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Dub mit Ambient - Martin Stürtzer im Autonomen Zentrum

Wenn in den letzten Wochen in dieser Kolumne keine neuen Berichte erschienen sind, so lag das nicht daran, dass EM-live-technisch nichts Berichtenswertes passiert wäre - ganz im Gegenteil, es wurde regelmäßig und viel 'performt'.  Leider sind dem Schreiber einige persönliche Dinge in die Quere gekommen, die die Prioritäten  zwangsweise verschoben hatten.

Martin Stürtzer Wuppertal 2023-12-15

Irgendwann wird der Drang dann aber zu groß, doch wieder einmal die geliebte Musik live zu erleben und auch vom Erlebten zu berichten.  Und Martin Stürtzer, einem der fleißigsten und produktivstem Musiker in der EM/Ambient-Szene war es zu verdanken, dass dieses Bedürfnis sich noch vor den Feiertagen befriedigen ließ: Eine eher unauffällige Ankündigung auf Facebook, im Wuppertaler Autonomen Zentrum ein Set zu spielen. Das angekündigte Programm: Etwas Dub, etwas Ambient, und Tracks von seinem aktuellen Albums 'Aquatic Cosmos'.

Nun assoziiert man mit einem autonomen Zentrum doch eher eine Punk/Rock-Band, die ihrer Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen mit aller Härte musikalischen Ausdruck gibt.  Vorurteile sind indes dazu da, auf die Probe gestellt und zurecht gerückt zu werden. Und so führt mich der Weg an diesem Freitag-Abend zur Wuppertaler Markomannenstrasse. Der Eingang des Autonomen Zentrums ist für den Uneingeweihten gar nicht so einfach zu finden: Die vielen Lagen von Graffitis und Aufklebern lassen die Stahltür beinahe mit der Hauswand verschmelzen. Hat man diese kleine Hürde überwunden, führt eine Treppe in den Raum mit Bühne. Eine kurze Nachfrage, ob man hier wegen Martin Stürtzer richtig ist, wird mit einem Nicken bestätigt, plus dem dezenten Hinweis auf die empfohlene 'Spende': Zwischen sieben und zwölf Euro seien angemessen. Ich lege einen Zehner auf den Tisch, erhalte dafür einen Stempel auf den Handrücken und bin 'drin'.

Es ist noch eine knappe Stunde Zeit, Martin ist aber schon da und hat alles aufgebaut. Sein Setup ist heute eher übersichtlich, lediglich Notebook, Ableton Push und ein paar kleine Kästchen sind auf einem Tisch verkabelt, der mittels Getränkekisten zu einem großen Stehpult umfunktioniert wurde. Viel mehr Platz wäre auf der Bühne auch nicht gewesen: Nach ihm wird noch eine Band mit klassischem Schlagzeug spielen, die auch schon aufgebaut hat und den größeren Teil der Fläche belegt.  Martin sieht das positiv: Er hatte heute nicht so viel zu schleppen, und im Gegenzug hätte dafür hier eine richtig dicke PA.

Nach und nach steigt der Grund-Geräuschpegel, während der Raum sich mit Besuchern füllt. Irgendwelche der 'üblichen Verdächtigen' aus der EM-Szene sind nicht dabei. Nicht wenige der Besucher werden aber von Martin per Handschlag begrüßt; Er ist auch hier lokal gut vernetzt. Martin verlässt noch einmal kurz den Raum, um sich einen Tee zu machen (nicht nur bei gestreamten Konzerten ein 'must have'), und setzt auf der Bühne mit ein paar bunten Lampen noch ein paar Akzente. Dann kann es los gehen, ohne besondere Ankündigung. Entweder man ist wegen Martin gekommen und weiß Bescheid, oder man lässt sich überraschen.

Zum Einstieg macht Martin erst einmal ein wenig 'Atmosphäre', mit Flächen und vorsichtig dazu gemixten Sequenzen - die Tracks aus seinem aktuellen Album sind unverkennbar. Aber schon nach einigen Minuten bekommt das Set eine Farbe, die man so von Martin bisher nicht kennt. Wir kennen von ihm ja Dub, Ambient und Berliner Schule, aber dass ersteres so deutlich bei den beiden ersten eingemischt wird, das ist schon neu und vielleicht wirklich der im AZ vorhandenen PA zu verdanken. Was in der Studio-Version ein zurückhaltender Rhythmus ist, lässt hier bei den Zuhörern in der ersten Reihe die Hosenbeine flattern. Und auch Martin lässt es nicht unberührt: Es ist das erste Mal, dass ich ihn auf der Bühne bei den eigenen Klängen so mitgehen sehe.

Was heute auch anders ist als sonst: Der durchgehende Flow, der ihm ansonsten wichtig ist, wird hier ein ums andere Mal unterbrochen. Einen Querschnitt seines aktuellen Schaffens zu zeigen, scheint heute das wichtigere Ziel zu sein. Ob er heute neue Fans gewonnen hat? Der Applaus nach einer guten Stunde ist jedenfalls mehr als wohlwollend, und auch Martin selber ist mit sich zufrieden, als er nach dem flinken Abbau das wohlverdiente Bier genießt. Und ich habe heute eine neue Facette seiner Musik erlebt.

Martin Stürtzer erwähnt gelegentlich, er würde am liebsten nur noch Streaming-Konzerte machen. Ich hoffe, dass er diesen Gedanken nicht in nächster Zeit umsetzt. Denn Live-Konzerte auf einer Bühne mit 'echtem' Publikum haben schon eine eigene Qualität: Das Feedback der Zuhörer ist ein ganz anderes, und die Atmosphäre eines (neuen) Spielorts animiert auch zu neuen Kreationen. Die Neuheit dieses Abends hört auf den Namen 'Dub Ambient'. Sie wird nicht jedem Stürtzer-Fan gefallen, und ich bin mir auch nicht sicher, ob Neptun es goutieren würde, wenn bei einem Home-Konzert sein Körbchen im Takt der Beats abhebt.  Aber das ist auch wieder das Schöne an Martins Musik: Die Vielfalt der Richtungen, und wie sie auch gerne einmal zusammen fließen. Ich wünsche mir fürs kommende Jahr, dass dass ihm weiter solche  Inspirationen zufliegen - sei es im Stream oder auf der Bühne.

Alfred Arnold

Über Empulsiv

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