Wenn Stefan Erbe sich entschieden hat, in diesem Jahr der Bühne fernzubleiben, bedeutet das keine komplette musikalische Auszeit und ein verwaistes heimisches Studio. Im Gegenteil, er hat viel Zeit an diesem Ort hat verbracht, um seine Archive zu durchforsten, und dabei den einen oder anderen bisher unveröffentlichten Track wieder hervor zu holen. Von denen gibt es in einer Musiker-Karriere viele, sei es weil das Projekt sich zerschlagen hat, sie nie auf ein Album gepasst haben, oder für die endgültige Version doch noch einmal komplett überarbeitet wurden.
Das gesammelte und aufgearbeitete Ergebnis dieses Rückblicks und Reviews liegt jetzt als 'Retrologica 2024 vor'. Den Titeln auf einem solchen Album liegt natürlich keine übergreifende Geschichte zugrunde, wie es beim Vorgänger 'Genesys 23' der Fall war. Aber auch bei so einem Projekt legt Stefan Erbe auf einen ganz wichtige Sache wert, nämlich den Spannungsbogen - eben jene Stimmung, die die Titel verbindet und dafür sorgt, dass ein Album mehr ist als die Summe seiner einzelnen Titel, und es zu einem Gesamt-Kunstwerk macht.
Dieser Spannungsbogen ist für Stefan so wichtig, dass sogar einer der Titel just diesen Namen trägt. Und der Bogen funktioniert auf 'Retrologica' so: Der Hörer erlebt einen ständigen Wechsel von Titeln, die man bisher noch überhaupt nicht kannte, und von solchen, die bereits in anderer Form veröffentlicht wurden. Einige Stücke von Baltes&Erbe-Alben erlebt man auf 'Retrologica 2024' zum Beispiel in einer von Stefan solo gestalteten Fassung. Da kann es dann ein spontanes Wiedererkennen geben: "Ja, natürlich, spannend, das man das auch so spielen kann, auch sehr gut". Und zwei Tracks weiter dann die Überraschung, wenn man den Namen des Titel nachliest: "Ach das ist das, ja stimmt, beim zweiten Hören erkenne ich es wieder".
Spätestens nach dem zweiten derartigen Aha- und Wiedererkenn-Erlebnis ist man von diesem Album derartig 'angefixt', dass ein sofortiger Genuss bis zum Ende - und am besten noch eine zweite oder dritte Runde - eigentlich alternativlos ist. Man kann es schlicht kaum erwarten, was einen 'um die nächste Ecke' erwartet!
'Retrologica 24' ist ein gänzlich anderes Erbe-Album als sein Vorgänger, aber auf seine Weise genauso kurzweilig, konsistent und gekonnt. Es ist ein bunter Streifzug durch Stefan Erbes Arbeit der letzten anderthalb Jahrzehnte. Dabei berührt es das, was war, genauso aber auch das, was hätte sein können. Und nach 90 Minuten Hörgenuss ist der Autor dieser Zeilen fest davon überzeugt, dass Stefans musikalische Wege noch lange nicht ihr Ende gefunden haben - auch wenn sie von gelegentlichen Pausen unterbrochen werden. Die aktuelle Pause überbrückt 'Retrologica 2024' auf bestmögliche Weise.
Alfred Arnold