar: So könnte ein klassisches Düsseldorfer EM-Quartett klingen, wenn es die Musik-Trends der letzten Jahrzehnte aufgegriffen hätten. Ein wenig "Kraftwerk" steckt natürlich in der musikalischen DNA drin, alleine die deutschen Texte sind eine Anspielung darauf. Aber die Elektronische Maschine ist auf der Höhe der Zeit, was man auch daran festmachen kann, dass sie auch außerhalb "unserer EM-Szene" gebucht wird.
Auf dem Einsteiger-Track, genauso wie auf dem folgenden Klassiker "Electro Feelings", hält sich das Quartett um Richard de Boer noch mit ihrer Bühnen-Performance ein wenig zurück. Auch für ihre Abrechnung mit der Covid-Pandemie (Bitte Masken nicht vergessen!) bleiben sie hinter den Keyboards. Die Pandemie haben wir hoffentlich hinter uns, und mit "Freiheit" geht es dann so richtig zur Sache: Das erste "Drum-Doppel" setzt sie dann aber zum Gipfelsturm an, und es ist genug Schwung für den ersten Höhepunkt, nämlich den 'Electro Dance' mit den selbst konstruierten Handheld-Drums. Es ist mit Fotos kaum möglich, den Eindruck einer so gut eingeübten und aufeinander abgestimmten Choreographie einzufangen.
Eine kurze Atempause gewähren die Vier uns und sich in 'Energie', aber auch hier bleibt klar, dass Power, Kampf und Kraft die zentralen Themen sind, um die Musik der elektronischen Maschine kreist. Jetzt darf auch der "Kinski" mit seinen alarmierenden Moves das Publikum ein wenig erschrecken, und es dauert nicht lange, bis die Action wieder vor anstatt hinter den Keyboards statt findet. Dieses Mal kommen die bereit liegenden Mini-Keyboards zum Einsatz - wer erinnert sich noch an den Musikanten mit Taschenrechner in der Hand?
Da wirkt der finale Titel 'Tanzen mit Computer' schon fast ein wenig wie ein Chillout-Track, um wieder auf normale Betriebstemperatur herunter zu kommen. Solle es das gewesen sein? Nein, in der Batterie ist noch genug Saft für einen kleinen Nachschlag. 'Kampfmaschine' sagt es noch einmal überdeutlich: Da, wo "Elektronische Maschine" drauf steht, ist auch immer Power drin, und es wird alles bis zum letzten Watt gegeben - auch heute im CKE, mit einem weiteren 'Energie' als Schlusspunkt.
Die folgende Pause ist eine 'kurze', in dem Sinne, dass sie 'nur' eine halbe Stunde lang ist. Rons Team wird sie im Saal brauchen, um die Bühne für die nächsten Acts umzubauen, und wir haben jetzt etwas Zeit, um nach dem ersten Konzert wieder ein wenig herunter zu kommen, und die ersten Marken in Speis und Trank umzusetzen. Doch halt, wir sind vorhin ja gar nicht dazu gekommen, die restlichen CD-Stände genauer in Augenschein zu nehmen. Den größten davon hat - natürlich - Rons eigenes Groove-Label, wie üblich zu E-Live oder E-Day mit ein paar Neuerscheinungen. Aber auch ansonsten ist das ausgebreitete Sortiment dazu geeignet, die eine oder andere Lücke in der Sammlung zu schließen. Ron kauft gelegentlich auch private CD-Sammlungen an, so dass immer wieder Einzelstücke von alten und längst vergriffenen Alben zu ergattern sind. Und falls die Wünsche größer sind als die Brieftasche her gibt: Kein Problem, bei Groove kann auch mit Karte bezahlt werden...
