Die elf schicken Piano-Patterns die uns das Duo Lemmer & Pabst zur aktuellen und virtuellen alpinistischen Reise anbietet, vermengen sich zu einem gradlinigen Trip tonaler Synonyme. Es braucht dabei nicht viel Vorstellungskraft, um sich schnell zwischen den monumentalen Bergregionen zu verorten, verwendet die (leider nur) 37minütige Reise doch sehr eingängig die benötigten Klang- und Soundkombis, die es für das gewählte Thema braucht. Dabei besticht die Musik durch ihre Stimmungen und weniger durch charttaugliche Hooklines und verfolgt damit eindeutig das Ziel, die eigenen imaginären Bilder intensiv zu verdichten. Wie fast immer, wenn Thomas Lemmer seine Finger im (Klavier-)Spiel hat, beschreitet das Gesamtpaket aus Musik und Bild auch eine besondere ästhetische Note, die neben dem tollen Sound auch eine schicke bebilderte Verpackung liefert. Schöner spiritueller Ausflug, der aber mehr Laufzeit verdient hätte.
https://www.thomas-lemmer.com/
Stefan Erbe
Ich bin immer wieder überrascht über die grosse Zahl an EM-Musikern, die unser nordwestliches Nachbarland hervorgebracht hat und es immer noch tut. Peter Dekker dürften bisher nur wenige Insider gekannt haben, und es ist Remys Label "Deserted Island Music" zu verdanken, dass sich dies jetzt ändern könnte. Unter seinem Künstlernamen "Däcker" liegt jetzt sein erstes Album vor. Stilistisch nimmt "Pareidolia" ganz deutliche Anleihen bei der Berliner Schule: direkt der Einsteiger ist mit 24 Minuten der längste und durchgängig von hypnotisch-dichten Sequenzen getragen. Das ist ein Album zum Eintauchen und Wegträumen. Ob man dabei die gleichen Assoziationen von Elefanten oder der Frau im Mond hat, ist natürlich nicht entscheidend, es zählt die Stimmung, in die der Hörer geführt wird. Und das ist bei "Pareidolia" genau die, die man zum Beispiel nach einem aufreibenden Arbeitstag gebrauchen kann.
Für einen Nachfolger würde ich mir wünschen, dass Peter Dekker noch ein paar rhythmisch-melodische Elemente in sein Repertoire einbaut. Aber auch so ist "Däcker" bereits ein Gewinn für die EM-Szene.
https://www.desertedislandmusic.nl/
Alfred Arnold
Das Baden-Würtembergische SINE-Label hat in den vergangenen Jahren etliche Perlen elektronischer Acts veröffentlicht und zieht mit dem Debut von Tauon alias olaf Gretzmacher den nächsten Edel-Klunker aus dem musikalischen Synthetik-Hut. Um es vorweg zu nehmen, der Stuttgarter Gretzmacher ist kein Newbie, er produziert schon seit vielen Jahren eingängige Tunes im Reich der Chill und Ambient-VÖs, aber bisher hat es nicht zu einem "eigenständigen" Tauon-Album gereicht. Schade eigentlich, denn „Somewhere“ hat überdurchschnittlich viel Karat und Genre-Fans hätten sicher schon früher das eine oder andere Tauon-Album von ihm zur Veredelung der eigenen Musikanlage erworben.
Gretzmachers Sound ist leicht und luftig. Eingängige Pianomuster vermengen sich mit simplen, aber sehr schicken Synthvariationen. Mal mit Beats, mal ohne, aber so intensiv, dass man das Album gerne täglich in die Schmuckauswahl-Rotation einbeziehen möchte. Glänzender unverbrauchter Sound.
