Für das dritte EM-Event in der EM-Picknick-Reihe hat Norbert Sarrazin sich einen besonderen Leckerbissen aufgehoben: Mit KelMen kommt eine der spannendsten Kooperationen der letzten Jahre in die Ateliers in den Solinger Güterhallen.
Hier werfen Detlef Keller, der die ganze Spannweite der Berliner Schule von Retro bis Melodisch beherrscht, und Michael Menze, der aus seiner Arbeit in Instrumentenvertrieb mit ganz unterschiedlichen Einflüsse in Kontakt kommt, ihre Ideen in die gleiche Waagschale. Ein Live-Auftritt in Moers und ein Debüt-Album stehen bisher auf der Haben-Seite. Improvisations- und Variations-Freude garantieren, dass ein Live-Auftritt kein bloßes 'Reproduzieren' des auf der CD veröffentlichten Materials sein wird.
Im Gegensatz zu den ersten beiden Terminen ist das Wetter an diesem Samstag eher wechselhaft. Ein Auftritt vor den Ateliers, also auf dem ehemaligen Bahnsteig, wäre nicht ohne Risiko für das Instrumentarium gewesen. So überrascht es nicht, dass dieses Mal keine Stühle auf der Wiese vor den Güterhallen stehen. Stattdessen weisen elektronische Klänge einen eindeutigen Weg zu einem der Ateliers, nämlich dem 'Gleis 3'. Michael und Detlef machen hier gerade einen letzten Soundcheck. Weil der durchweg zufriedenstellend verläuft, ist auch noch Zeit für andere Dinge: Auch wenn Michael im Vertrieb von Roland auf Arturia gewechselt ist, er hat noch die Kontakte zu seinem alten 'Arbeitgeber', um Detlef ein paar neue Knöpfe für seinen Jupiter-80 zu beschaffen. Auch Keyboards sind nicht vor dem Effekt gefeit, dass gummierte Oberflächen sich nach ein paar Jahren in ein klebriges Etwas verwandeln. Mit neuen Knöpfen dreht es sich doch gleich viel angenehmer. Ach ja, ein wenig Zeit für ein Verkaufs- äh, pardon, Beratungs-Gespräch ist natürlich auch noch. Mal ausprobieren? Norbert lässt sich die Gelegenheit nicht nehmen. Investorische Folgen nicht ausgeschlossen...
Währenddessen füllt sich langsam das Atelier, sowohl mit Bekannten aus der 'EM-Szene', als auch mit Besuchern, die ich von den vorigen Picknick- Events her kenne. Jede Event-Reihe hat eben ihre eigenen 'Stammgäste'. Er erweist sich wieder einmal als geschickte Strategie, EM-Konzerte in eine Reihe einzubinden, in der auch andere Musik gespielt wird. Auf diese Weise bringt man die EM auch einmal aus ihrer Nische heraus.
Was die heutige Beteiligung angeht - nicht alle aufgestellten Stühle werden gebraucht. Woran es liegt, darüber darf natürlich spekuliert werden.
Das mäßige Wetter mag ein Faktor sein, und vielleicht hätte man damit werben sollen, dass dieses Konzert drinnen statt findet - Detlef erzählt in seinen einleitenden Worten nämlich, dass das von Anfang an so geplant war. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer, und er dreht dies in einen Vorteil: Wir können hier alle Gäste mit Handschlag begrüßen. Man versuche dies einmal, wenn Coldplay in einem Stadion spielen!
Da die meisten Gäste - wie bereits erwähnt - auch schon bei den ersten beiden Konzerten dabei waren, braucht Norbert sich in seiner Einführung nicht großartig zu wiederholen: Ein knackiges 'Auf die Plätze...' genügt, um die Reise durch KelMens Klang-Universum zu beginnen.
Gleich zu Anfang vermengen sich Chöre und exotisch anmutende Sounds - es geht weit weg, vielleicht irgendwo in eine Wüstenregion im vorderen Orient. Lange müssen Fans der Berliner Schule aber nicht dürsten, bis die Sequenzen einsetzen und wir die erste Oase erreichen. Wie man es von Stücken der Berliner Schule kennt, es wird sich Zeit genommen, das Thema zu entwickeln, aber hier wird sie auf angenehmste Weise erweitert: die Klänge nehmen mal Fahrt auf, mal wird das Tempo wieder zurück genommen. Der Flow ist auf jeden Fall da, und so sehr, dass die beiden einen Ausstieg suchen müssen - ein fetter Bass zum Schluss ist die Lösung. Das ist also das 'First Result', aber in der Live-Version, wie Detlef meint.
