Ron Boots lädt zwei Mal im Jahr nach Oirschot ein. E-Day im Frühjahr ist traditionell das etwas 'kleinere' Festival gewesen, und ein ums andere Mal musste man in den letzten Jahren fürchten, das Event würde auf Grund schlechter Kartenvorverkäufe abgesagt. Diese Sorge war für 2016 aber völlig unbegründet. Bereits im Vorverkauf waren über 250 der verfügbaren 300 Karten weggegangen, und mit den in letzter Minute Entschlossenen war 'De Enck' fast bis auf den letzten Platz ausverkauft - etwas, was man bisher eigentlich nur von E-Live im Herbst kennt. Grund für so einen Erfolg ist natürlich immer ein Zugpferd. So wie Manuel Göttsching für die beiden letzten E-Live der Kassenmagnet war, so war es dieses Mal zweifelsohne John Kerr - selbst Winfried Trenkler wurde unter den Gästen gesichtet. Doch eines nach dem anderen.
Um 13 Uhr öffnete das Foyer mit der Bar seine Pforten. Wir beide hatten es nicht ganz zu dieser Zeit geschafft und durften uns erstmal in die Warteschlange zur Registrierung einreihen - neben dem obligatorischen Armbändchen gab es dieses Mal als Bonus für jeden Besucher noch eine kostenlose CD. Auf dieser CD finden sich Live-Mitschnitte von John Kerrs Bühnen-Comeback vom 30. Dezember in Bochum.
Ein wichtiger Grund, nicht erst passend zum ersten Act in Oirschot aufzutauchen, ist natürlich das Meet & Greet davor und zwischen den Konzerten. 300 Gäste sind in den heutigen Zeiten ja eine stolze Zahl, und das gibt einem die Gelegenheit, den einen oder anderen guten Bekanntem wieder einmal zu treffen, den man lange nicht mehr gesehen hat. Die CD-Stände sind natürlich auch immer einen Blick wert, gerade 'Gastgeber' Ron Boots mit seinem Groove-Label hat zu E-Day und E-Live immer ein paar Neuerscheinungen im Gepäck. Zu nennen sind dieses Mal zum Beispiel ein neues Album von VoLt oder eines von Zanov. Syngate, Manikin und Spheric waren auch wieder mit eigenem Stand da, sowie einige der auftretenden Musiker selber. Vermisst habe ich dieses Mal David Wright und den Stand seines Labels AD Music. Ich vermute einfach mal, dass das kommende E-Scape Festival seinen Tribut verlangt.
Ein ganz wesentlicher Grund fürs rechtzeitige Kommen war - zumindest für mich - das 'kleine Konzert', das vor dem ersten Act und in der großen Pause im oberen Saal stattfindet. Rike Casper und Erik Matheisen hatten als RikeErik ihre Premiere bereits letztes Jahr auf dem Raumzeitfestival in Dortmund, in Oirschot hatten sie jetzt auch ihr Erstlingswerk "Contact" auf CD dabei. Der Auftritt bestand dann auch aus Titeln davon. Rike und Erik pflegen den melodisch-rhythmischen Stil der Elektronik, auf jeden Fall sehr eingängig und angenehm zu hören. Ich habe den oberen Saal jedenfalls selten so voll erlebt - nicht jeder fand einen Sitzplatz.
Das erste Konzert im großen Saal wurde von Venja bestritten. Passend zum Event hatte auch Johan Geens eine neue CD im Gepäck ('Shapeshifter', erschienen bei Syngate). Johan ist ein Vertreter der ambienten und meditativen Richtung der EM. Live klangen die Stücke aber deutlich anders als auf der CD, denn Johann wurde von Bas Broekhuis an seinen Wavedrums unterstützt, was die Stücke natürlich deutlich rhythmischer und flotter wirken ließ.
Der zweite Musiker des Abends hatte zweifelsohne die längste Anreise hinter sich. Jeffrey Koepper aus den USA ist nicht nur Musiker, sondern restauriert auch alte Synthesizer, wie Ron in seiner Einleitung erzählte. Ob die von ihm benutzten Keyboards alle aus dieser Nebentätigkeit stammten, weiß ich nicht, beeindruckend war die 'Synthesizer-Burg', mit der Jeffrey sich umgab, allemal. Wenn er die alle von zu Hause mitgebracht hat, möchte ich nicht wissen, was für einen Übergepäck-Zuschlag die Fluggesellschaft in Rechnung gestellt hat.
Stilistisch würde man Jeffrey gar nicht auf der anderen Seite des großen Teichs verorten, seine Musik ist nämlich Berliner Schule in ihrer reinsten Form, wie man sie von dort kaum hört - lange Sequenzen, Klangflächen, der ganze Auftritt bestand eigentlich nur aus einem einzigen Stück. Für Fans dieser Stilrichtung ein Highlight, der Rest hätte sich vielleicht ein wenig mehr Variation in der Musik gewünscht. Die Geschmäcker in der EM sind eben verschieden, das ist auch gut so, und das schöne an den Festivals in Oirschot ist für mich, dass Ron Boots immer eine gute Mischung verschiedener Richtungen gelingt.
