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Die Tür zum neuen Erbe-Universum

Dass Stefan Erbe sich für jedes 'Sound of Sky' ein neues und anderes Konzept einfallen lässt, ist unter langjährigen  Besuchern bekannt. Dieses Mal hatte Stefan uns den Mund aber besonders wässrig gemacht: Ein Teaser-Video, ein vorab veröffentlichter Track des neuen Albums und das Versprechen, das kommende Album "Genesys 23" verfolge einen ganz neuen Ansatz.

sound of sky genesys 23

Genesys - war da nicht schon einmal etwas? Völlig richtig, anno 2017 gab es schon einmal ein Album dieses Namens. 'Gene' war dort eine künstliche Intelligenz, die einen Astronauten auf seiner Mission begleitet und unterstützt.  Inzwischen ist das Thema "Künstliche Intelligenz", mit all seinen Chance und Risiken, ja in aller Munde. Stefan kann also für sich in Anspruch nehmen, damals einen guten Riecher für zukünftige Entwicklungen gehabt zu haben. Die 2023er-Version sollte aber keine einfache Neuauflage im Sinne "Ich hab's gewusst" werden, sondern das Thema mit dem aktuellen Stand neu und aus künstlerischer Position reflektieren. Doch alles nach der Reihe...


...denn jedem "Sound of Sky" geht, zumindest bei uns, ein gepflegtes Abendessen in der umliegenden Bochumer Gastronomie voraus. Von der ist genügend Auswahl vorhanden, dass man mehr als ein Jahr braucht, um einmal "durch" zu sein. Die Wahl viel dieses Mal auf das "Burgerado", das - wie der Name schon verrät - Burger in allen Variationen auf der Speisekarte hat. Eine Reservierung, auch gerne mehr als einen Tag im Voraus, ist auch hier angeraten. Im Restaurant wird origineller weise damit geworben, dass es KEIN freies WLAN gibt - man sollte doch einfach mal das Handy weg stecken und stattdessen die Gelegenheit nutzen, sich wieder einmal Angesicht zu Angesicht unterhalten.

Seit der letzten Show werfe ich übrigens auch immer vorher einen Blick auf den Spielplan der Bundesliga: Hat der VFL an diesem Samstag Heimspiel, sollte man das bei der Zeitplanung berücksichtigen. Das Planetarium liegt unweit vom Fußball-Stadion und bei der Anreise mit dem Auto kann es zu unerwarteten Sperrungen kommen. Dies ist heute nicht der Fall, der VFL spielt auswärts. Was wir allerdings nicht auf der Rechnung hatten: Das Bochumer Kanalsystem ist offenbar ähnlich marode wie in Aachen. Die Castroper Straße ist eine einzige Baustelle und zwingt uns auf dem Weg zum Restaurant auf Umwege.

Das Essen im Burgerado ist nicht nur gut, sondern kommt auch schnell, so sind wir schneller im Planetarium zurück als gedacht. Stefan ist natürlich trotzdem schon da und kann nach und nach die eintrudelnden Besucher begrüßen. Es sind fast allesamt gute Bekannte, und Stefan scherzt, dass "SoS" ja inzwischen so eine Art großer Familien-Treff wäre. Eine neue CD kann Stefan noch nicht anbieten: "Genesys 23" ist immer noch ein laufendes Projekt, wir werden heute den aktuellen Stand hören - und sehen!  Zur Musik gehört nämlich ein vorproduziertes 80 Minuten-Video, das heute auf dem Bochumer Kuppelrund laufen wird. Klaus-Dieter Unger, der ansonsten die Musik mit seine Projektionen auf so geniale Weise ergänzt, hat heute also etwas weniger Arbeit als sonst.

Solcherlei Infos zur kommenden Show geben beim sowohl musikalisch als auch technisch interessierten Besuch Anlass zu Detailfragen, und auch die beantwortet Stefan gerne und ausführlich. Die überraschende Aussage: Auch bei der Produktion der Visuals kam KI zum Einsatz. Aus der Presse hat man ja schon von Systemen gelesen, die auf einen Befehl hin Bilder mit einen bestimmten Inhalt und Stil produzieren. Derlei Mittel wurden eingesetzt, Stefan bestätigt aber auch, dass es nicht ganz so einfach ist, wie gelegentlich kolportiert. Man braucht meist mehrere Anläufe und muss mit den Formulierungen "spielen", bis die KI das gewünschte erzeugt. Dieser Show gingen mehrere Wochen intensiver Arbeit voraus, in denen Stefan sich an anderer Stelle eher rar gemacht hatte.

