Das "Electric Cafe" im Makroscope in Mülheim ist gerade ein paar Wochen her, und schon führt mich der Weg schon wieder dorthin. Obwohl die angekündigten Akteure teilweise die gleichen sind, hat die Veranstaltung dieses Mal einen anderen Titel: "EuroRack Ruhr". Hinter diesem Namen verbirgt sich ein Zusammenschluss von Musikern, die sich alle für modulare Synthesizer begeistern können, und zwar im besonderen jene, die auf dem Eurorack-System basieren.
Selbiges basiert auf einem standardisierten Form-Faktor der Module, so dass man sich sein Instrument ganz individuell aus Baugruppen verschiedener Hersteller zusammen stellen kann. Man sollte sich diese Module aber nicht (nur) im Sinne "klassischer Moog-Module" (Oszillatoren, Filter, Verstärker...) vorstellen. Moderne Technik und Miniaturisierung erlauben es heute, viel komplexere und ausgefeiltere Funktionen in ein einzelnes Modul zu packen, bis hin zu einem kompletten "Synthesizer-Modul", das dann wieder Teil eines größeren Setups sein kann.
Mit der möglichen Komplexität steigt auch die Variabilität und die Individualität, mit der sich das Thema "modular" angehen lässt. Gerade diese Tatsache fasziniert ihn am Eurorack, wie Torsten Abel mir in einem kurzen Gespräch vor dem ersten Act verrät. Die Kehrseite der Medaille: Mit der Komplexität steigt natürlich auch die Anzahl der Stellen, an denen sich Fehler einschleichen können, und so sind die Musiker noch damit beschäftigt, die Ursache für einen toten Lautsprecher-Kanal zu finden. Es wird schon die Vermutung geäußert, da wäre ein "Ghost in the Machine" am Werk. Aber natürlich geht auch hier alles mit rechten Dingen zu: es waren einfach zwei Kabel vertauscht, die Technik sind bereit.
Sobald die Technik am Start ist, können die Musiker ihren Soundcheck vornehmen und sich noch ein wenig absprechen. Das verschafft mir die Zeit, dieses Mal das im Schaufenster stehende Gebilde aus Technik-Komponenten ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. Ob ihm wirklich Töne zu entlocken sind, oder ob hier alte Hifi-Komponenten und Platinen einfach in künstlerischer Form verarbeitet wurden - ich weiß es ehrlich gesagt immer noch nicht...
...während ich noch dabei bin, von einigen der Platinen zwecks späterer Recherche Nahaufnahmen zu machen, wird das Licht im Raum herunter gedreht: ein klares Zeichen, dass das erste Set des Abends gleich beginnen wird. Wie vor ein paar Wochen auch wird dieses von Mario Meyendriesch sein, der unter dem Künstlernamen "IG75" auftritt. Ich hatte ihn als Minimalisten in Erinnerung behalten, und diesem Konzept bleibt er auch heute treu: Zwei oder drei Rhythmus-Linien, die ohne weitere Hintergrund-Sounds ganz für sich wirken sollen. Die Aufmerksamkeit der Anwesenden ist ihm sicher, die genau hin hören müssen, wie die Rhythmen sich nach und nach verändern - mal kontinuierlich, mal auch mit einem harten Bruch. Es ist schon beeindruckend, wie man mit so wenigen Zutaten die Spannung über eine knapp halbe Stunde halten kann.
Mit ein paar schrägen "Einwürfen", quasi als Antithese zu dem bisher Gespielten, endet das erste Set des Abends. Nach dem verdienten Beifall ist es an der Zeit für Lukas Hermann und ein paar einführende Worte. Er wird heute nicht spielen, ist aber so etwas wie der "Sprecher" von Eurorack Ruhr und hat auch ein wenig Merchandise mit gebracht: T-Shirts und Taschen, wahlweise mit dem Eurorack Ruhr-Logo oder schönen Motiven, die ein Eurorack-System mal eben als Wohn-Biotop neu interpretieren. Und eine Sache liegt ihm auch noch am Herzen: Wenn das gebotene gefällt, dann darf man einen kleine Obolus in die am Eingang stehende Spendendose stecken. Wobei es sich bei der um einen entkernten Kassettenrecorder aus dem letzten Jahrtausend handelt, ganz getreu dem Motto des Ausprobierens, Bastelns und Upcyclings.
