Um direkt zu Anfang eine Sache ein für allemal zu klären: Dass Bielefeld nicht existiert, ist ins Reich der "Fake News" zu verweisen. Bielefeld existiert, es gibt Hotels und im Stadtteil Ubbedissen sogar eine Sternwarte. Just diese hat sich Thomas "Globotom" Albertsen als Spielort für ein kleines, aber feines Live-Event ausgesucht. Der Anlass ist doppelter Natur: zum Einen feiert Thomas an diesem Tag seinen Geburtstag, zum Anderen ist der 16. Juli 1969, also heute vor 50 Jahren, der Tag, an dem die Astronauten von Apollo 11 von Cape Canaveral aus zum Mond starteten. Der Abend wird nicht nur mit Live-Musik gefüllt werden, sie soll sich mit Vorträgen rund um die erste Mondlandung abwechseln. Wie der Zufall es will, wird sich am späteren Abend auch noch eine Mondfinsternis ereignen. Falls das Wetter mitspielt, wird man diese am späteren Abend durch die Fernrohre der Sternwarte beobachten können.
Zu allererst muss man die Sternwarte aber finden: Ich steige an der Adresse aus, zu der mich das Navi geleitet habe, und stehe in einem Wohngebiet. Bin ich hier wirklich richtig? Ach doch, auf einem der Häuser kann man die für Sternwarten typische Kuppel erkennen. Die Sternwarte Ubbedissen ist in der Tat in einem ausgebauten Dachgeschoss untergebracht, und nimmt man die Kuppel auf dem Dach als Orientierungspunkt, dann weisen Schilder den restlichen Weg - sowohl bis zum Haus als auch die Treppe herauf.
Die Karten für die Veranstaltung waren im Vorfeld recht schnell ausverkauft. Mehr als fünfzig gab es davon nicht, mehr Stühle gehen beim besten Willen nicht in den Vortrags-Raum der Sternwarte hinein. Dementsprechend "intim" wird es hier in den nächsten vier Stunden zugehen, man fühlt sich fast wie im heimischen Wohnzimmer.
Im Hintergrund läuft bereits elektronische Musik, allerdings nicht von Thomas selber, es ist "Waiting for Cousteau" von Jean-Michel Jarre. Eigentlich wollten wir ja ganz hoch hinaus ins All und nicht in die Tiefsee? Der Track ist aber mit Bedacht gewählt. Vor Beginn legt Thomas noch drei weitere Tracks des großen Franzosen auf, aber in seiner Interpretation. Thomas hatte einmal das Glück, Jean-Michel Jarre persönlich zu treffen und auch ein klein wenig mit ihm zusammenzuarbeiten. Veröffentlichen darf Thomas seine Versionen von "Robots Don't Cry" und "Infinity" nicht, aber hier in diesem kleinen Rahmen dürfen sie natürlich laufen.
Womit sie eingespielt wurden? Auf dem gleichen Gerät, das auch heute als einziges Instrument dienen wird: ein IPad. Das IPad als einziges Instrument ist in der EM-Szene ja nicht ganz unumstritten. Im Gegensatz zu jemandem, der sich mit einer "Keyboard-Burg" umgibt, wird dem "IPad-Musiker" immer noch gelegentlich vorgeworfen, er würde nicht wirklich live spielen und nur Vorgefertigtes abfahren. Aber auch wer mit Hardware-Keyboards spielt, hat nur zwei Hände und kann nicht alle Spuren live spielen. Im Gegenzug passt ein IPad problemlos mit ins Reisegepäck, wovon Thomas auch öfters Gebrauch macht. Am heutigen Abend hat es den den Extra-Vorteil, dass Thomas mit einem Handgriff den Platz vor der Leinwand räumen kann, wenn Björn Kähler von der Sternwarte Ubbedissen ihn für seine Vorträge braucht.
Den Anfang macht aber Thomas, und zwar mit etwas, was Elektroniker gerne immer mal wieder machen: er sampelt einen Klang, um ihn dann weiterzuverarbeiten. Der Klang hat mit Raumfahrt erst einmal nichts zu tun, es ist das Geräusch einer Schere, mit der Papier zerschnitten wird. Einmal in der Maschine, kann man ihn wiederholen, dehnen und so lange verfremden, bis er in die eigene Komposition hineinpasst. "Instant History" heißt der erste Titel des Abends, und passend zu diesem Sound zeigen die Visuals erst einmal Schattenwürfe von Scherenschnitten, mit denen sich die Menschen in früheren Jahrhunderten unterhalten haben. Gegen Ende tauchen darunter Motive aus Star Wars auf - jetzt sind wir im Weltraum angelangt, und es ist an Björn Kähler, auf seiner Seite den Bogen von der Historie bis in das Raumfahrt-Zeitalter zu schlagen. Warum wollten Menschen ins Weltall reisen? Es ist die Neugier, die Frage, was dort draußen ist. Raketen haben Menschen schon seit Jahrhunderten in den Himmel geschossen, aber erst Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurden die theoretischen Grundlagen gelegt, um ein Gefährt zu bauen, das auch Menschen dorthin und wieder auf die Erde zurück bringen kann. Nach dem zweiten Weltkrieg war der kalte Krieg zwischen den USA und der UdSSR dann der entscheidende Impuls, der die für einen Mondflug erforderlichen Mittel verfügbar machte. Apollo hatte auf amerikanischer Seite die Vorgänger-Programme Mercury und Gemini, auch die werden nicht unterschlagen.