Zwischen dem zweiten und dritten Konzert liegt traditionell immer eine größere Pause. Wem die im Foyer gereichten holländischen Snacks nicht genügen, der hat die Gelegenheit, die lokale Gastronomie zu erkunden. Tisch-Reservierung im Restaurant ist aber angeraten, zumindest die Pizzeria, die ich mit ein paar guten Freunden auf- und heimsuchte, platzte aus allen Nähten. Dass dies dem E-Day zu verdanken war, konnte man an den Armbändern erkennen (dieses Mal in grün), auch vom Personal waren Kommentare zu hören "Ist da mal wieder etwas in De Enck". Neben einer Tisch-Reservierung kann übrigens auch eine Vorbestellung der Speisen von Nutzen sein, knappe zwei Stunden sind unter diesen Umständen nämlich recht schnell herum. So habe ich im Gegensatz zum letzten Herbst das dritte Konzert dieses Mal nicht verpasst (danke, Thomas!).
Bevor Kebu loslegte, gab es noch ein kleines Interview mit Zanov. War dessen erste Veröffentlichung auf Groove noch altes Material aus den 80ern, so kann er sich nach der Pensionierung ganz seiner Musik widmen. Die 'Open Worlds' ist das Ergebnis und er konnte etwas von ihrer Entstehung erzählen.
Danach ging's aber zur Sache. Wem Jeffrey Koeppers Auftritt zu ruhig (oder einschläfernd?) gewesen war, der kam bei Kebu voll auf seine Kosten. Wie Ron es ankündigte: fett! Poppig, mitreißend, von den Sounds etwas 'Jarresk' und obenrauf eine heftige Lichtshow. Das ganze dann noch garniert mit einem Akteur, der zwischen seinen Keyboards herumwirbelte und teilweise mehrere gleichzeitig spielte. Dazu dann noch zwischen den Titeln noch einige launische Kommentare, zum Beispiel über Synthesizer, die wegen zu heftigen Schweißflusses zu Bruch gehen und dass man besser kein gebrauchtes Keyboard von ihm kaufen sollte. Kebus Auftritt war ein absolutes Kontrastprogramm zum vorherigen (nicht im qualitativen Sinne, einfach anders!), hier würde ich mir vielleicht umgekehrt ein paar ruhigere Stücke zum Atemholen dazwischen wünschen. Aber wer eine heiße EM-Party feiern möchte, sollte doch einmal bei diesem Finnen anfragen. Man wird nicht enttäuscht werden, aber Vorsicht: Kebus Gerätepark auf der Bühne war fast genauso groß wie der von Jeffrey Koepper. Er legt Wert darauf, dass alle Sounds live erzeugt werden und nichts 'aus der Dose' kommt.
Nach einer letzten, etwas länger als geplanten Pause, war es dann an der Zeit für den Höhepunkt des Abends. Nichts gegen die anderen, auch sehr gelungenen Konzerte bisher, aber eine ganze Menge der Besucher düften vor allem wegen John Kerr gekommen sein - wer weiß, wie lange sein Live-Comeback dauern wird. John war aber alles andere als alleine auf der Bühne. Wie auch schon auf der 'Juxtaposition' oder im Bochumer Planetarium war Ron Boots mit als Hauptakteur auf der Bühne, ihm ist es im Wesentlichen zu verdanken, dass John überhaupt wieder Musik macht. Und da ein Holländer selten alleine kommt, waren auch Harold van der Heijden, Jeffrey Haster aka Synthex sowie wieder Bas Broekhuis dabei. Neben den Congas spielte Bas an diesem Abend auch seinen C-Stick, einen Eigenbau, den ich bisher nur von den Auftritten in der Repelener Dorfkirche kannte. Ein weiterer Mitwirkender an diversen Titeln war Frank Dorittke mit seiner beseelten Gitarre. Wo hatte sich der gute Frank vorher versteckt, ich hatte ihn den ganzen Nachmittag und Abend davor nicht gesehen?
Ein letzter Mitwirkender, der sich auch schon vorher gezeigt hatte (durch zu spätes Erscheinen im großen Saal, Ron hob in seinen Einleitungen immer wieder auf die zu spät gekommenen Engländer ab und erntete damit Lacherfolge), war John Dyson. Der hatte bei Facebook die Rohfassung eines der Stücke von der 'Juxtaposition' kommentiert, es würde noch eine Prise John Dyson fehlen - aber gerne doch, und an diesem Abend dann auch noch live. So agierten an diesem Abend stellenweise 7 Personen gleichzeitig, und neben Titeln von der 'Juxtaposition' bekam auch der eine oder andere einen Soloauftritt. John Kerr spielte seinen Klassiker 'Norland' solo (Winfrid Trenkler wird das genossen haben), Synthex ein Stück von der 'Mirrorlands' und John Dyson schlussendlich mit 'Time Node' einen Wavestar-Klassiker, zu dem gegen Ende alle Mitwirkenden noch einmal vorgestellt wurden.
So war dieses Konzert denn nicht nur Ron Boots und John Kerr mit der 'Juxtapostion', sondern schlug einen großen musikalischen Bogen. Mit der selbstverständlich gewährten Zugabe sowie der leichten Verspätung davor war auch Mitternacht durch. Trotzdem hat kaum jemand vorzeitig den Saal verlassen, wer weiß, wann man wieder einmal so ein Line-up geboten bekommt.
Einen dieser 'Glorreichen Sieben' wird man im Herbst aber sicher wieder in Oirschot sehen: John Dyson ist für E-Live 2016 als Haupt-Act angekündigt. Sieht so aus, als ob sich der gute Ron auch dann wieder über ein volles Haus wird freuen dürfen.
Alfred Arnold
Fotos: Alfred Arnold und Stefan Schulz