Es ist gerade einmal einen Monat her, dass uns der Weg nach Repelen geführt hat, und schon stehen wir wieder vor den Tor der hiesigen Dorfkirche und warten auf den Einlass. Im Februar hatten Filter-Kaffee hier ihr neues Album '106' präsentiert. Jetzt ist mit Broekhuis, Keller und Schönwälder der 'Klassiker' unter den Formationen im Manikin-Universum an der Reihe. Für dieses Trio, das eigentlich ein Quartett ist (das Und-Zeichen steht für Frank Rothe), hat das aktuelle Jahr eine besondere Bedeutung: Anno 1994 hatten Bas, Detlef und Mario zum ersten Mal zusammen gespielt, und vermutlich hat damals niemand geahnt, dass sich daraus eine so dauerhafte Verbindung entwickeln würde.
Für das Bühnen-Jubiläum haben sich BK&S einiges vorgenommen: Seit Montag saßen sie in Detlef Kellers Studio in seinem neuen Gladbecker Heim zusammen und haben ausgetüftelt, was wir heute hören werden. Einen ganz kleinen Vorgeschmack darauf hatte es schon am Donnerstag in seiner Radiosendung 'Ad Libitum' gegeben. Live, weiter ausgearbeitet und mit der Akustik einer Kirche wird das alles natürlich noch einmal ganz anders und besser klingen.
Die 'Zugangs-Regelung' ist die gleiche wie im Vormonat: Der Eintritt ist frei, stattdessen wird nach dem Konzert um eine Spende gebeten. Norbert Sarrazin praktiziert dies seit Jahren in den Solinger Güterhallen, und auch bei Filter-Kaffee hat es gut funktioniert. Man spart den Aufwand für den Kartenvorverkauf, animiert zum spontanen Kommen, und das Publikum in 'unserer EM-Szene' ist durchweg bereit, ein gutes Konzert angemessen zu honorieren.
So heißt es denn auch einfach nur 'Kommt rein', als Mario das Tor öffnet. Saal und Bühne sind in ein tiefes Dunkelblau getaucht, so satt, dass selbst Detlefs Nord Wave dunkel gefärbt erscheint - normalerweise fallen die Nord-Keyboards ja durch ihr knallrotes Gehäuse auf. Detlef hat heute seinen 'Arbeitsplatz' links, gegenüber früheren Konzerten hat er mit Bas den Platz getauscht.
Außer den drei Aufbauten, die leicht erhöht auf Sockeln stehen, findet sich keinerlei weitere 'Deko' auf der Bühne. Das heutige Motto lautet 'Elektronik pur', was auf diese Weise noch einmal unterstrichen wird. Alleine je ein einzelnes Licht hinter den drei Plätzen setzt noch einen optischen Akzent. Solche 'Stehlampen' hatten BK&S schon früher eingesetzt, um anzuzeigen, wer gerade spielt und wer Pause hat. Davon wird heute aber kein Gebrauch gemacht werden - es wird durchgängig zusammen gespielt.
So weit sind wir aber noch nicht. Da der Einlass etwas früher als geplant erfolgte, ist mehr als eine halbe Stunde zum Begrüßen und Plauschen. An Gesprächspartnern mangelt es dabei nicht, denn wie schon im Vormonat wird die Kirche wieder randvoll. Die neuen Stühle etwas breiter, man sitzt also nicht mehr ganz so gedrängt, aber dadurch sind auch ein paar Plätze weniger als früher vorhanden. Zu Platzmangel kommt es heute aber auch nicht, die
Bänke links und rechts unter den Fenstern bleiben ungenutzt.
An der einen Seite findet sich heute auch der gemeinschaftliche CD-Stand von Manikin und Syngate - die Manikin-Seite betreut Kilian heute wieder ein wenig mit, denn Mario ist mit den letzten Vorbereitungen und Abstimmungen beschäftigt. Kilian fällt heute aber noch eine weitere Aufgabe zu, nämlich die einleitenden Worte zu sprechen: Augenzwinkernd bezeichnet er sich als einen Teil des 'Inventars', und BK&S hätte er selber das erste Mal auf Burg Satzvey erlebt - wer schon etwas länger in der EM-Szene unterwegs ist, wird sich auch noch an diesen Spielort erinnern.