Bevor das Apollo-Programm selber thematisiert wird, ist es an der Zeit für den zweiten Musik-Block. Funksprüche von Astronauten sind etwas, was Elektronik-Musiker ja gerne in ihre Stücke einbauen, und deshalb auch ein wenig "ausgelutscht". Heute macht Thomas aber eine Ausnahme, in "We Choose to Go to the Moon" und "We Came in Peace" kommen diverse O-Töne aus der Zeit vor. Jetzt sind wir richtig eingestimmt auf das Apollo-Projekt: Björn Kähler vergisst in seinem Vortrag, der trotz seiner Länge von über einer halben Stunde nie langweilig wird, auch nicht die Apollo-Missionen vor Nummer 11, in denen Gerät und Manöver im Weltraum getestet wurden. Um diese Manöver plastisch zu erklären, benutzt er das Lego-Modell der Saturn-Rakete - mit über einem Meter auch schon ein imposantes Objekt. In seinen Vortrag sind immer wieder Original-Aufnahmen eingestreut, sowohl Fotos als auch kurze Filmausschnitte. Was positiv auffällt: die Qualität dieser Aufnahmen. Filme aus dieser Zeit kennt man häufig unscharf und verwaschen, aber was heute auf der Leinwand läuft, kann sich problemlos mit aktueller Full-HD-Qualität messen. Die NASA hat das Jubiläum zum Anlass genommen, die Aufnahmen von damals noch einmal zeitgemäß "aufzuarbeiten".
Nach diesem langen Vortragsblock ist eine Pause willkommen, zum Beispiel um auf dem Dach etwas frische Luft zu schnappen - der Vortrags-Raum ist durch die wenigen Dachluken nicht ganz einfach zu belüften. Thomas benutzt die Zeit, um einige seiner CDs unter das Publikum zu bringen. Das aktuelle Album "Over The Moon", von dem die Mehrzahl der heute gespielten Stücke kommt, ist leider nicht dabei, das kann man nur als Download im Internet erwerben.
Mit "The Eagle has Landed" beendet ein Titel von diesem Album die Pause, dieser und der folgende Track geraten deutlich ruhiger und sphärischer - Armstrong und Aldrin sind 1969 ja auch im Meer der Ruhe gelandet. Danach übernimmt Björn Kähler wieder und liefert die "Fakten" darüber, wie die erste Mondlandung verlief und Apollo 11 zur Erde zurückkehrte.
Das "Ereignis" an sich ist damit "abgearbeitet", im folgenden (letzten) Musikblock wird es wieder etwas flotter und Thomas nimmt die Nordlichter als Thema. Der Mond ist aber nicht vergessen, er taucht in vielfacher Hinsicht in den Visuals auf, dieses Mal weniger unter dem wissenschaftlichen als dem künstlerischen Gesichtspunkt. Auch für Maler und Musiker ist der Erdtrabant immer eine Quelle der Inspiration gewesen.
In seinem letzten Vortragsblock behandelt Björn das, was nach Apollo 11 gekommen ist: weitere Mond-Missionen, die immer ausgedehnter wurden, mit Ausnahme von Apollo 13 aber leider immer weniger Beachtung in der Öffentlichkeit fanden. Der "Wettlauf" war gewonnen, und die Welt wandte sich anderen Themen zu. 1972 setzte das letzte Mal ein Mensch seinen Fuß auf den Mond. Als Ziel bemannter Missionen ist er erst in den letzten Jahren wieder in den Fokus gerückt. Wieviele von den hochfliegenden Plänen jemals realisiert werden, das steht wortwörtlich in den Sternen.
Inzwischen ist es fast elf Uhr und an der Zeit, selbige oben auf dem Dach zu beobachten, insbesondere den Mond, der sich heute Abend ja verfinstern soll. Leider ziert er sich und der Himmel bleibt bedeckt, so dass man ihn nur als schwachen Lichtschein durch die Wolken sieht. Das hindert Björn und Thomas aber nicht daran, ihr geplantes Programm auf dem Dach durchzuziehen: Nach einem Kurzvortrag darüber, wie eine Mondfinsternis zustande kommt, ist es an der Zeit für einen letzten, improvisierten Musikblock. Anstelle des Tablets muss jetzt ein Smartphone als Instrument genügen. Letzten Endes unterscheiden sich Tablet und Smartphone aber nur in der Bildschirmgröße, es laufen prinzipiell die gleichen (Musik-)Apps darauf.
Dann ist das Programm des Abends geschafft. Die Mondfinsternis konnte man von Bielefeld aus leider nicht sehen, und auch nicht alle Besucher haben ganz bis zum Ende durchgehalten - für die meisten ist der kommende Tag ja ein ganz normaler Arbeitstag. Nichtsdestotrotz war der Abend ein voller Erfolg: ausverkaufte Tickets, gute Musik und kompetente Vorträge, und das alles zu einem Eintritts-Preis von gerade einmal fünf Euro - was will man mehr? "Apollo 11" wird nicht das letzte Event seiner Art bleiben, dessen ist man sich sicher. Die nächste Station wäre das 50-jährige Jubiläum von Apollo 13, einer Mission, die eigentlich ein Fehlschlag war, die die NASA aber zu einem Erfolg zu wenden vermochte. Die Zeit um den 22. April im kommenden Jahr sollte man sich schon einmal vormerken.
Alfred Arnold