Mit Lamberts Spheric Music und Remys Deserted Island Music sind zwei weitere Labels vertreten, deren Sortiment immer einen genaueren Blick wert ist. Und am Manikin-Stand hat Wolfram Spyra, Haupt-Act des Abends, auch noch ein paar Alben untergebracht. Die 1997er-Version von 'Little Garden of Sounds', gerade als 2022er-Version zur Documenta veröffentlicht? Ja gerne, die fehlte mir noch in der Sammlung. Und schon stellen sich die ersten für das zweite Konzert an, das zum einen eine Premiere ist und zum anderen verspricht, ein absolutes Kontrastprogramm zum ersten zu werden. Denn mit Hans "Skoulaman" van Kroonenburg und Stephan Whitlan stehen zwei 'Feinmechaniker' der elektronischen Musik als nächstes auf dem Programm.
Es liegt noch der Bühnennebel vom letzten Konzert in der Luft, als Ron Boots etwas zu diesem neuen Duo erzählt. Gerade Skoulaman hat in diesem Jahr in Deutschland durch seine beiden "Grillfest-Konzerte" deutlich an Bekanntheit und Beliebtheit gewonnen. Und Hans hat mit seiner spontanen Zusammenarbeit mit Ron Boots (Mitschnitt gerade heute veröffentlicht) gezeigt, dass er auch auf andere Musiker eingehen kann. Eine ähnliche Fähigkeit stellt seit Jahren Stephan Whitlan immer wieder unter Beweis: Sei es solo, mit John Dyson bei Wavestar II, oder mit Ron Boots: Ein immer gern gesehener Partner auf der Bühne, der ein breites Spektrum an Stilen beherrscht und sich dabei sowohl einfügen als auch eigene Impulse geben kann. Man darf also gespannt sein, wohin sich die Sache in der folgenden knappen Stunde entwickeln wird...
...vorher scheint es jedoch noch ein technisches Problem zu geben. Aus der nebligen Dunkelheit der Bühne tauchen zwei Herren mit Warnwesten und Helmen auf. Nur ihre Stirnlampen beleuchten die Instrumente, was eigentlich jetzt benutzt werden sollten. So sehen also elektronische Instrumente aus? Ach, die drücken ja doch nur ein paar Knöpfchen, diese sogenannten Musiker, "everyone could do it". Glaubst Du mir nicht? Probieren wir's doch mal aus, so lange die Musiker noch nicht da sind...
Unter den Helmen verbergen sich natürlich Stephan und Hans, und die Vermutung liegt nahe, dass dieser kleine Sketch seinem Hirn entsprungen ist - Stephan ist auch ansonsten dafür bekannt, sich selber nicht immer ganz so bierernst zu nehmen. Der Nebel lichtet sich, die Baustellenkluft wird abgelegt und das neue Duo beginnt mit seiner "Arbeit". Dass hier alles live gespielt und nichts auf Knopfdruck abgefahren wird, das hatte Ron schon versprochen. Und es klingt auch wirklich "handgemacht": Sphärige Klänge liefern einen tollen Kontrast zum ersten Konzert. Hans steigt ganz behutsam mit seinen Sequenzen ein, und Stephan legt ein improvisiertes Solo dazu. Das ist in der Tat alles live und analog, hier testen zwei Könner einfach mal ganz locker aus, was denn so geht. Und man scheint sich gleich auf Anhieb zu verstehen.
Für Track Nummer zwei schaut Stephan kurz auf seinen Spickzettel: Wir hatten doch etwas vorbereitet, aber was war das noch? Kopfkratzend legt er ihn wieder zur Seite, es ist ja auch egal, wir machen einfach so weiter. Der Sound wird härter und experimenteller, so als müssten Stephan und Hans erstmal wieder in die Spur zurück finden. Das klappt selbstredend, das Klangbild wird immer dichter und die Sequenzen gewinnen an Fahrt. Das macht den beiden jetzt sichtlich Spaß, und auch für das Publikum kann mit in den Tunnel eintauchen: Das sind die gleichzeitig treibenden und hypnotisierenden Klänge, wie man sie von Free System Projekt kennt. Und genau wie Ruud und Marcel finden Stephan und Hans auch nicht so schnell wieder aus dem Tunnel heraus. Irgendwann meint Hans dann aber doch, es wäre genug, und legt Helm und Weste wieder an. Stephan stimmt zu, wir haben hier lang genug an den Knöpfen herum gespielt: Das kann ja wirklich jeder, lass uns jetzt wieder richtige Arbeit machen. Und weg sind sie...