www.sine-music.com
https://www.facebook.com/Tauon.music
Stefan Erbe
Das Musikprojekt Deep Imagination des hessischen Bandleaders Thorsten Sudler-Mainz begleitet uns mit seiner Musik schon eine gefühlte Ewigkeit. Umso mehr wundert es, dass es tatsächlich erst der 5. Longplayer ist, den Thorsten in den letzten Jahrzehnten mit DI hervorgebracht hat. Dies erklärt sich sicher aber auch dadurch, dass es gute 2 Jahre gebraucht hat, bis alle 8 Stücke auf einem finalen Album verewigt werden konnten. Recht so, denn das „Gutes braucht ein bisschen länger-Konzept“ ist voll aufgegangen. Sein mystisches Grundthema zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Projekt und spiegelt nicht nur die Qualität des kompositorischen Aufwandes wieder, der hier mit vielen verschiedenen Gastmusikern umgesetzt wurde. Die Tracks sind allesamt sehr Progressiv und recht Artrockig mit Einflüssen aus Ambient und ethereal Goth. Gerade Fans von Pink Floyd und artverwandten Bands werden sich hier besonders heimisch fühlen, denn es zeigt sehr deutlich, dass es immer noch einiges an musikalischen Ideen gibt, die bisher ungehört blieben. Auch das Drumherum zeugt von professioneller Machart, den Cover, Artwork und der visuelle Output rund um „My Silent Celebration“ reihen sich locker in die erste Riege anspruchsvoller Musikproduktionen.
Thorstens Aufwand macht Mut, denn es zeigt, dass es immer noch lohnt in umfangreiche und aufwendige Produktionen zu investieren, sich viel Zeit zu nehmen und nicht, „mal eben ein Album zu machen“. Es ist die perfekte Grundlage für Scheiben wie diese, die uns sicher ein wenig länger begleiten werden.
www.deep-imagination.de
Stefan Erbe
Sind es die aktuellen Umstände, oder persönliche Erlebnisse, oder eine Kombination aus beidem, die bei einem Künstler zu einem Kreativitätsschub führen? Die Frage könnte man Stefan Erbe stellen, ist es doch ein für ihn ungewohntes Vorkommnis, dass bereits ein halbes Jahr nach dem letzten Studioalbum "Nachtlichter" schon der Nachfolger seine Fans erreicht.
Rhythmische und atmosphärische Titel wechseln auch hier einander ab, aber die Grundstimmung ist eine andere: Alles über alles legt "Breathe" eine merklich langsamere und weniger poppige Gangart als "Nachtlichter". Das geht natürlich nicht so weit, dass ein Hardcore-Ambient-Fan dieses Album als sein 'Ding' betrachten würde, aber es ist schon signifikant, wie dieses Mal das eine oder andere stilistische Element aus dieser Ecke in das Erbesche Klang-Universum integriert wurde, ohne dabei Abwechslung und Spannungsbogen zu vernachlässigen. Auch für "Breathe" empfehle ich, die Tracks in der vom Schöpfer vorgegebenen Reihenfolge zu hören und das Album nicht in den musikalischen Fleischwolf eines Shuffle-Modes zu stecken. Zusammen mit den Namen der Tracks erschließt sich dann, wie "Breathe" eine Art persönliches, musikalisches Tagebuch der letzten Monate sein könnte, mit allen ihren Höhen und Tiefen, all ihren Beschleunigungen und (Not-)Bremsungen im Alltag.
Auch wenn "Breathe" natürlich wieder ein Album ist, das man als Erbe-Fan "einfach so" ohne tiefere Gedanken genießen kann, so hat es eine nachdenkliche und reflektive Tiefe, die Gelegenheit gibt, auch einmal selber über den einen oder anderen Moment in der letzten Zeit nachzudenken. Stefan Erbe wäre nicht Stefan Erbe, wäre der Ausblick im Schlußtrack nicht positiv, und selbiger bringt noch einmal den einen oder anderen unerwarteten und neuen Sound.
Unser Leben besteht aus vielen Momenten, auch wenn ein solcher manchmal nur ausreicht, tief durchzuatmen. Ich bin geneigt, den Titel diese Albums als Imperativ zu interpretieren: Atme, denn Atmen ist Leben, und das Leben geht immer weiter. Solange es Erfahrungen wie dieses Album bereit hält, ist es absolut die Sache wert.
Alfred Arnold