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Nicht ins Wasser gefallen - Der Awakenings-Alldayer im Oktober

Unter den Awakenings-Events, die Phil Booth und Jez Creek mehrmals im Jahr veranstalten, sticht der 'All-Dayer' hervor. Dieser beginnt bereits am frühen Nachmittag und beinhaltet dementsprechend mehr Acts und Konzerte - trotz einer längeren Pause am Abend kommt man auf derer fünf und damit ähnlich viele wie bei E-Live oder dem Electronic Circus.

Awakenings All-Dayer 2023

Ich war in diesem Jahr zwar schon einmal im Frühjahr in Rugeley gewesen, doch das für diesen All-Dayer angekündigte Lineup war so reizvoll, dass ich es nicht nur 'virtuell' erleben wollte. Mit Jah Buddha und Radio Massacre International gleich zwei Projekte, die ich zwar kannte, aber noch nie oder schon sehr lange nicht mehr live gesehen hatte. Dazu - wie meistens bei 'Awakenings' - mit 'A Collection of Notes' ein Musiker, der mir neu war. Dazu noch ein Peter Dekker, der mit seinen Auftritten und Veröffentlichungen in den letzten Jahren deutlich an Bekanntheit und Profil gewonnen hat, und der auch dafür bekannt ist, sich für jedes Konzert etwas spezielles auszudenken - das war mir die lange Anfahrt wert.

Wie weit es auch von Deutschlands Westzipfel bis nach Rugeley ist, zeigt ein Blick auf die Karte: Einmal durch Belgien und Frankreich, bis man die Fähre oder den Kanaltunnel erreicht hat. Wir bevorzugen mittlerweile den Kanaltunnel, weil der auch bei Sturm über dem Ärmelkanal in Betrieb bleibt. Dann geht es in England von  Folkestone noch einmal etwa die gleiche Strecke bis nach Rugeley, oder zu einem in der Nähe davon gebuchten Hotel. Eine Anfahrt am gleichen Tag ist gerade bei einem 'All-Dayer' keine ernsthafte Option.

Ich bin gar nicht mehr sicher, das wievielte 'Awakenings' dieses für mich ist. Auf jeden Fall war ich in der Vergangenheit oft genug dort, um die Tücken des Weges zu kennen: Das Stau-Risiko um Gent oder Brüssel, den Freitags-Verkehr auf dem Londoner Autobahn-Ring, und die mautpflichtigen Teilstrecken in England - Bezahlung nur online oder mit Kreditkarte möglich, kein Bargeld! Auch die sich ergebenden Fahrtzeiten kennt man mittlerweile und kann so planen, dass es am Zielort noch für ein nicht allzu spätes Abendessen reicht.

Dieses Mal hält allerdings der Wettergott eine Überraschung für uns bereit. Der Sommer ist mittlerweile auch auf der britischen Insel vorbei, und deren Mitte und Norden werden an diesem Wochenende von heftigen Regenfällen heimgesucht. Es trifft uns zwar nicht so schlimm wie Schottland, aber der Regen ist stark genug, dass das Durchschnitts-Tempo spätestens ab Coventry auf etwa 40 Meilen in der Stunde absinkt, und das verbunden mit einem Stau bei fast jeder Auf- und Abfahrt. Von Unfällen und Sperrungen bleiben wir zum Glück verschont, aber als wir am Hotel in Stafford ankommen, haben wir knapp anderthalb Stunden Verspätung angesammelt. Phil Booth, der im gleichen Hotel übernachtet, ist es übrigens nicht wesentlich besser ergangen. Der in Teilen überflutete Hotel-Parkplatz deutet aber an, dass alles noch viel schlimmer hätte kommen können. Spätestens die Bilder, die die BBC am nächsten Morgen aus Schottland zeigt, überzeugen mich, dass das alles nur halb so schlimm war. Das Wasser auf den Landstraßen nach Rugeley ist mittlerweile ebenfalls so weit abgeflossen, dass man sie wieder durchgängig mit gewöhnlichen Autos befahren kann.