...nein, Feierabend dürfen Hans und Stephan natürlich noch nicht machen: Nachdrückliche "One more!"-Rufe können nicht ignoriert werden. Stephan liefert in der Zugabe noch eines der verspielten und leichtfüßigen Solos ab, die ich so sehr an ihm mag. Die Premiere von "Skoulaman and Stephan Whitlan" war auf jeden Fall ein voller Erfolg, und es bleibt nur noch ein Wunsch: Dass das eben gespielte für die Nachwelt aufgezeichnet wurde und alsbald auf Tonträger erhältlich ist. Wir werden am Groove-Stand auf dem E-Day 2023 Ausschau halten...
Eine gute Tradition bei E-Live und E-Day, mit der auch im CKE nicht gebrochen wird: die große Pause nach dem zweiten Konzert. Wenn Hot Dogs und ein Schälchen Suppe nicht reichen, sondern der Sinn nach Fritten oder einem "richtigen Abendessen" steht, dann ist jetzt Zeit, sich in der Stadt nach einem Restaurant umzusehen. Auch einen Schlenker wert: Das zur Zeit in Eindhoven statt findende "Glow"-Festival mit Lichtinstallationen, für die es draußen mittlerweile dunkel genug ist. So leert sich das Foyer zusehends und der "Gesprächs-Pegel" sinkt merklich ab. Lange bleibt es aber nicht still, denn jetzt ist es an der Zeit für Manorlogics zweites Konzert auf der kleinen Bühne. Hat Bas Broekhuis im Hauptsaal für ein eher helles Licht mit gutem Weissanteil gesorgt (für das ihn der Fotograf übrigens sehr dankbar ist!), so sind Norman van Krimpen und Dirk Husnik in ein tiefes und dunkles Blau getaucht. Was aus diesem Halbdunkel zu den Zuschauerplätzen dringt, ist dafür alles andere als zu überhören: Fette Beats und harte Sounds, die genauso in die 80er wie auch das Hier und Heute passen. Zu denen steuert Dirk - wie schon in Frühjahr in Hazerswoude - handgemachte Perkussions-Effekte bei. Einmal mehr auffallend: Seine Vorliebe für Kuhglocken, und seine Ausdauer. Wer im zweiten Konzert etwas weg geträumt ist - hier ist die Alternative zum Kaffee als Wachmacher. Wie ich im Nachhinein erfahre, haben Norman und Dirk im ersten Konzert auch eine Version von Ansgar Stocks "Porsche 911" gebracht - nun, wir werden das nächste Mal etwas früher losfahren, um nichts zu verpassen...
Ein Unterschied diese "Pausenkonzerte" zu den regulären im Saal ist, dass immer ein wenig Kommen und Gehen herrscht - man trifft jemanden am Tisch, kommt ins Gespräch, führt das in einer ruhigen Ecke weiter, um danach zurück zu kommen und wieder ein oder zwei Tracks zu hören. Diese ungezwungene Atmosphäre, verbunden mit den vielen anderen Fans und Musikern, die man trifft, machen einen großen Wert von Rons Events aus. Nach und nach kommen die Besucher aus der Stadt zurück und der Gesprächspegel erreicht wieder das Niveau, das wir vom Mittag schon kannten. Und ja, die ersten stellen sich schon wieder für den Einlass an, denn man will einen guten Platz für das dritte Konzert ergattern. Das verspricht etwas besonderes zu werden: Ron greift selber in die Tasten.
