Als weiteres Highlight in der Interviewserie 10 Fragen an ... dreht sich die nächste Runde um Bernd Kistenmacher.
1. Was war für Dich die erste bewusste Begegnung mit "elektronischer Musik"?
Die erste Begegnung fand statt, als ich 11 Jahre alt (1971). Meine Cousine, die damals voll auf Hippie war, spielte mir Platten von Pink Floyd und den Silver Apples vor. Dann kam Kraftwerk mit „RuckZuck“ und wenig später Aphrodite’s Child. Dieser ganze psychedelische Sound machte mich rasend und ich bin dankbar dafür, dass ich diese Zeit erleben durfte. Ganz ehrlich. Die siebziger Jahre waren doch wirklich phantastisch in musikalischer Hinsicht. Alles war neu und es gab soviel zu entdecken. Das gerade auch in Berlin. Ich erinnere mich noch wie heute, dass ich damals nur in mein Lieblings-Plattengeschäft Musicland zu gehen brauchte und wieder lag eine neue Platte da, wo „Moog Synthesizer“ und „Sequencer“ in den Credits stand. Die konnte manblind kaufen. Das war herrlich. Und das hat mich natürlich geprägt. In so mancher Hinsicht.
2. Was hat Dich ursprünglich bewogen, selbst Musik zu machen?
Eine gewisse Trotzigkeit und Unzufriedenheit. Ich war unzufrieden darüber, dass meine damaligen musikalischen Helden damit begannen, sich von ihrer eigenen Musik abzuwenden. Heute verstehe ich das sehr gut, denn diese Künstler würden noch heute in ihrem Saft schmoren, hätten sie sich nicht „befreit“ und versucht, andere Wege zu gehen. Dennoch war ich ein Kind der „Berliner Schule“. Und als die nicht mehr kam, ging ich daran, diese selbst zu machen. Darüber hinaus war ich auch immer der Meinung, dass man diesem Musikstil durchaus noch ein paar neue Aspekte hinzufügen konnte und das die Geschichte mit der Abkehr der damaligen Protagonisten noch nicht endgültig erzählt worden war. So ist im Laufe der Zeit ein gewisser „Kistenmacher Sound“ entstanden. Aber auch diesen gilt es von Zeit zu Zeit etwas zu modifizieren….
3. Was ist Deine (tägliche) Inspiration für das Komponieren?
Ehrlich. Auch wenn ich es gerne wäre, bin ich nicht jeden Tag inspiriert. Leider. Allerdings habe ich gelernt, sehr spontan auf meine innere Stimme zu hören und umgehend darauf zu reagieren. Es kann also schon passieren, dass ich vor dem Fernseher sitze, aufspringe und ins Studio renne, um schnell etwas aufzunehmen oder dass ich eine Melodie in mein Handy summe. Man mag sich das bitte jetzt nicht konkret vorstellen, aber tatsächlich habe ich viele musikalische Ideen auf diese Weise spontan festgehalten.Ich denke viel über Musik nach. Und da ich ein absoluter Freund von Konzeptalben bin, denke ich auch viel über inhaltliche Konzepte nach. Das trifft für „Celestial Movements“ (Horizontobservatorium Hoheward) genau so zu, wie für „Beyond the Deep“ (Frank Schätzing’s „Der Schwarm“ gewidmet), wie auch für die kommenden Alben. Dieses „nachdenken“ ist sehr wichtig für mich, denn ich versuche Musik jenseits von Belanglosigkeit zu machen. Ein Freund sprach einmal von „Music with a meaning“. Das trifft genau auf den Punkt. Aus diesem Grund würde ich auch nie mehr etwas veröffentlichen rein um des Veröffentlichens willen.
4. Du hast ja eine längere Schaffenspause gemacht und bist erst seit 2-3 Jahren wieder sehr aktiv, was war ausschlaggebend wieder Musik zu veröffentlichen?