Ohne die Bilder gesehen zu haben, eines kann man schon einmal fest stellen: Die Vorankündigungen und Kostproben haben verfangen. Das Bochumer Kuppelrund wird an diesem Abend zu über 80 Prozent gefüllt sein, und am Einlass hat das Personal alle Hände voll zu tun, die Tickets zu kontrollieren. Zusammen mit der Ticket-Kontrolle werden dieses Mal noch kleine Kärtchen verteilt, versehen mit dem Genesys-Logo, einem Verweis auf Stefans Bandcamp-Seite und einem Download-Code. Mit diesem Code kann man sich das neue Album - genauer gesagt, den aktuellen Stand - nach der Vorstellung herunter laden, und das in gleich drei verschiedenen Versionen: rein instrumental, und wahlweise mit deutschen oder englischen Stimmen. Stefan hatte bereits im Vorfeld angekündigt, dass dies das erste Erbe-Album mit größeren Stimm-Anteilen sein wird. Vocals werden in der EM- Szene bisweilen kritisch oder sogar ablehnend rezipiert, weshalb er den Hörern in dieser Hinsicht die Wahl lassen möchte.

Schon nach den ersten Minuten von "Genesys 23" habe ich mir zu diesen Thema eine Meinung gebildet: Natürlich ist es möglich, Stefans neuestes Werk rein instrumental zu genießen, und einfach in die Klänge einzutauchen. Es knüpft klanglich an die 2017er-Version an, seine musikalische DNA mit den typischen Erbe-Sounds bildet auch hier das Rückgrat. Stetige Wechsel in Tempo und Stimmung transportieren Stimmungen und sorgen dafür, dass Genes Reise nicht langweilig wird. Meine Empfehlung wäre aber, eine Version mit Vocals zu hören (egal in welcher Sprache), denn erst mit ihnen erschließt sich eine weitere Bedeutungsebene: Gene ist mittlerweile nicht mehr nur eine Assistentin, sie ist die eigentliche Haupt-Akteurin. Sie steuert ein Raumschiff und übernimmt eine Reihe künstlicher Lebensformen zwecks Transport und weiterer Untersuchung. Bei diesen Untersuchungen gelingt es einer der Lebensformen zu entwischen. Sie wird zwar wieder gefunden, aber da sie sich "in freier Wildbahn" unkontrolliert weiter entwickelt hat, wird sie als Gefahr betrachtet und Gene erhält den Befehl, sie zu vernichten. Und just an diesem Punkt passiert das, was bei künstlichen Intelligenzen erhofft (oder befürchtet?) wird: Gene beginnt, sich ihrer selbst bewusst zu werden, entwickelt eigene moralische Maßstäbe und entscheidet, den Vernichtungs-Befehl nicht auszuführen.

Das ist natürlich nur ein ganz kurzer Abriss der Handlung und es lohnt sich, bei den Projektionen auf Details und  Anspielungen zu achten. So scheint in Genes Hardware-Eingeweiden noch ein Trident-Grafikchip aus den späten 1980er-Jahren zu werkeln, das Raumschiff 'Axis' beherbergt Treibhaus-Kuppeln, wie man sie von Douglas Trumbulls Science-Fiction- Klassiker "Lautlos im Weltraum" kennt, und dass die verloren gegangene Lebensform die Kennung "LXM404" trägt, dürfte Kennern von Internet-Protokollen mindestens nur ein Grinsen abnötigen. Es sind noch viele  weitere Anspielungen in den Videos enthalten, gerade in der akribischen Beschreibung der einzelnen Lebensformen - die sollen aber nicht alle verraten werden, und ich habe mit Sicherheit auch nur einen Bruchteil davon beim ersten Ansehen mitbekommen.

Stefan Erbe war schon immer darin sehr gut, auf seinen Alben mit Titeln unterschiedlicher Stimmung einen Spannungsbogen aufzubauen. Auf "Genesys 23" verwendet er das, um die Handlung zu untermauern. Die endet nach 80 Minuten mit einem offenen Ende, denn Genes Entscheidung wird sicher nicht ohne Konsequenzen bleiben. Eine Zugabe kann es an diesem Abend nicht geben, aber Stefan versichert uns - auch noch einmal in den Gesprächen im Foyer nach der Vorstellung - dass dies nicht die letzte Episode rund um Gene gewesen sein wird.

Kein "Sound of Sky" ohne Ausblick: Mit "Genesys 23" wird Stefan in diesem Jahr auf Tournee gehen, Termine in der Sternwarte Hagen und auf dem E-Scape-Festival in England sind bereits bestätigt. Und jetzt, wo wir Corona und die damit verbundenen Einschränkungen endgültig hinter uns gelassen haben, rückt auch ein Konzert mit ATB wieder in greifbare Nähe.  Angekündigt ist es noch nicht, auch noch nicht der Termin vom nächsten "Sound of Sky". Die Erfahrung lehrt aber, dass man noch zwei oder drei davon in diesem Jahr erwarten darf. Ob uns dann das nächste Kapitel in Genes Abenteuern präsentiert wird, oder ob Stefan wieder eine ganz andere Idee umsetzt - das wissen wir nicht. Man muss einfach dabei sein, wenn "Sound of Sky" im Planetarium Bochum läuft - es ist immer einen Besuch wert!

Alfred Arnold

Über Empulsiv

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