Vor dem letzten E-Day im Frühjahr hatten sich Rob Papen und Ron spontan für ein Tribute-Projekt zusammen gefunden. Klaus Schulze war gerade verstorben, und seine Ideen und Werke sind auch heute noch vielen Musikern in der Szene Vorbild und Inspiration. Das "Mini-Konzert" im Frühjahr kam so gut an, dass ein Mitschnitt auf Bandcamp veröffentlicht wurde, und es hinterließ eine weitere Erkenntnis: Da geht noch mehr. In den Folgemonaten wurden weiter Sounds und Tracks ausgetauscht, bis genug Material für ein "ganzes Konzert" beisammen war. Und was trotz des schwachen blauen Lichts erkennbar ist, in das die Bühne jetzt noch getaucht ist: Da ist noch ein dritter Mann dabei, und wenn neben Rons Keyboards ein Drumset steht, dann kann das nur das von Harold van der Heijden sein.
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Wenn Ron selber spielt, dann kann er sich nicht selber ankündigen. In der Vergangenheit hat dann schon einmal Stephan Whitlan übernommen, und heute? Wolfram Spyra huscht kurz auf die Bühne: Nein, Du bist noch nicht dran! Heute geht es einfach so los - man kennt Ron, Rob und Harold ja, nur in dieser Formation noch nicht: die zweite Premiere des Tages. Und die legt ohne großes Vorspiel los: groß, filmisch, "viel Ron" und ein guter Teil BK&S, womit wieder die Brücke zu Klaus Schulze gebaut wäre. Aber das hier hat viel mehr Drive, alleine durch Harolds Drums.
Track Nummer zwei schaltet wieder einen Gang zurück: Chöre dominieren das Klangbild, und Harolds Perkussions-Arbeit ist deutlich feiner. Ich fühle mich ins Jahr 1976 zurück versetzt, als Klaus Schulze zusammen mit Harald Grosskopf die "Moondawn" aufgenommen hat. Aber bevor es zu langweilig und gleichförmig wird, dreht sich wieder der Wind und verwandelt das Stück zu einer Dance-Nummer. Leider ist zum Tanzen zu wenig Platz, hoffen wir also auch hier auf ein CD-Release des Mitschnitts.
Im dritten Titel dann der zweite Anlauf, den Fuß vom Gas zu nehmen: ein verträumt-minimalistischer Einstieg, dem sich dann auch die Sequenz anpasst. Das bildet die Basis für eines jener Soli, die man von Ron kennt, und in denen er selber zu versinken scheint. Es dauert lange, bis er wieder daraus auftaucht, und jetzt ist es auch an der Zeit, die ausgelassene Einführung nachzuholen: Der Aufhänger dieses Projekts kommt noch einmal zur Sprache, und nach zwei Dritteln von E-Live ist auch einmal Gelegenheit, sich bei den "Mitarbeitern" für das bisher geleistete zu bedanken: Bei Bas Broekhuis fürs Licht, das hat man ja selber organisieren und aufbauen müssen, und natürlich beim Catering-Team. Es hat alles bisher prima geklappt, obwohl hier deutlich mehr Eigenleistung zu erbringen ist als in "De Enck" oder im NatLab.
Ein letztes Stück im Anschluss: Jetzt ist der Einfluss von Klaus Schulze überdeutlich, mir kommen spontane Assoziationen mit "The Beat Planante". Das könnte eine weiter entwickelte Version des Tracks von Frühjahr sein. Und es war auch schon die Zugabe. Die Musiker liegen sich in den Armen über das gelungene Projekt. Aber mal am Rande bemerkt: Hat irgend jemand daran gezweifelt, wenn Ron Boots etwas in die Hand nimmt? Der einzige Kritikpunkt, den man danach hört: Da hat ja Frank Dorittke gefehlt!