Der nächste Track ist nicht von der 'Results', sondern ein Solo-Titel von Michael, und so kommen von ihm auch die einleitenden Worte. 'Tramonto' ist aus der Erinnerung an einen Segelurlaub heraus entstanden. Und das hört man auch direkt bei den ersten Takten: Warme Rhythmen und ein flottes, aber nicht zu schnelles Tempo wecken Assoziationen an einen mediterranen Strand, von dem aus wir mit einem Cocktail in der Hand den Segelbooten zuschauen. Detlef trägt noch Streicher zu diesem Track bei, und den anschließenden Kommentar: kurz, aber heftig.
So wie sich das letzte Mal der Wellengärtner und Jingoba Electric abgewechselt haben, so wechseln wir nach einem Solo-Track wieder zur 'Results' zurück: Chöre und Mellotron-Sounds zaubern eine feierliche Stimmung ins Atelier. Die hält aber nicht nicht lange an und es wird so schwungvoll, das selbst Michael mit den Füßen mit wippt - Abwechslung ist Trumpf am heutigen Tag, und das regt die Musiker auch dazu an, das verfügbare Material zu variieren. Und es ist auch genau der richtige Zeitpunkt, den Hut für die 'Kollekte' des heutigen Tages durch die Reihen gehen zu lassen.
Wie bereits angedeutet, folgt auf einen Track von der 'Results' wieder ein Solo-Track von Michael: 'Downtown' nimmt auf Michaels Heimatstadt Bezug: Ob in der 'Downtown' von Gross-Gerau abends bisweilen so der Bär tanzt, wie dieser Titel es vermuten lässt - ich weiß es nicht. Ich kenne die
Stadt bisher nur von ihrem Nummernschild 'GG-...', das früher man auf den Pressefotos neuer Opel-Autos sehen konnte. Wie dem auch sei, 'Downtown' ist wieder ein Stück zum wach werden, und ist daraus entstanden, dass Michael sich nach Feierabend ein wenig an seinen Instrumenten 'abreagiert' hat. Detlef trägt dazu - quasi als kleinen Kontrapunkt - eine Melodie bei, wie man sie von seinen 'Spaintronic'-Videos kennt.
Zurück geht die Reise auf die 'Results', und bei der Sequenz kommen mir wohligste Erinnerungen an KelMens ersten Auftritt in Moers - eine Sequenz und eine Melodie wie zum Wegschweben. Auch Detlef schließt die Augen und kommt ins Träumen. Man wünscht sich beinahe, dieser Titel möge nie enden, aber das geht im 'realen Leben' natürlich nicht. Eine Stunde war ursprünglich mal geplant, aber jetzt sind es schon derer anderthalb geworden - gut dass Michael und Detlef nicht in der Gewerkschaft sind. Und so begibt es sich in den Solinger Güterhallen, dass es eine volle Stunde pro Musiker wird, denn es werden noch zwei Zugaben gefordert und auch gewährt: 'Pull Moll' liefert noch einmal Drums und wuchtige Sequenzen, und der allerletzte Track des Tages mit viel Pathos den passenden Ausklang.
'Ausklang' ist das richtige Stichwort, denn dies war das letzte (EM-)Picknick-Event für 2023. Traurig sollte man aber nicht sein, man sollte sich eher im Rückblick noch einmal erinnern, was wir in den letzten Wochen hier an und in den Güterhallen erlebt und gehört haben: Da kann man nur den (virtuellen) Hut vor Norbert Sarrazin und seinem Team ziehen. Einen ganz reales und gut mit Scheinen gefülltes Exemplar bekommen Detlef und Michael, und es wechselt auch noch die eine oder andere 'Results'-CD ihren Besitzer. Wer sich für Menzmanns Solo-Titel interessiert: Die stehen auf Bandcamp bereit.
Das Konzept des EM-Picknicks funktioniert: Überschaubarer Aufwand, viel Spaß und intime Atmosphäre. Ich bin sehr sicher, dass die EM-Picknicks auch im kommenden Jahr ihre Fortsetzung finden werden: Auch da wird es einen Sommer geben, und man wird den Weg zu den Güterhallen finden - egal ob per Auto oder Bahn, der Weg lohnt sich immer.
Alfred Arnold