Der Weg geht natürlich direkt zur Sandy Lane, wo die 'Lea Hall' steht. Normalerweise wird dieser Saal für soziale Aufgaben wie Seniorenbetreuung genutzt. Für einen Tag werden Phil, Jez, und die auftretenden Musiker sie wieder in einen kleinen, aber feinen EM-Tempel verwandeln. Von Peter Dekker, dem am weitesten angereisten Musiker, ist noch nichts zu sehen: Er hat die Nachtfähre aus Rotterdam genommen und wird gegen Mittag eintreffen. Mit ihm reist als Fahrer und Begleitung übrigens Hans 'Skoulaman' van Kroonenburg an, der auf dem März-Awakenings gespielt hat und Peter bei seinem Auftritt unterstützen wird. Jan Gilhooley fehlt ebenfalls noch. Er hatte Phil am Vorabend Probleme mit seinem Auto gemeldet, wird es aber doch noch irgendwie schaffen, rechtzeitig nach Rugeley zu kommen. Bis zum Beginn der Konzerte um 13 Uhr können wir hier nicht mehr viel 'beitragen' und würden eher im Weg herumstehen, also gehen wir noch einmal in die City von Rugeley.

Wirtschaftliches Standbein von Rugeley waren lange Jahre die Kohlemine und das Kraftwerk, in dem die geförderte Kohle direkt verfeuert wurde.  Die Denkmäler von Minenarbeitern auf dem zentralen Kreisverkehr zeugen noch von dieser Zeit. Sowohl Mine als auch Kraftwerk existieren nicht mehr und die Stadt muss sich neu orientieren. Dass das nicht ganz einfach ist, zusammen mit den wirtschaftlichen Verwerfungen seit dem Brexit, davon zeugen die vielen geschlossenen Läden in der Fußgängerzone. Nun lassen sich Briten aber nicht so leicht unterkriegen, und ich bin sicher, dass sie auch diese Situation meistern werden. Nach einem Streifzug durch die diversen 'Charity Shops', in denen gebrauchte und gespendete Waren zu wohltätigen Zwecken verkauft werden, kehren wir zur Lea Hall zurück.

Der Raum ist mittlerweile verdunkelt, so dass die von Jez installierte Light-Show zur Geltung kommt. Die beiden 'Old School' Projektoren, bei denen in einer Scheibe eingeschlossene Luftblasen ganz analoge Effekte an die Wand zaubern, sind alte Bekannte. Neu ist ein Laser, dessen Steuerpult ähnlich viele Knöpfe wie ein analoger Synthesizer aufweist. Dementsprechend variabel sind die bunten Linienmuster, mit denen die mitgebrachten Visuals überlagert werden können.

Die Lea Hall ist dieses Mal übrigens randvoll: Das angekündigte Lineup hat nicht nur uns zu einem physischen Kommen animiert.  Phil hatte dieses Mal bei den Jahreskarten-Inhabern per E-Mail angefragt, wer kommt und wer nicht. So konnte er planen, wie viel Platz für Stühle vorgesehen werden muss und wie viele Tickets überhaupt noch an der Tageskasse angeboten werden können.

So kommt es, dass Dave Buxton seine einleitenden Worte vor einem randvollen Saal halten kann. Die Wetterverhältnisse am Freitag und die teilweise schwierige Anreise sind natürlich ein Thema. Ein besonderer Dank geht also erst einmal an die trotzdem so reichlich erschienen Gäste - egal, mit welchem Verkehrsmittel ihnen die Anreise geglückt ist. Schlichte Teleportation, wie Dave es anspricht, wäre natürlich auch eine Variante gewesen. Das werde ich das nächste Mal ausprobieren, wenn ich neben Fähre und Tunnel die Auswahl dafür auf dem Buchungsportal gefunden habe...

