Diesesmal bewegen wir uns ein wenig am Tellerrand der traditionellen elektronischen Musik und vielleicht ein wenig darüber hinaus. Mit dem Musiker und Blog-Meister Ronny Kraak alias Das Kraftfuttermischwerk treffen wir auf einen "Erben" in Sachen EM, der aber auch um seine musikalischen Wurzeln weiß.
1. Wie bist du zur Musik gekommen? Warum die Elektronik?
Ich mochte Musik schon immer außerordentlich gerne. Womöglich war ich damals auch deshalb der einzige Junge im Schulchor. Meine Musiklehrerin wollte mich gerne in den Thomaner-Chor stecken. Meine Mutter wollte das nicht. Wegen Mathe.
Später hörte ich dann immer die Police und Rio Reiser Platten meines Bruders, die er sich 1989 von seinem Begrüßungsgeld kaufte. Sehr viel Lindenberg, auch Ärzte, die im Osten schon vorher sehr populär waren, und Yello.
Anfang bis Mitte der 90er kam dann Techno und veränderte mein Leben. Nicht der Musik wegen, sondern wegen dem ganzen Lebensgefühl. Bei uns im Osten begann ein völlig neues Leben. Alle Normen, alle Werte wurden komplett neu ausgelotet. Man wollte ein Gefühl dafür bekommen, was hinter dem Wort "Freiheit" steckte, wie viel es für uns herzugeben vermochte. Techno war der Soundtrack, der diesem, meinem Lebensgefühl am nähersten kam. Alles neu - alles anders. Es passte so wie Arsch auf Eimer.
Womöglich würde ich heute ohne Techno in den 90ern ein anderer Mensch sein. Ganz sicher sogar. Es war nach dem Mauerfall das Größte, was mir je passiert ist. Und ich meine Techno als Stil-Überbegriff samt der von mir so sehr gemochten Schubladen wie Ambient, E-Dub, Downbeats, Drum'n'Bass. All diesem elektronischen Zeug.
2. Das Kraftfuttermischwerk ist ja mittlerweile nur noch Ronny Kraak. Wieso? Und was hat dich bewogen, alleine weiter zu machen?
Ich hatte die damals diese Namensidee und den Glauben daran, dass diese Art von Musik gar nicht schlecht sein könnte. Auch weil sie ziemlich eigen war. Schon immer.
Ihm (dem damaligen Partner) fehlte es letztendlich an Motivation und der manchmal nötigen Zielstrebigkeit, um "auf den Punkt abzugeben". Das trennte uns. Vielleicht wuchsen wir musikalisch auch ganz einfach nur auseinander und änderten über die Jahre unsere Prioritäten. So genau habe ich das nie reflektiert, ich hatte auch damals schon einige Sachen alleine gemacht und führte das dann einfach nur weiter, wobei sich der Sound natürlich auch etwas verändert hat.
Der Name blieb, weil ich ihn bis heute als den besten empfinde, den ich mir je hätte geben können und ich wollte das nicht ändern. Außerdem war das Blog schon sehr mit der Musik verwachsen und ich wollte das nicht zerreißen.
3. In welchem Verhältnis stehst du/siehst du deine Musik bzgl. traditioneller elektronischer Musik (Schulze, TD, Kraftwerk etc.)? Spielt die Historie für dich überhaupt eine Rolle?
Ja, heute schon, zu Beginn eher wenig bis gar nicht. Ich bin erst über den Techno zu den musikalischen Ahnen wie Schulze oder Kraftwerk gekommen. Zwischenzeitlich holte ich das alles nach und hörte mich da rein. Deshalb kaufte ich mir später auf Flohmärkten fast die komplette Kraftwerk Discographie auf Vinyl zusammen, welche ich heute noch in Ehren halte. Wirklich bewegt hat mich dieser Sound allerdings nicht, dafür bin ich wohl zu jung. Ich mag das alte Zeug auch heute nicht mehr außerordentlich gerne. Ja natürlich, Kraftwerk waren bahnbrechend und für viele zum Glück sehr inspirierend, ich hörte mir allerdings lieber jene an, die sich davon inspirieren ließen und etwas Neues daraus schafften. Schulze war ja immer mehr ganz tief im Ambiente. Das mag ich auch heute noch. Aber andere klingen dabei heute eben frischer.