Ein letztes Mal leert sich der Saal des CKE. Wir setzen die letzten Märkchen um, während drinnen die Bühne für Wolfram Spyra frei geräumt wird. Jetzt, wo die Instrumente aller früheren Acts abgebaut sind, wirkt sein Aufbau fast ein wenig verloren, und der Fotograf in mir würde es begrüßen, wenn man ihn ein wenig nach vorne in Richtung Bühnenrand gezogen hätte. Solche Aktionen hat man ganz früher in Oirschot gemacht, aber die sind nicht immer "unfallfrei" verlaufen und haben dann die eine oder andere Verzögerung verursacht - E-Live 2022 ist bisher im Zeitplan.
Rons Einführung gerät kurz und knackig, denn eigentlich sollte jede(r) Wolfram kennen, so lange ist er schon im "Geschäft". Und wer ihn noch nicht kennt, lernt ihn jetzt kennen, ganz besonders den eigenen Sound, den "der Spyra" über die Jahre entwickelt hat. Wer den noch nicht kennen sollte, lernt ihn jetzt kennen: Da sind schon Sequenzen, aber es geht weit über die Schule einer deutschen Großstadt hinaus (die mittlerweile Wolframs Heimat ist): Sie sind mit Wärme und Emotion aufgeladen, so wie es nur der Spyra hinbekommt. Meine Assoziation ist immer wieder ein funkelnder Kristall, in dessen Spiegelungen man sich verlieren kann. Wolfram hält aber den Kurs, während er zwischen den Keyboards seiner Burg hin- und her-rotiert und einen Teil davon über einen Breath-Controller steuert.
Genug geträumt? Gut, dann kommt jetzt etwas filmisches, von der "Sequest", aber "in a more rocky form". Nachdem das geschafft ist, wird es ein wenig persönlich: das kommende Album wird Wolfram den Kindern der Ukraine widmen. Das aktuelle Weltgeschehen geht auch einem Künstler und Musiker nicht spurlos vorbei, gerade wenn die eigene Frau aus der Ukraine stammt. Wir hören als Vorschau den klassischen Spyra-Sound, hinterlegt mit Zitaten von "Großen" der Weltgeschichte. Die reichen auch schon einmal bis in die Zeit des Kalten Krieges zurück, zum Beispiel Ulbrichts berühmtes Statement zum Mauerbau - alles hat seine Vorgeschichte, und ganz besonders das, was sich gerade bei unseren östlichen Nachbarn abspielt. Das sollte man auch an so einem Tag wie heute in Eindhoven nicht in Vergessenheit geraten.
Mit diesem kleinen Rücksturz in die Gegenwart endet das letzte Konzert, aber - es endet natürlich noch nicht. Auch hier verhallen die Rufe nach einer Zugabe nicht ungehört. "Future of the Past" hat Wolfram noch in petto, auch ein halb ausgefallener Breath-Controller ist kein Hindernis - falls sich jemand über die merkwürdige Haltung dieses Geräts am Schluss wundert...
Ohne Umarmung durch kommt auch der letzte Act des Tages nicht von der Bühne. Ron Boots hat es mal wieder geschafft, trotz der Widrigkeiten ein denkwürdiges Event auf die Beine zu stellen - mit viel Herz, Engagement und Unterstützern. Es bleibt jetzt nur noch zu wünschen, dass das CKE uns als Spielort länger erhalten bleiben wird als sein Vorgänger. Ach ja, und ein klitzekleines Problem muss Ron beim nächsten Mal doch noch adressieren: In einer Viertelstunde endet im nahegelegenen Fußball-Stadion das Heimspiel des PSV Eindhoven. Man macht sich entweder jetzt sofort auf den Heimweg, oder wartet noch eine gute halbe Stunde, bis die Fußball-Fans die Stadt verlassen haben. Das ist natürlich nur eine witzige Randnotiz an einem ansonsten rundum gelungenen Tag. Aber nachdem Kapitän Boots mit E-Day und E-Live bereits in den letzten Jahren alle Klippen erfolgreich umschifft hat, trauen wir ihm zu, dass er auch das noch hinbekommt. In diesem Sinne freuen wir uns auf einen E-Day 2023 - wieder im CKE in Eindhoven!
Alfred Arnold