Jan Gilhooley aka 'A Collection of Notes' war eigentlich als erster Act vorgesehen, wegen der Probleme mit seinem Auto war er aber erst eine Dreiviertel Stunde vor Beginn eingetroffen. Es war zwar beeindruckend anzusehen, mit welcher Routine und Geschwindigkeit er sein Setup aufbaut, man hatte sich aber nichtsdestotrotz entschieden, ihm eine weitere Pause Zeit für den Soundcheck zu geben und die ersten beiden Konzerte zu tauschen. So ist es an Bob Hedger aka 'Jah Buddha', den Tag zu eröffnen. Bob wohnt zwar in Paris, spielt aber auch regelmäßig Konzerte in England. 2013 konnte er bei der Schallwelle den Preis als bester Newcomer einheimsen. Seitdem hatten sich unsere Wege - bedauerlicherweise - nicht mehr auf einem Event gekreuzt. Bob improvisiert seine Konzerte live, und keines ist wie das andere. Eine große Sammlung an Mitschnitten auf seiner Bandcamp-Seite legt davon Zeugnis ab. Er steigt mit einem spacigen Sound-Effekt ein, der direkt aus Star Trek stammen könnte - Rauschen und Flächen. Es hätte nur noch gefehlt, wenn er sich dazu live hinter sein Setup gebeamt hätte. So weit ist die Technik aber auch auf der Insel noch nicht.

Auf diesem akustischen Fundament entwickelt Bob nach und nach seine Melodielinien und Sequenzen. Man könnte sagen, das Chaos ordnet sich, so ähnlich, wie das Universum sich nach dem Urknall strukturiert hat. Alles wird live gespielt und wirkt sehr stimmig und virtuos. Irgendwann ist zu diesem Thema oder jener Sequenz alles gespielt, was gespielt werden, und sie versinken wieder in einem akustischen 'Grundton', um etwas neuem Platz zu machen. Während das Tempo im ersten Teil flott und das Klangbild recht dicht ist, schaltet Bob im zweiten Teil zwei Gänge herunter: kaum Sequenzen, fast nur Flächen und ich fühle mich an 'Crystal Lake' erinnert. Bob hat an dieser Stelle natürlich nicht die Zeit, um Klaus Schulzes Meisterwerk in voller Länge auszuforschen. Also tauchen wir mit einer neuen Sequenz wieder auf und kehren zum Ufer zurück, bevor wir ganz im Kristallsee versinken.

Genug der klassischen Berliner Schule? Mit den Drums mutiert Bobs Schluss-Track schon beinahe zu einer Progressive-Rock-Nummer. In der vergangenen Stunde sind wir mit Bob auf eine kleine Zeitreise durch die Geschichte der elektronischen Musik gegangen, und konnten uns dabei unsere eigenen Bilder im Kopf dazu machen. Alles in allem war dies ein sehr gelungenes und kurzweiliges Set, das die Richtung für den Rest des Tages vorgibt.

Nachdem der wohl verdiente Applaus verebbt ist, hat Dave neben dem Dank an Bob noch etwas weiteres zu verkünden: Plakate und Poster von (vergangenen) Events sind bei vielen Fans beliebte Sammlerobjekte. Noch beliebter sind sie, wenn sie von den Musikern signiert wurden, und ein solches, von allen heute spielenden Musikern signiertes Poster wird versteigert. Das Startgebot liegt bei 20 Pfund, der Höchstbietende wird am Ende des Tages verkündet.

Die folgende Pause reicht gerade so für einen Kaffee an 'Service-Punkt': Trotz des eiligen Aufbaus läuft bei 'A Collection of Notes' alles rund. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass Jan mit Koffern angereist ist, in denen die diversen kleinen Gerätchen bereits vorverdrahtet sind: Es reicht, die Koffer auf die beiden Ständer zu legen, den Deckel zu entfernen und mit einer Handvoll Kabel untereinander zu verbinden. Dieser Auftritt ist Jans Premiere bei 'Awakenings', er ist aber alles andere als ein Anfänger und hat z.B. auch schon bei 'Church of Sounds' gespielt. Und direkt der Einstieg zeigt, dass er seine Sounds und Noten alles andere als wahllos sammelt: Glockenartige Sounds bilden die Basis mit Flächen und erzeugen eine atmosphärische Stimmung. Dazu sehen wir Visuals von fließendem Wasser - im Gegensatz zum ersten Konzert wird das ein echtes Ambient-Set. Erst nach gut 20 Minuten nehmen die gemächlich dahin fließenden Sound-Gewässer Takt und Fahrt auf: wir erreichen auf unserer Fahrt die ersten Stromschnellen. Der Rhythmus wird dominanter und pulsiert bis kurz vor dem Ende: Ruhigeres Fahrwasser ist besser geeignet, einen Anlegepunkt zu erreichen und aus einem Set wieder herauszufinden. So wie sie dieses Set einläuteten, markieren Kirchenglocken auch dessen Ende. Dieses Set war für Jan eine gelungene und runde Premiere auf 'Awakenings', und dass die Umstände nicht optimal waren, macht es um so beachtlicher. CDs hat er nicht dabei, aber eine gut bestückte Bandcamp-Seite.