Wirklich geprägt hat mich allerdings der Berliner Sound der 90er aus dem Basic Channel Umfeld, die Downbeat-Perlen von Elektrolux und auch der Psy-Trance, den ich jahrelang feierte.
Trotzdem habe ich mich immer auch um die Geschichte bemüht und ziemlich viel Informationen in mich gestopft. Ich wollte immer wissen, mit was ich es da zu tun hatte. Wo kommt was her? Von wem ist das und was macht der sonst noch so? Wie wird das gemacht? Für mich war das immer ziemlich wichtig.
4. Was ist dir bei deinen Konzerten besonders wichtig? Und was ist deine Philosophie bzgl. Live- vs. DJ-Set?
Live mag ich ich es technisch gerne so minimal wie möglich. Wir sind damals immer mit einem 24er Pult und dem kompletten Studio zu unseren wenigen Live-Gigs aufgeschlagen, welches wir dann auf einer Tapezierplatte zusammensteckten. Ein Höllenaufwand für die 60 Minuten, die man damit dann meist musizierte. Das waren immer eher Dance-Floor orientierte Sachen. Heute spiele ich dagegen fast ausschließlich Downbeats live, wobei sich eine gewisse technische Routine eingeschliffen hat. Ich bin dabei recht flexibel und die Leute wissen ja meistens, was sie kriegen, wenn sie mich gebucht haben.
Bei DJ-Sets kommt es immer darauf an, was genau erwartet wird, weil ich mich ja gerne mal ganz quer durch das Gemüsebeet spiele, was zwar Spaß macht, allerdings nicht für jedermann tanzbar ist. Und man will ja nicht langweilen. Deshalb mache ich das schon von der jeweiligen Veranstaltung abhängig und dem, was man dort in etwa hören will. Grundsätzlich spiele ich immer das, was ich besonders geil finde. Ob das nun schon etwas älter oder frisch aus dem Export kommt, ist mir da eher egal. Außerdem mag ich Überraschungen.
5. Das Kraftfuttermischwerk ist ja mittlerweile nicht nur ein Musikprojekt, sondern auch eine Social Media Institution mit groflem Fandom. Bist du von dem Erfolg überrascht? Hast du manchmal Angst vor dem Zulauf?
Ja und nein. Als ich damals mit dem Bloggen begann, hätte ich nie erwartet, irgendwann mal soviel Feedback zu haben, wie das heute der Fall ist. Ich habe auch nicht darüber nachgedacht, ich habe mich einfach nur irgendwie mitteilen wollen. Die Zahl der Leser wuchs immer recht kontinuierlich, weshalb die großen Überraschungen ausblieben - das ging eben nicht von jetzt auf gleich. Womöglich auch ganz gut so.
Das allerdings irgendwann mal so viele Leute das mögen würde, was ich gerne mag, überrascht mich schon, klar. Zumal ich bei manchen Themen nicht davon ausgegangen bin, eine Zielgruppe damit anzusprechen. Aber das ist eben ein Teil des Netzes: es gibt für alles Zielgruppen. Auch deshalb finde ich Blogs an sich so grandios.
Angst vor dem Zulauf habe ich keine. Wie gesagt, mann wächst da auch ein Stück weit rein. Eine kleine Angst eher vor irgendeinem Abmahnanwalt, der sich an irgendeiner Copyright-Angelegenheit (einen) reiben will. Davon blieb ich bisher zum Glück immer verschont.
6. Dein Blog ist eine Quelle an Informationen und Lustigem, aber auch alltäglichen oder ärgerlichen Dingen. Denkst du, dass deine offene und ehrliche Schreibe mit ein Grund für die Beliebtheit ist? Welcher Art sind sind die Rückmeldungen?
Ja, ich glaube tatsächlich, dass ein Blog nur dann wirklich gut ist, wenn es Persönlichkeit hat. Ich meine, seinen Reader mit dem geilen Slice vollknallen kann jeder. Das dann bloggen kann auch jeder - machen ja auch viele. Aber ich will gerne wissen, was die Schreiber an persönlichen Momenten mit dem verbindet, was sie da raushauen. Das muss auch nicht immer sein, aber wenn man hin und wieder auch einen Menschen hinter einem Blog durchkommen lässt, finde ich das um Längen spannender, als das bloße regenerieren von Content. Zumindest lese ich Blogs genau dann am liebsten. Mir eventuell ein Bild davon machen zu können, wer hinter dem Domain-Namen steckt. Als Mensch, als Individuum. Mit Vorlieben und Abneigungen. Das mag ich. Und ja, ich glaube, das macht auch mein Blog irgendwie aus, zumal ich anfänglich eigentlich immer nur sehr persönlich bloggte. Heute nicht mehr so sehr, aber immer noch ein bisschen.
