Nun, das Jahr ist zwar noch nicht ganz vorbei, aber irgendwie beschleicht den Autor den dringenden Drang nach einer EMschen Jahresrückbetrachtung und einer erneuten Wasserstandsanalyse. Allerdings werfen wir weniger einen besonderen Blick auf die einzelnen Produktionsergbenisse, sondern vielmehr auf die Entwicklung der gesamten Szene. Dabei mag man bereits schon jetzt vermelden, es wird weniger "gezankt und gezickt", es gibt kaum noch Grabenkämpfe und Boykottaktionen und auf allen Veranstaltungen wird ein freundlicher Umgang gepflegt, der zeitweilig in Atmosphären wandelt, die man aus frühen KLEM-Dag-Zeiten kannte.
Gut so, ...aber! Leider gibt es auch ein Aber, denn wo bleiben auch in diesem Jahr die Innovationen und neuerlichen Ideen, die die Musik immer noch dringend benötigt, um auch kommerziell wieder nach vorne zu kommen. Wenn wir in die Gesichter der Top-Leute dieses Genres schauen, bleibt zu hoffen, dass sie noch ein paar Jahre durchhalten werden, denn bisher gibt es kaum eine Anzahl an Acts, die das Potential haben auch den Mainstream-Markt zu erobern. Aber woran liegt es eigentlich? Warum schafft es keiner der uns bekannten Musiker oder Bands mal so richtig durchzustarten? Fehlen die textilreduzierten Frontschlampen oder gar ein mieses Schlägerimage? Brauchen wir mehr Hochglanz-Videos und Medienüberflutungsaktionen?
Vielleicht von allem ein bisschen?! Betrachtet man z.b. den deutschen Topact Christopher van Deylen alias Schiller, so stellt man fest, dass es an der Musik selbst nicht liegen kann, denn es gibt einiges an guter Musik, die locker mit dem instrumentalen Output mithalten könnte. Somit folgert sich doch wieder das Image des Künstler, als -alles entscheidend- heraus? Mitnichten, denn van Deylen kommt auch eher als "Normalo" mit wenig Allüren um die Ecke und gilt eher als sympathischer Zeitgenosse, der nicht abgehoben ist. Was macht es dann aus?
Qualität, gute Kooperationen und ein solides Netzwerk!
Schiller hat als Projekt von Anfang an auf Kooperationen gesetzt und die noch eigene "Minderwertigkeit" durch geschickte Projektpartnerschaften ausgeglichen. Egal ob Synchronsprecher "sinnlose" Phrasen sprechen, chinesische Tastaturvirtuosen oder elfenstimmige Sängerinen beim Populär-Start geholfen haben, all dies hat dem ganzen ein Gesicht gegeben. Später Heppner, Oldfield, Midge Ure und jetzt Unheilig festigen das Prinzip, dass man noch "Bekannter" wird, wenn man bekannte Bekannte einlädt.
Ein wirklich kluge Strategie, die allerdings nicht funktionieren würde, wenn nicht auch die eigentliche Musik den Geschmack vieler treffen würde. Aber betrachtet man die Songs mal genauer, so entdeckt man auch ein bisschen Beliebigkeit und seichte "Einweg-Notierung", die aber ebenfalls genau das macht, was sie machen soll. Die Highlights nämlich noch heller strahlen zu lassen. Somit geht die Strategie von Schiller eben auf und scheint momentan als einziges EM-Nahes Konzept zu funktionieren.
Aber Achtung! Wer nun von diesem Erfolg etwas abhaben möchte, wird mit einer (auch in der Hochglanzversion und gut gemachten) Schillerkopie keinen Erfolg haben, denn die Maschinerie ist nicht auf die schnelle zu duplizieren, denn was da so leicht und locker aussieht, bedurfte langjähriger und kluger Medienarbeit.
Somit empfiehlt es sich weiterzuarbeiten, und zwar an der eigenen Individualität, sowohl musikalisch als auch in der Außenwirkung. Leider reicht nur das Erzeugen guter Musik nicht aus, sondern es muss sich ein Produkt entwickeln, welches so oder in ähnlicher Form noch unentdeckt blieb.
Also Roboter, riesige Synthesizer-Türme mit epischen 30 Minuten Stücken, griechische Orchester-Teppiche und französisches lichtergeflutetes Herumgehüpfe auf der Bühne haben wir bereits. Es wird also Zeit mal nach neuen abgefahrenen Ideen zu suchen. Viel Glück dabei....
Stefan Erbe