Genauso schnell wie Jan aufgebaut hat, so flink ist er auch mit dem Abbau dabei. Bob tut es ihm gleich, damit komplett freie Sicht auf den dritten Act des heutigen Tages gegeben ist. Radio Massacre International, das Projekt von Steve Dinsdale, Gary Houghton und Duncan Goddard, sind der 'Headliner' des heutigen Nachmittags. Sie spielen seit über drei Jahrzehnten zusammen und haben ihren Stil seit langem definiert: Die frühen 70er, als Tangerine Dream noch nicht zu dem Format gefunden hatten, was heute mit 'Berliner Schule' umschrieben wird: Jam-Sessions, fast ebenso viel Gitarre wie Synths und ausladende Sessions. Dave erinnert nachdrücklich an das Ende der Pause und dass alle Zuschauer in den Saal zurück kommen sollten: Das dritte Konzert des Nachmittags wird so lang sein wie die ersten beiden zusammen, und wir wollen nicht die lange Pause fürs Abendessen hinein laufen. Waren das nicht kurze 15 Minuten Pause? Zeit wäre relativ, meint Dave, aber insgeheim kann er es wohl einfach nicht erwarten - mit seinem T-Shirt hat er sich ja schon als RMI-Fan geoutet.

RMI knüpfen an das an, was wir im zweiten Konzert gehört haben, aber hier kommt als zusätzliche Zutat die E-Gitarre von Gary hinzu. So wie Tangerine Dream auf ihren ganz frühen Alben noch eher eine experimentelle Rockband auf der Suche nach einem Sound waren, so sind auch hier die ersten anderthalb Tracks ein Versuchen, Herantasten und Entwickeln, bis Struktur und Melodie-Linien die Oberhand gewinnen.  Dafür geht es im dritten Titel dann richtig zur Sache: Sequenzen dominieren, und verschmelzen mit dem Rest zu einer "Wall of Sound", aus der das Trio keinen Ausstieg zu finden scheint. Darüber sind wir im Saal aber auch nicht böse, denn so lange Steve, Gary und Duncan noch immer etwas neues einfällt, das man einbauen oder variieren kann, ist das ein äußerst spannender und abwechslungsreicher Ausflug in die 70er, der mit dem bisher dicksten und längsten Applaus des Tages belohnt wird, inklusive der Forderung nach einem Encore.

Ist dafür überhaupt noch Zeit? Mit einer Zugabe würde dieser Auftritt dann endgültig die Spielzeit einer CD überschreiten. Viele brennen sich die Mitschnitte der einzelnen Konzerte ja auf einen Silberling. Aber eine Zugabe muss heute einfach sein, und sie ist auch keine einfache Fortsetzung des bisher Gespielten. Die Elektronik nimmt sich etwas zurück und lässt die Gitarre besser zur Geltung kommen. RMI macht hier noch einmal deutlich, wo sie sich von anderen Projekten unterscheiden, die den EM-Sound der 70er-Jahre neu beleben und in die Gegenwart tragen.

Nach dem dritten Konzert des Tages noch eine kleine, aber süße Überraschung: Die erste für 'Awakenings' gebackene Torte! Beim Verzehr lässt man den Aktiven, die in der Pause arbeiten und nicht zum Abendessen gehen können, natürlich den Vortritt. Aber mit schmal geschnittenen Stücken kommen auch noch einige Zuhörer(innen) in den Genuss dieser Premiere. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an die Bäckerin und edle Spenderin, deren (vergängliches) Meisterwerk natürlich zum Titelbild für diesem Bericht werden musste.

RMIs Zugabe hat natürlich ein wenig von der geplanten großen Pause abgeknapst, aber die ist immer noch lang genug, um von der Lea Hall ins 'Wetherspoon' zu gehen (Torte hin oder her...). An dieser Stelle übrigens noch einmal eine Entschuldigung an Michael Shipway, ich werde bei der nächsten Bestellung besser aufpassen, dass der Kellner dann auch wirklich Schinken mit Spiegelei und Fritten bringt...