Um eine Bemerkung vom Anfang des Artikels zu wiederholen: Jeder Musiker geht das Thema "Eurorack" anders an, und das zweite Set von Frank Nöhring aka "Ring and Tones" ist das beste Beispiel dafür. Anstatt Minimalismus und Meditation sind jetzt flotte Rhythmen und Club-Sounds angesagt, unterlegt von einem soliden Bass-Fundament. Hier wird das Makroscope mal eben in einen Tanzschuppen verwandelt; wer darauf abtanzen möchte: aber gerne doch, Platz genug wäre dafür, bitte nur nicht abwarten! Denn so flott wie dieses zweite Set gespielt ist, so unerwartet schnell ist auch die dafür veranschlagte halbe Stunde auch schon wieder vorbei. Wer es noch einmal hören möchte: Mitschnitte von diesem und anderen Sets werden im Youtube-Kanal von Eurorack Ruhr veröffentlicht.
Die nächste Pause ist ein klein wenig länger, vielleicht zum Verschnaufen, aber natürlich auch zum Austausch. Ich komme etwas mehr mit Lukas ins Gespräch und erfahre dabei, dass man sich regelmäßig zu solchen Sessions in Gelsenkirchen trifft - der Abend heute im Makroscope ist quasi ein kleines "Gastspiel". Dann statte ich mich mit T-Shirt und Tasche aus, wobei Lukas mir die Tasche einfach als Zugabe überlassen will - das Motiv wäre ja nur ein Probelauf gewesen. Das halte ich für eine freundliche Untertreibung, ich habe schon deutlich weniger professionell gefertigten Merch gesehen. Also wird das Geld für das T-Shirt ein wenig aufgerundet - bitte auch einfach in die Spendendose stecken!
Set Nummer drei kommt wieder von einem Musiker, der bereits im Januar im Makroscope gespielt hat, nämlich Ioannis Zedamanis. Ioannis ist auch als Kirchen-Organist aktiv, und seinen Auftritt im Januar hatte ich als den "melodischsten" und wärmsten in Erinnerung. Dem heutigen Set schickt er ein paar erklärende Worte vorweg: Es soll ein "Requiem" werden, genauer gesagt eine Auseinandersetzung mit Leben und Tod - ein Thema, mit dem wir alle uns in den letzten Jahren zwangsweise wieder mehr auseinander setze mussten. Club-Sounds und harte Beats wären der Materie naturgemäß wenig angemessen, Ioannis' Set wird also eine gänzlich andere Grundstimmung haben. Das geht so weit, dass er darum bittet, am Ende, wenn der letzte Ton verklungen ist, als Reaktion noch einen Moment still zu bleiben.
Wie nach dieser Ankündigung zu erwarten, sollte man als Zuhörer das ganze Set in stiller Andacht auf sich wirken lassen. Den Einstieg bilden Flächen, die auf ihre Weise sowohl zurückhaltend als auch mächtig daher kommen - ein Sound-Gemälde, in das man sich versenken und dabei den eigenen Gedanken nachhängen kann. Mir fällt als "Schublade" dafür "Dark Ambient" ein, Ioannis selber hat in seiner Einführung den Begriff des "Deep Listening" in den Raum gestellt - das passt auch sehr gut zu den Klang-Gemälden, die gerade das Makroscope füllen. Gerade im Vergleich zum zweiten Set ist das pure Entschleunigung.
Allzu lange währt dieser Zustand aber nicht an. Atonale und klackernde Sounds, die an Gewehrfeuer erinnern, erinnern uns an das Thema "Leben und Tod" und dass gerade letzterer in der nicht-natürlichen Form ein Thema unserer Zeit ist. Ein warmer Sound, so als ob nach dunklen Kriegszeiten auch mal wieder die Sonne aufgeht, beschließt das Set. Ioannis lässt uns mit diesem elementaren Kontrast zurück, und reagiert auf den nach dem Set einsetzenden, vorsichtigen Applaus mit einem energischen "Psst" - es sollten ja noch ein oder zwei Minuten Stille nach dem Set sein. Ein kurzes "Danke" ist danach der Hinweis, dass es auch nach seiner Meinung zu Ende ist, und wieder normal geredet werden darf.
Stoff für Gespräche, sowohl untereinander als auch mit dem Musiker selber, hat dieser Auftritt sicher genug geliefert, und ein Mitschnitt davon wird Grundlage für Ioannis' nächste Album-Veröffentlichung sein. Zeit für Gespräche ist wieder genug, denn Torsten Abel braucht ein paar Minuten, um sich auf seinen Part vorzubereiten, der den heutigen Abend abschließen und abrunden wird. Was erwartet uns nach Minimalismus, Club und Deep Ambient?