Ich bekomme immer wieder Mails mit sehr viel positivem Feedback. Das alles genau so zu machen, wie ich das für richtig halte. Ohne das zu kalkulieren. Weil man weiß, was Links und somit Fame bringt, oder so. Ich mache bei mir seit jeher, was ich mag, was ich für richtig halte, und bringe auch mal das, was keine Garantie für Aufmerksamkeit ist. Weil ich das, was ich da mache, wirklich liebe. Mein Blog ist mein Schatzkästchen und wenn ich dieses heute im Garten vergraben würde, würde ich in 20 Jahren ganz genau wissen, was ich 2012 und die Jahre davor sehr mochte. Als genau das verstehe ich mein Blog auch: als mein persönliches Schatzkästchen. Und es freut mich, dass Leute da draußen vieles davon ebenso gerne mögen, wie ich das tue.
7. Worüber ärgerst du dich am Meisten? (Oder am Liebsten?)
Am meisten über den ganzen kapitalistischen, alltäglichen Wahnsinn, in dem wir hier leben und über den man sich eigentlich gar keine genauen Gedanken machen darf, ohne dabei durchzudrehen. Ich verstehe das alles nicht mehr.
Am liebsten über Nazis und den alltäglichen Rassismus, der sich um uns herum in die Mitte der Gesellschaft eingepflanzt hat. Das kotzt mich wirklich an. Also wohl doch eher am meisten, als am liebsten.
Am liebsten ärgere ich mich über einige andere deutsche Blogs. Überhaupt außerordentlich gerne über "Tüpen aus dem Internet".
8. Was sind deine aktuellen Projekte in der nächsten Zeit (6-12 Monate)?
Ich versuche gerade eine neue EP zusammenzubekommen, die gegen Sommer kommen soll, um meine Live-Sets ausbauen zu können. Läuft.
9. Welche Musik läuft momentan häufiger in deinem Player? Bist du selber "Fanboy" eines Künstlers/einer Gruppe?
Ja, zumindest was DJs betrifft. Ich mag die Mixe von Audite außerordentlich gerne. Auch die von Robyn. Solitude. Den Drum'n'Bass, den Lenzman auf die Teller packt, während Rya ihm die Lyrisch macht, macht mich auch ziemlich an. Da gibt es nach wie vor Großartiges und durch das Internet kommt man auch immer wieder ein neue Künstler, die außerordentlich gute Musik machen.
Allerdings kommt das immer auf die aktuell musikalischen Phasen an, die ja immer variieren. Im Moment ist es viel deeper Dubstep und schnelle gebrochene Beats.
Allerdings habe ich immer für alle Gelegenheiten Musik auf dem Player, die da auch nie runter kommt. Von Ambient über Dub, Dubstep, dem Reggae, Deep House, D'n'B, Jazz, bis hin zum Psy Trance, der lange meinen musikalischen Alltag und meine musikalische Sozialisation bestimmt hat. Soweit zum Elektronischen.
Daneben höre ich unheimlich gerne Reiser und seine Scherben, die alten Bob Dylan Platten, The Police, alles wo Jan Plewka singt, RATM, die Pumpkins, Kettcar und so weiter.
Ich glaube, dass passt eigentlich alles so gar nicht zusammen, aber ich mag das. Irgendwie.
10. Die berühmte Abschlussfrage: welches sind deine drei ultimativen Longplayer (keine eigenen), die du auf eine einsame Insel mitnehmen würdest?
The KLF - Chill Out
Terranova - Close the Door
Cosma - Non Stop, unter die ich eine gebrannte Version von Marko Fürstenbergs "Gesamtlaufzeit" legen würde. (Weil ohne die vier will ich auf überhaupt gar keine Insel.)
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Das Interview führte Stefan Schulz