Ausschlaggebend war, dass mir irgendwann wieder Musik eingefallen ist und ich Lust hatte, diese zu spielen und aufzunehmen. „Schaffenspause“. Das klingt für mich so ein wenig nach Coca Cola („Mach mal Pause“). So bedeutungs- und belanglos war der Prozess, der mich an diesen Punkt geführt hat, aber keineswegs. 2001 war ich eigentlich nur noch von dem Frust dominiert, mein Label (MIRecords) nicht mehr wirtschaftlich führen und meiner Solo-Karriere keine neuen Impulse geben zu können. Ich war ausgebrannt. So entschied ich mich zu dem einzig logischen Schritt, mit all dem aufzuhören. Ich konzentrierte mich dann in den folgenden Jahren ausschließlich auf mein Privatleben und war eine Zeit lang auch recht zufrieden damit. Ich dachte, dass ich das alles hinter mir hatte und doch stellte sich nach 4-5 Jahren eine unterschwellige Unzufriedenheit ein. Ich merkte, dass ich auf einmal wieder Musik „zu denken“ anfing. Ein Impuls, der immer stärker wurde. Allerdings musste noch sehr viel geschehen, bis ich wirklich wieder musizieren und kreativ arbeiten konnte. Es galt, rein praktische Hürden zu nehmen, denn mein altes Analog-Equipment war heillos überaltert. Ich trennte mich von fast allen und begann beinahe bei Null.Dann gab es den glücklichen Umstand, dass ich Bernd Scholl von Mellowjet Records kennen lernte. Das war so ca. 2007. Er baute damals gerade sein Label auf und er glaubte zu einer Zeit an mich, als es kein anderer getan hat. Außer meine Freunde aus Frankreich (Cosmiccagibi), die mich dann 2009 wieder zurück auf die Bühne gebracht haben.
5. Neben Deinen Studio-Produktionen bist Du auch wieder häufiger live zu sehen. Demnächst zum Beispiel im Planetarium im Münster. Nach welchen Kriterien wählst Du die Auftrittsorte aus?
Das ist ein schwieriges Thema. Ich versuche, für meine Musik interessante und besondere Orte zu finden. Planetarien bieten sich dafür an. Die Vorteile einer existierenden Logistik in Planetarien (Sound, Licht, Sitzplätze usw.) liegen klar auf der Hand. Allerdings schränkt das Thema „Planetarium“ imagemäßig ein, denn man macht sich damit wieder zu einem „Sternenkünstler“ unter vielen. Dauerhaft möchte ich das aber nicht. So arbeite ich auch an anderen Konzepten und wenn es soweit ist, wird es für eine Überraschung gut sein (hoffe ich zumindest).
6. Würdest Du sagen, dass sich Deine Musik über die Jahrzehnte deutlich verändert hat?
Das hoffe ich sehr; überlasse dieses Urteil aber gerne meinen Fans und Kritikern. In der Tat war ich hoch motiviert und ängstlich zu gleich, als Bernd Scholl den Startschuss gab, ein neues Solo-Album (Celestial Movements) zu produzieren. Womit sollte ich wieder anfangen? Als ich dann daran ging, die Aufnahmen zu machen, hatte ich eigentlich nur zwei Ansprüche an meine Musik. Erstens: wenn Deine Musik mies klingen sollte, dann nicht aufgrund fehlerhaften Equipments, sondern nur wegen mieser Kompositionen. Dies machte in Konsequenz einige Investitionen in Studio- und Synthesizertechnik erforderlich. Zweitens: vergiss Deine alte Musik komplett und versuche nicht mehr so zu klingen, wie Du früher geklungen hast. Es wäre schon dramatisch für mich gewesen, wenn man mit Vorlage des aktuellen Albums nicht gemerkt hätte, dass ich überhaupt weg gewesen bin. Also habe ich alles rausgelassen, was mir so eingefallen ist und habe das alles aufgenommen. Kein Zögern, keine Ängste, keine Skrupel mehr. Ich habe gelernt, auf mich zu hören und den kreativen Impulsen zu folgen. Als Folge, schreibe ich heute kompaktere Stücke. Ich komme heute deutlich schneller musikalisch auf den Punkt. „Endless noodling“ war einmal und das hat mir auch viel Freude bereitet, aber heute will ich das nicht mehr. Ich arbeite viel mit Brüchen und ich denke, das meine Musik schon deshalb viel bildhafter geworden ist, weil ich beim komponieren auch konkrete Bilder im Kopf habe. Insgesamt bin ich mit der Entwicklung sehr zufrieden und heute weiß ich, dass mir die Pause von all dem sehr gut getan hat. Aber wie gesagt, das endgültige Urteil fälle nicht ich!