Währenddessen ist man in der Lea Hall nicht untätig geblieben und hat umgebaut. Jez Creek, der heute sowohl spielt als auch organisiert, wird heute mit 'kleinem Besteck' auf einem Tischchen auskommen. Ganz anders bei Peter Dekker: In der Pause haben Hans und er eine imposante 'Keyboard-Burg' aufgebaut. Hans hat auf dem Awakenings im März selber gespielt. Heute unterstützt er den 'Awakenings-Neuling' Peter mit seiner Erfahrung und Routine. Was hier aufgebaut wird, ist übrigens nicht alles mit Hans' Auto über den Kanal gereist: Ein paar Instrumente hatte Phil bereits bei einem früheren Trip auf den Kontinent mit genommen, und sie werden auch erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Peters heimisches Studio zurück kehren. Schon vor dem eigentlichen Konzert haben Hans und Peter hier eine bemerkenswerte Leistung erbracht, so ein Setup unter Zeitdruck aufzubauen.

Bevor wir alle die Früchte dieser Arbeit genießen können, ist es aber an der Zeit, einer Person zu gedenken, der nicht nur die britische EM-Szene viel zu verdanken hat: Wir kennen Steve Smith vor allen Dingen als musikalischen Partner von Michael Shipway bei 'VoLt'. Steve hat auch noch in vielen anderen Projekten mitgespielt und dabei seine Spuren hinterlassen. Im letzten Jahr hat er sich leider in die viel zu lange Liste der Musiker eingereiht, die nicht mehr unter uns sind, und an dieser Stelle soll noch einmal an Steve und sein Wirken erinnert werden. 2013 spielte er mit 'The Tylas Cyndrome' auf E-Live, seinerzeit noch in in Oirschot. Auch an diesen Ort weckt das bei mir angenehme Erinnerungen, als wir Bilder von der Anreise aus England sehen: Über den Kanal und holländische Autobahnen, bis der Kreisverkehr und 'De Enck' in Sicht kommen. Steve fehlt in der Szene, wie auch die vielen Anderen, die 2022 hoffentlich nur ihre kosmische Adresse gewechselt haben. Ob man so etwas glauben mag oder nicht: Steve bleibt auf seine Weise lebendig, nämlich in unser aller Erinnerungen.

Aber auch Steve hätte gewollt, dass es ohne seine Person weiter geht und die Szene aktiv bleibt. In diesem Sinne darf Dave jetzt eine Person ankündigen, die ein echter Aktivposten ist: Jez Creek kreiert nicht nur als Musiker Klänge unterschiedlichster Richtungen, er veranstaltet mit 'Church of Sound' eine eigene Event-Reihe, ist online sehr präsent und als Mit-Musiker häufig gefragt.  In der folgenden Stunde wird er aber ganz alleine unter seinem Projekt-Namen 'Modulator ESP' spielen. Dave verspricht ein Set, das 'totally improvised' ist - ist es das bei 'Modulator ESP' nicht immer?

Wie zu erwarten, geht es mit den Sounds erst einmal ganz weit hinaus - das Klangbild ist spacig, und die einzelnen Elemente müssen sich erst einmal finden, so wie es beim Weltall ganz zu Anfang auch gewesen sei soll. Sequenzen und Strukturen harmonieren dabei mit den Visuals, und Jez wirft ab und zu selber einen Blick darauf, so als wollte er sich versichern, dass er noch auf dem richtigen Pfad ist. Der führt uns mal zu ruhigeren, mal zu flotteren Klängen, aber immer ist die pulsierende Sequenz im Hintergrund dabei. Überlagert werden die Visuals von bunten Figuren, die der Show-Laser erzeugt, und die Peter Challoner quasi 'in Vertretung' von Jez live mixt.

Man könnte bei so einem durchgehenden Titel am frühen Abend leicht ins Träumen geraten und wegdösen, gerade wenn das Abendessen gut und reichlich war. Gut dass es am 'Service-Punkt' auch Kaffee gibt, so erlebe ich eine Stunde lang, wie Jez immer etwas bisher noch nicht Gespieltes einfällt, bis er nach der gegebenen Zeit eine Ausstieg findet. Jez hat ja schon viele Male auf 'Awakenings' gespielt, aber seine Auftritte sind immer wieder sehen- und hörenswert. Großer Applaus und wer mehr hören möchte, wird am CD-Stand fündig. Von Jez kann man sich auch beraten lassen, welche Alben dem eigenen Geschmack am nächsten kommen.