Torstens Aufbau lässt da keine Rückschlüsse zu, dazu ist es zu vielfältig: Natürlich hat auch er ein Eurorack-basiertes System am Start, ein oder zwei Keyboards dürfen dazu nicht fehlen. Der Tape-Boy, der nach dem Auftritt im Januar wegen Reparatur zum Entwickler zurück musste, ist wieder dabei und mit einer ungewöhnlichen, offenen Kassette bestückt. Man hört von "alten Hasen" der elektronische Musik ja gelegentlich, dass analoge Loops in den Siebzigern auch gerne mal mit einem Band realisiert wurden, das aus der Bandmaschine heraus gezogen und um Tisch- oder Stuhlbeine geschlungen wurde. Ganz so weit geht die Bandschleife heute nicht, aber immerhin bis zum nächsten Klang-Erzeuger, der auf den ersten Blick wie ein Theremin ausschaut. Die aus ihm heraus ragenden Stäbe sind aber keine Antennen, die mit der Hand verstimmt werden. Stattdessen streicht man sie mit einem Bogen, um Klänge zu erzeugen. Und dann ist da noch eine kleine mechanische Spieluhr...
Samples eröffnen das letzte Konzert des Abend, entferntes Hundegebell und Gewitter versetzen mich auf eine Wiese und setzen uns den Naturgewalten aus. Das Gewitter geht zum Glück vorbei und gibt Raum für Sequenzen und eine warme Melodie: Auf schlechtes Wetter folgt auch wieder Sonnenschein. Aber auch die Melodie währt nur kurz und muss einer wiederholten Botschaft Raum machen: "Watt, Volt, Ampere, die ganze Welt besteht aus Strom". Das gilt nicht nur für die Welt der EM, sondern für unsere ganze Zivilisation, die von der Elektrizität am Ende des vorletzten Jahrhunderts revolutioniert worden ist. Morsezeichen sind eine ganz frühe Form elektronischer Kommunikation, die sich von dort aus in den letzten einhundert Jahren rasant weiter entwickelt hat. Ohne "Energiequellen" wäre dies alles nicht möglich gewesen, und die waren im größten Teil des zwanzigsten Jahrhundert fossiler Natur. Auch wenn Kohle, Öl und Gas so langsam aus der Mode kommen und Gruben hier im "Pott" nur noch in Form von Museen existieren, sie sind ein wichtiger Baustein der Entwicklung und ohne die Arbeit der Kumpels in der Vergangenheit wären wir heute nicht da, wo wir jetzt sind - im guten wie im schlechten. Die Tonspur einer Reportage aus den 1950ern erinnert uns an die Hochzeit der Schwerindustrie, und jetzt kommt auch die Spieluhr zum Einsatz - sie spielt nämlich das Bergmannslied.
Torstens heutiges Set ist Wechselbad der Stimmungen und eine echte Reise durch die Geschichte, sowohl der des "Reviers" als auch der elektronischen Musik. Synthie-Pop lässt uns in die 80er bis die Gegenwart weiter reisen. Womit die Reise für den heutigen Abend ihre Endstation erreicht hat: Eine künstliche Stimme bedankt sich bei den Besuchern für das zahlreiche Erscheinen - bis zum nächsten Mal!
Auch Lukas Hermann lässt es sich nicht nehmen, noch ein paar abschließende Worte zu sprechen. Welches Set am heutigen Abends das beste war? Da gehen die Meinungen auseinander, aber das ist bei der Bandbreite des Gebotenen auch völlig okay. Falls man noch nichts in die Spendendose gesteckt hat, dann ist jetzt auch noch Gelegenheit dafür. Aktivitäten von Eurorack Ruhr wie dieser Abend finanzieren sich alleine aus Spenden, und auch wen die Musiker für den eigentlichen Auftritt keine Gage bekommen - von irgend etwas wollen der Raum und die Anfahrt bezahlt werden. Was wir heute Abend zu Gehör bekommen haben, ist an der einen oder anderen Stelle noch im Fluss und in Entwicklung, aber die Szene braucht neben den "großen Events" auch solche kleinen Spielstätten, wo experimentiert werden kann - sie sind die Orte, an denen Musiker sich im Austausch untereinander und mit den Hörern entwickeln können. Es würde mich jedenfalls freuen, wenn das eine oder andere von dem heute Gespielten den Sprung auf eine größere Bühne schafft. Und wenn doch nicht, dann auch gerne wieder hier, im Makroscope oder an einem anderen Ort, wo sich die Klangtüftler vom Eurorack Ruhr treffen.
Alfred Arnold