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Kolumne: Von Piraten, Cowboys und Indianer

Schon als kleine Kinder musste man sich entscheiden, entweder man war Cowboy oder Indianer. Entweder "Polyester-Hut" oder "Plastik-Feder", beides war unmöglich. Schon immer galt es, entweder Zelt oder Saloon. Winnetou und Old Shatterhand in einer Gruppe, einfach unmöglich. Moralisch gesehen, war es uns Kinder sowieso egal, ob wir jemanden skalpierten oder mit der Kutsche 3 Squaws entführten. Hauptsache schlammwülend und mit großem Bohei, der Nachbarschaft auf den Senkel fallen und immer in der freien Natur um das heroische Recht des Stärkeren kämpfend. Egal ob es regnete, schneite oder jemand "Miracoli" schrie, erst wenn der letzte Meter Grund und Boden verteidigt war und die Dunkelheit einbrach, ging es an die Stillung der niedrigen Grundinstikte oder an die Hausaufgaben für den nächsten Tag.

Computer, Spielekonsolen und schnurlose Telefone gabs nicht. Der erste C64 (bei mir war es sogar noch ein VC20) löste auch noch keine Computerabhängigkeit aus, die uns möglicherweise davon abhalten konnte, bereits nach der Schule wieder in "Pisspotscher Manier" die Manschaftsaufstellung festzulegen, um diesmal nicht als Cowboys und Indianer aufzulaufen, sondern als Müller, Beckenbauer und co. vor den Medizinballähnlichen Lederklops zu treten. Auch hier konnte erst das fehlende Flutlicht und die Erinnerung an die gestrigen Standpauke des Zuspätkommens dafür sorgen, dass man nach ungezählten Stunden und mit einem Ergebnis von 86 zu 79 nun endlich nach Hause musste.

Betrachtet man diese Zeit, es hat uns nicht geschadet eine stattliche Zeit im Dreck herumgewühlt zu haben. Im Gegenteil, eine Zeit zu kennen in der es noch keine Computertechnik gab, hilft sehr dabei, die Zeit mit Web 2.0, Smartphones und Clouds besser zu verstehen und sogar mit ihr umzugehen. Auch wenn jeder von uns nicht mehr auf sein Notebook oder sein Handy verzichten möchte, man weiß noch immer wie es ohne diese Dinger funktioniert hat.

Nun die Nachfolge-Generationen, für die diese Technik völlig selbstverständlich war, scheint sich mehr und mehr von den o.g. Kinder-Ritualen gelöst zu haben und referenziert sich eher auf die Zeit mit Mario, Luigi, DOOM, Half-Life und co. Lieber im trockenen Zustand Fifa Irgendwas gespielt, als Äpfel und Birnen beim Nachbarn klauen. Musik wird heruntergeladen und nicht mehr im Laden gekauft. Ein Buch besteht aus Megabytes und nicht aus Seiten. Keine Frage, das ist alles nachvollziehbar, praktisch und effizient und scheint logisch, sowie zeitgemäß. 

Nur manchmal will das eine oder andere nicht so recht einleuchten, wie z.b. die Diskussion über das Urheberrecht und die Ansichten einiger Piraten, die "beinahe" die Auflösung von bezahlter Kunst und Musik einfordern. Ist es der beiläufigen Möglichkeit geschuldet, dass man nahezu jedes "Kulturgut" in irgendwelchen Foren, Tauschbörsen und subversiven Websites kostenlos herunterladen kann, dass manch ewiger IT-Student plötzlich glaubt in die Politik gehen zu müssen, um den vielen Künstlern nun auch offiziell mal vors Schienbein treten zu können? Ok, das Thema ist wahrscheinlich viel diffiziler als die polemischen Wörter die hier verwandt werden, aber mich beschleicht eher ein ungutes Gefühl wenn ich diverse unwissende "Piraten" in den täglichen Talkshows sehe und wie sie mit ihrer kindlichen Naivität dafür sorgen wollen, ganze Herscharen an Musiker, Produzenten und Verlage in die Pleite laufen zu lassen. Natürlich, manche der "Freibeuter-Ansichten" könnten auch ein gutes Ende nehmen, aber hinsichtlich der wirtschaftlichen Kulturbehandlung scheint es doch den meisten der IT-Politikern an Sieben-Weltmeere-Erfahrung zu mangeln. Nein, nicht jeder von Ihnen hat sein Leben lang nur vor den Nullen und Einsen seiner Hardware verbracht, aber bei vielen scheint es doch an praktischen Erkenntnissen zu fehlen, sowie der Einsicht, dass Kultur nicht nur über eine Gerät mit einer Auflösung von Eintausendsechshundert mal neunhundert Bildpunkten zu konsumieren geht. 

Mir fehlt bei der ganzen Diskussion die praktische "Piss-Pott-Mentalität", dass Cowboy und Indianer-Sein und der haptische Dreck, den jeder mal in die "Fresse" bekommen musste. Mir ist das alles zu virtuell und zu konstruiert. Liebe Piraten, verlasst doch mal eure W-Lan Bistros und geht mal wieder Fussball spielen. Fragt doch mal die Künstler und Macher, warum sie schon jetzt zu den "Ausgebeuteten" gehören und glaubt nicht immer den Forumseinträgen, Blogs und Social-Networkern, die aus ihren verschanzten "EDV-Schießlöcher" die Welt mit virtueller Freiheit befeuern.

Ich will keine EDV-gesteuerte Systematik, die auf einer Mehrheit von Abstimmungen im Internet basiert und sich nur den Ergebnissen unterwirft, ohne sich die Mühe zu machen ob es vielleicht doch besser wäre, jemand zu fragen der sich damit auskennt. Sozusagen den Gelben-Seiten Autor der Systeme und deren Hintergründe. Mir erscheint der Hype um die Piraten, ist das Ergebnis einer jungen Wählergeneration, die möglicherweise zu Faul geworden ist auf die "Strasse" zu gehen und selbst herauszufinden, was da läuft. Und es folgen ihnen jede Menge Menschen, die nochmal zugegeben, in der bestehende und fragwürdigen Politikerauswahl auch keine Optionen sehen. Wahrscheinlich würde dies jeder der jetzigen Mitvierziger auch tun, wenn er erst heute zwanzig wäre und die festplattengespeicherte Pubertät gerade erst ausgelebt hätte. Vielleicht liegt wie immer die Lösung irgendwo dazwischen und man sollte das Beste aller Optionen verwenden. Aber das freche, neue und interessante Fragespiel der jungen Piraten ist mir zu einfach. Wir brauchen wieder mehr "Cowboys und Indianer"!

Stefan Erbe

(Bild Daniela Baack pixelio.de)


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