Die zweite Überraschung: Das Licht wechselt von dem dunklen Blau in ein helles Weiß. Das erleichtert das Fotografieren natürlich deutlich. Blaues Licht hätte ohnehin nicht so recht gepasst, denn 'Blue' gab es als BK&S-Album schon 2008. Das hört sich zwar auch heute noch gut an, aber es soll ja neues Material gespielt werden.
Über die Jahre haben BK&S ihre ganz eigene Interpretation der Berliner Schule entwickelt: Detlef ist der 'Melodiker', Mario liefert meist die Flächen und Atmosphäre, und Bas betätigt sich gerne als 'Schrittmacher'. Das ist natürlich ein wenig zu einfach gedacht, denn alle drei sind auch solo elektronische Vollblut-Musiker. Sie könnten nicht zusammen spielen, wenn sie die 'Sprache' der anderen nicht verstehen würden. Gleich der Einsteiger ist ein schönes Beispiel dafür: Chöre, improvisierte Melodien und die leicht wiegende, aber voranschreitende Sequenz gehen die Symbiose ein, für die BK&S bekannt sind. Und sie haben wohl heute noch einiges vor, denn der Titel nimmt direkt Fahrt auf. Bas nimmt für den Einsteiger noch nicht die Drumsticks zur Hand und bleibt an den Tasten. Für Detlef und seine etwas verträumten Melodien bleibt aber aller Raum, den sie brauchen, um sich zu entfalten.
Das war schon einmal ein schöner und kurzweiliger Einsteiger! In seiner Moderation erinnert Detlef daran, dass 'BK&S in Repelen' auch schon bald zwei Jahrzehnte Tradition hat - 2005 begab es sich zum ersten Mal. Tradition in der Tradition: Bas und Mario quartieren sich ein paar Tage vorher bei Detlef ein, wo das Programm fürs Wochenende ausgeheckt wird. Detlefs neuem Wohnort entsprechend sind es dieses Mal die 'Gladbeck Tapes', von denen gerade Nummer eins erklungen ist.
Dass auf Nummer eins die Nummer zwei folgt, ist bei BK&S nicht selbstverständlich, live wird auch gerne mal etwas hin- und hergesprungen. Heute bleiben wir aber in der Reihenfolge, also auf zu Tape Nummer zwo, zu dem die Lichtakzente von grün auf gelb wechseln. Leicht verträumt geht es weiter, aber jetzt betätigt sich Bas auch als Perkussionist. Eine echte Neuheit: Ein Stimmen-Sample als Sequenz und Rhythmus. Dazu gesellen sich Streicher-Flächen, die das Panorama ungemein aufweiten. Mir kommen Filmsequenzen mit Landschaftsaufnahmen in den Sinn. Großes Kino, und es ist immer wieder bewundernswert, welche Ausdauer Bas an den Drums hat. Das klingt hier noch einmal ganz anders als im heimischen Dachkammer-Studio, meint Detlef nach dem Titel. Uns fehlt natürlich der Vergleich, aber Kirchen sind als 'Resonanzräume' schon immer eine Klasse für sich. Es verwundert nicht, das sie als Spielort so begehrt sind.
Track Nummer drei der 'Gladbeck Tapes' bringt eine weitere Neuheit in das BK&S-Klanguniversum: TD-Sounds der 80er, wie man sie aus der Schmoelling-Ära kennt, bereichern das Klangbild, und Detlef hat sich mittlerweile gänzlich frei gespielt: Ohne Netz und doppelten Boden zaubert er die Melodien aus seinen Keyboards. Mario lässt sich davon anstecken und geht mit. Das ist furios, und wie Detlef danach anmerkt, 'ein typischer Bas'. Wenn hier überhaupt an irgendetwas gespart wurde, dann nur an den weißen Tasten. Die exakte Beschreibung dafür wäre 'Dis-Moll', für eher intuitiv spielende Musiker wie Detlef ist das einerlei: Er kenne nur 'Pull-Moll'...Hauptsache, das Ergebnis stimmt.