Die folgende Pause währt mit 30 Minuten ein wenig länger als die vom Nachmittag, so haben Peter (und Hans) noch Gelegenheit für ein paar letzte Arbeiten und den Soundcheck. Peter ist bereits jetzt 'im Tunnel' und macht einen sehr konzentrierten Eindruck. Von früheren Konzerten weiß ich, wie ernst er seine Live-Auftritte nimmt und wie viel an Vorbereitung er in sie investiert. Und sie sind immer gut gelaufen, egal wie viele Sorgen er sich vielleicht im Vorfeld gemacht hat.

Auch Peter steigt spacig ein, piepsende Töne erinnern an den ersten Sputnik-Satelliten. Mich erinnert das auch an Peters Auftritt auf dem Schallwende-Grillfest. Dort hatte er ebenfalls so einen 'Rahmen' verwendet, um seine Titel und Ideen in einem gemeinsamen Kontext einzubetten. Peter ist, was seinen Musikstil angeht, nämlich alles andere als festgelegt: Wir hören in der Folge sowohl entfernte Sequenzen a la 'Phaedra', als auch neuzeitlichere Yamaha-Sounds, wie sie Vangelis oft verwendet hat. Was neu ist: Peter verwendet auch seine eigene, verfremdete Stimme als Instrument.

Im Vergleich zum Konzert in Ahlen hat er diesen Ansatz, ein Konzert zu gestalten, noch einmal ein gutes Stück verfeinert und weiter entwickelt: Die Übergänge sind immer fließend und kontinuierlich, und keiner der Blöcke wirkt in den 'Gesamtbild' wie ein Fremdkörper. Auch Peter selber scheint sich in der Lea Hall sehr wohl zu fühlen: die ganze Zeit ist er voll konzentriert, souverän, und beherrscht seinen Aufbau. Dabei gelingt es ihm auch, punktgenau zum Ende seines Sets in der 'elektronischen Neuzeit', eben wieder im hier und jetzt zu landen.

War diese elektronisch-musikalische Reise von Planet zu Planet schon recht ausgedehnt, so wird auch Peter an diesem Abend nicht ohne Zugabe von der Bühne gelassen. In der holt Peter dann noch einmal 'something completely different' hervor: Ein Gitarren-Solo versetzt uns nach Spanien oder noch südlichere Gefilde. Darauf steigt eine Sequenz ein, die den Schlusstitel des Abend zu einem wilden Ritt durch andalusische Landschaften werden lässt. Einmal mehr zeigt Peter, wie vielseitig er ist und wie viele Einflüsse er über die Jahre aufgenommen hat.

Dann ist es natürlich an Dave, die Emotionen wieder ein wenig herunter zu fahren und die passenden Worte zur Verabschiedung zu finden: Nochmals ein großer Dank an Musiker und Besucher, die trotz des widrigen Wetters dieses Mal ihren Weg nach Rugeley gefunden haben! Das von allen Künstlern signierte Poster wird übrigens für 30 Pfund seinen Besitzer wechseln. Der Erlös wandert mit in den Topf, aus dem deren Auslagen bezahlt werden. Und ein kleiner Ausblick auf das vierte und letzte  Awakenings' des Jahres im November: Dafür sind Ian Boddy und Dave Bessell als einziger Act angekündigt. Die Nachfrage nach nicht-virtuellen Tickets ist  dementsprechend hoch, und wenn dieser Bericht erscheint, dürfte man am November-Awakenings nur noch virtuell teilnehmen können.

Wer nach diesem Bericht jetzt doch einmal den Weg nach Rugeley wagen will: Das Wetter muss ja nicht immer so nass sein, und wenn man nicht alleine anreist, macht der Trip noch einmal so viel Spaß und fühlt sich gar nicht so lang an.  'Awakenings' wird in 2024 mit Sicherheit eine Fortsetzung finden.

Alfred Arnold

 

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.