7. Welche aktuelle Musik findest Du selbst interessant bzw. hörst Du gerade?
Die meines kommenden Albums. Aber im Ernst. Ich versuche mich wenig ablenken zu lassen. Also höre ich möglichst wenig Musik, wenn ich gerade an einem aktuellen Projekt arbeite. Aber natürlich gibt es Musik, die ich immer wieder gerne höre. Mein Musikgeschmack hat sich in den letzten Jahren jedoch stark gewandelt. Ich bin von der rein elektronischen Musik ziemlich weg und mehr hin zu einem klassisch angelegten Sound. Den „großen Klang“ habe ich allerdings schon immer mehr geliebt, als „Minimal“. Insofern würde ich gerne mal mit einem Orchester arbeiten. Das wäre aktuell mein „Ding“.
8. Gibt es für Dich Künstler oder Acts, mit denen Du gerne mal etwas gemeinsam machen würdest?
Oh ja. Da gibt es in England Marvin Ayres, der mit elektronischen Celli und Violinen arbeitet und einen fantastischen Sound kreiert. Und dann würde ich gerne mit Demis Roussos arbeiten. Ich denke, dass es an der Zeit ist, dass er wieder etwas außerhalb der „Schlagerecke“ macht. Dafür hätte ich ein paar Ideen…
9. Was gibt es für kommende Kistenmacher-Projekte, die uns in den nächsten Monaten erwarten werden?
Am 15. November wird mein nächstes Studio-Album erscheinen. Erfreulicherweise wird das wieder bei MellowJet geschehen. Dafür laufen aktuell die Vorarbeiten. Ich sitze deswegen noch im Studio. Das Artwork wird parallel dazu gerade in Frankreich entwickelt. Dann gibt es bald einen Teaser auf Youtube usw. Des Weiteren laufen die Vorbereitungen, meine aktuelle Webpräsenz um eine offizielle Homepage (www.berndkistenmacher.com) zu erweitern. Langsam ist es dafür Zeit. Allerdings werde ich meinen aktuellen Blog nicht aufgeben, sondern wohl eher integrieren. Startschuss dafür ist der 01. Januar 2012. Und um gleich im Januar des folgenden Jahres zu bleiben, gehe ich unmittelbar nach der Veröffentlichung des Albums in die Vorbereitungen für das Konzert im Planetarium Münster, das am 14. Januar stattfinden wird. Wir wollen für diesen Anlass eine schöne Planetariums-Show entwickeln. Mit den Vorbereitungen dazu beginnen wir aber bereits am 31. Oktober. Dann gibt es noch – etwas abseits meiner künstlerischen Tätigkeit – eine enge Zusammenarbeit mit Roland Deutschland. Zur Zeit werden neue Recording-Workshops vorbereitet und da darf ich wohl auch den einen oder anderen Beitrag dazu leisten.
10. Zum Schluss, wie immer die Frage nach den drei ultimativen Longplayern (keine eigenen), die Du auf eine einsame Insel mitnehmen würdest!?
- Hans Zimmer – Inception (Original Filmscore ( das Beste, was ich seit 15 Jahren gehört habe))
- Aphrodite’s Child – 666
- Klaus Schulze - Mirage
Links zum Thema
Das Interview führte Stefan Erbe