Nach so einem Highlight wieder etwas Herunter-Chillen? Dazu passt der Anfang von Band Nummer vier: Stahlartige Klänge und eine dichte Sequenz hüllen uns ein, bis Bas wieder zu den Drumsticks greift. Detlef trägt dieses Mal eine virtuelle Gitarre dazu bei - die 'Spaintronics' lassen grüßen, und den im Publikum sitzenden Raughi Ebert wird's freuen. Mit Flächen und einem gemäßigten Tempo zum Verschnaufen endet der Titel so, wie er angefangen hat. Erstere kamen dieses Mal übrigens von Bas, der heute auch wieder für das Licht verantwortlich zeichnet. Da er es aber nicht live steuern kann, hat er er dieses Mal vorprogrammiert. Schon ein pfiffiger Kerl, dieser Bas...
Was hatten wir heute noch nicht: In Teil fünf der 'Gladbeck Tapes' wird es orchestral. Die mächtigen Sounds füllen das Kirchenschiff, das Tempo bleibt gemäßigt - passend für Rentner, wie man meinen könnte. Da ist natürlich Unsinn: Wie Mario sicher auch bestätigen wird, haben Rentner eigentlich nie Zeit und immer etwas zu tun - die Zeit scheint zu fliegen. Das tut sie auch am heutigen Abend, denn wir sind schon beim sechsten und letzten Track angelangt. Das Tempo zieht noch einmal an, das könnte schon fast der Soundtrack zu einem Action-Film sein. Wie der auch immer ausgehen mag, der Abend endet hier und heute mit einem Happy End.
Tiefe Verbeugung, lachende und zufriedene Gesichter auf beiden Seiten: Der Belegt, dass BK&S nach 30 Jahren noch lange nicht vor haben, in Rente zu gehen. Was sie uns heute präsentiert haben, war frisch, druckvoll und kurzweilig und macht Lust auf das, was noch so für ihr Jubiläumsjahr geplant ist. In Berlin wird zum Beispiel das eine oder andere passieren, auch im Umfeld der Superbooth. Und im Herbst werden sich BK&S wieder mit ihren Freunden zusammentun, um Elektronik mit Geige, Gitarre und Tanz zu vereinen. Dieses Mal wird das nicht in Repelen geschehen, sondern in einem Gotteshaus in Duisburg.
Doch heute gilt der Dank erstmal dem Personal der Dorfkirche Repelen, das dieses Ereignis möglich gemacht hat. Und überhaupt, es ist ja noch nicht vorbei: 'Wir spielen noch einen!' Als Zugabe kommt ein älterer Titel zu Gehör, nämlich 'Am Großen Baum' von 'The Vlagtwedde Tapes'. Vom Schwung der sechs neuen Titel getragen, kommt auch dieser heute noch lebendiger und energiegeladener daher. Noch einmal das Ritual der Verbeugung? Aber ja doch, und noch ein Dank an die anderen 'Manikins', die heute neben der Bühne gewirkt haben. Dass Frank Rothe als 'Und-Zeichen' dafür sorgt, dass die Töne im Saal so erklingen, wie sie sollen, das weiß man ja mittlerweile. Auch heute war die Leistung ebenso frei von jeglichem Makel wie bei den drei Akteuren auf der Bühne.
Nicht zu vergessen, Michael Menze: Der hat den heutigen Auftritt komplett aufgenommen, und wie Detlef verkündet, 16-spurig! Es darf also nach der Abmischung mit einer Veröffentlichung gerechnet werden. So ein Silberling wird natürlich nicht die ganze Atmosphäre so eines Abends einfangen können, aber alle, die an diesem Abend nicht in Repelen sein konnten, dürfen sich darauf freuen. BK&S noch einmal dreißig erfolgreiche Jahre zu wünschen, ist sicher ein wenig gewagt, aber der heutige Abend ist ein Zeichen dafür, dass sie noch viele aktive und produktive Jahre vor sich haben. An diesem Abend in Repelen haben sie uns einen Ausblick gegeben, wie dieser Weg aussehen könnte.
Alfred Arnold