Ein EM-Event, das ein bisschen aus dem Rahmen der sonstigen Ereignisse herausfällt, ist das Dinosauriertreffen. Zwar gibt es hier auch Live-Musik zu hören, im Mittelpunkt stehen aber die Synthesizer selber, und wie der Name erahnen lässt, eher die großen alten modularen Systeme. Sammler, Musiker und sonstige Enthusiasten bringen ihre alten, neuen und vielleicht gerade frisch restaurierten Schätzchen mit. Die werden dort aber nicht nur ausgestellt, sie werden auch betrieben und es gibt dazu kleine und größere Live-Performances.
Am 21./22.11. öffnete das Dinosauriertreffen zum vierten Mal in Bocholt seine Tore. Während am Sonntag die Musiker unter sich blieben, wurde am Samstag auch der Allgemeinheit der Zutritt gewährt, gegen einen Eintritt von schlappen 5 Euro. Wer sich für ein Gerät interessierte, dem wurde es geduldig erklärt und man durfte auch einmal unter Anleitung selber 'Hand anlegen'. Neben echten Vintage- oder Eigenbau-Geräten (auch das weltgrößte Formant-System war zu sehen und zu hören) konnte man auch aktuelle Geräte sehen. im Moment läuft ja gerade eine kleine Retro-Welle durch die Szene, viele Hersteller bauen wieder analoge Synthesizer oder legen Klassiker neu auf.
Historische Geräte oder deren Nachbauten standen auch im Fokus der ersten beiden Live-Performances. Den Anfang machte Wolfgangschaltung mit einem knapp zehnminütigen Titel, den er einem Nachbau eines modularen Systems aus den frühen 70er-Jahren entlockte. Die Musik klang auch wie aus jener Zeit - Freunde der frühen Tangerine-Dream Alben aus der Phaedra-Ära hätten ihre Freude daran gehabt.
Die zweite Session bestritten Torsten Abel und Stephen Parsick, dies war eher ein Vortrag über die Geschichte der PPG-Synthesizer und deren Wavetable-Synthese mit einer praktischen Vorführung. PPG war Ende der 70er-Jahre Pionier auf diesem Gebiet. Torsten Abel hatte ein solches System inklusive des Steuerrechners (grüner Bildschirm und 5,25-Zoll- Disketten!) aufgebaut und demonstierte die Möglichkeiten dieses für damalige Verhältnisse hochinnovativen Systems. Man konnte aber auch an diesem Beispiel so ein bisschen den Konflikt sehen, den die ersten "Musikcomputer" dieser Zeit darstellten: doch noch eher Computer als Musikinstrument, bedienten sie sich streckenweise auch eher wie Computer und standen den Vorstellungen des Musikers als Künstler ein wenig im Weg. Torstens Ausspruch "Da ist auch ein Sequencer drin, aber ich kann ihn nicht bedienen" illustrierte das ein wenig. Ein sehr schöner Vortrag, der demonstriert, wo digitale Synthesizer und ihre Funktionsprinzipien ihre Wurzeln haben. Ein paar Stände weiter konnte man moderne Eigenbau-Designs auf Mikrokontroller-Basis sehen, die das gleiche und vielleicht noch mehr auf einer postkartengroßen Platine machen.
Ein echtes Konzert bekam man aber diesen Abend auch noch geboten, und zwar von Wolfgang Barkowski alias Alien Nature. Dieser spielte das komplette Album "Accelerator", eine Kooperation mit Stan Dart. Da letzterer leider nicht live dabei war, kamen seine Teile von der Platte, der Rest aber war live. Die Musik von "Accelerator" ist eine gelungene Mischung aus Alien Natures eher rhythmischem Stil, kombiniert mit Stan Darts melodischen Anteilen: mal überwiegt in einem Titel mehr der eine, mal der andere Einfluss. "Accelerator" ist bei Syngate zu haben.
Nach etwa anderthalb Stunden (inklusive Zugabe) war zwar dieser Haupt-Act, aber der Abend noch lange nicht zu Ende. Der Schreiber dieser Zeilen musste danach seinen weiten Heimweg nach Aachen antreten, es wurde aber sicher noch weiter probiert, gefachsimpelt und gespielt.
Alfred Arnold