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Heimgekehrt - E-Live 2024 in 'De Stolendans'

Manche Orte haben sich so tief in die Gedächtnisse eingegraben, dass ihr Name auch nach der Schließung nicht wieder so schnell wieder daraus verschwindet: "E-Live 2024 im 'De Stolendans' (ehemals 'De Enck')" war eine gängige Formulierung, mit der die diesjährige Ausgabe des traditionellen Herbst-Events angekündigt wurde. Bisweilen wurde der neue Name auch noch ganz unterschlagen, aber das störte nicht weiter. Denn das wichtigste ist, dass E-Live an diesen traditionsreichen Ort in Oirschot zurück gekehrt ist.

Dass man hier wieder EM-Konzerte veranstalten kann, konnte man schon im Vormonat feststellen, als Johannes Schmoelling mit S.A.W. in Oirschot aufspielte. Wer nur einmal im Herbst in die Niederlande fahren wollte und sich für E-Live entschieden hat, darf jetzt im Oktober herausfinden, was gleich geblieben ist und was sich geändert hat.

E-Live 2024

Just diese leichte 'Häufung' von Events im Herbst ließ aber auch Zweifel daran aufkommen, wie gut E-Live am alten und neuen Spielort besucht sein würde. Die sind Groove-Chef Ron durchaus zu Ohren gekommen, und er hat darauf reagiert: Zum Beispiel wurde ein kostenloser Shuttle-Dienst von Best nach Oirschot für die angeboten, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen.

Es war also im Vorfeld alles getan worden, um E-Live auch 2024 wieder zu dem großen Konzert- und Begegnungsevent zu machen, das es seit Jahren ist. Und in der Tat: Als wir eine gute Stunde vor Beginn des ersten Konzerts das Foyer von 'De Stolendans' betreten, ist es bereits gut belebt. Wer im September nicht hier war, bemerkt jetzt als markanteste Änderung die neue Theke: Sie ist deutlich weiter in den Raum herein gerückt, so dass an drei Seiten die Möglichkeit besteht, Gäste gleichzeitig zu bedienen.  Wer noch Plastikmünzen aus 'De Enck'-Zeiten hatte und mitgenommen hat, wird leider enttäuscht: Zusammen mit dem Namenswechsel hat es auch eine 'Währungsreform' gegeben. Die neuen Wertmünzen werden direkt neben der Theke ausgegeben - Kartenzahlung bevorzugt.

Zusammen mit der neuen Theke ist der restliche Foyer-Bereich neu strukturiert worden. Es gibt weiterhin normale Tische und Stehtische, aber zusätzlich auch ein paar bequeme Sessel und ein paar Eckchen, in die man sich für einen etwas 'privateren Schnack' zurück ziehen kann. In dieser neu gestalteten Umgebung musste Ron Boots natürlich irgendwie die - wieder zahlreichen - CD-Stände unterbringen. Für den großen Groove-Stand ist direkt neben der Anmeldung noch Platz gewesen. Neben dem obligatorischen Bändchen darf man sich auch noch eine kostenlose CD als Begrüssungsgeschenk freuen. Für die weiteren, kleineren CD-Stände wurde der Bereich neben der Garderobe frei gemacht. Dicht gedrängt finden sich hier die Stände anderer Labels und der heute auftretenden Künstler.  Für das Manikin-Label halten heute zum Beispiel Detlef Keller und Bas Broekhuis die Fahne hoch. Lambert betreut den Stand seines Spheric-Labels persönlich, ebenso wie Remy das für Deserted Island Music tut. Aber ein Label-Chef muss auf so einem Event auch Kontakte pflegen, und so ist Peter Dekker dabei, um ihn zu unterstützen.

Für Stefan Erbe und seinen Stand war an dieser Stelle kein Platz mehr frei, und so hat er sich am Durchgang zur Garderobe eingerichtet. Von der CD-Version der 'Retrologica', inklusive selbst produziertem Case, sind noch ein paar Exemplare verfügbar. Das Highlight des Tages ist aber sicher die BlueRay-Version der 'Genesys 2023'. Lange hat Stefan sich bitten und uns darauf warten lassen, aber jetzt kann man die Visuals, die vor anderthalb Jahren zum ersten Mal in Bochum zu sehen waren, noch einmal im heimischen Kino genießen - oder zum ersten Mal erleben, wenn man 'Genesys 2023' bisher noch nicht live gesehen hat.

Nicht nur bei den CD-Ständen ist das heutige Motto 'Klotzen und nicht Kleckern'.  Für den großen Saal sind heute fünf und nicht vier Konzerte angesagt, und es wird auch wieder einen Pausen-Act im kleineren Saal im ersten Stock geben. Letzterer ist kein anderer als Ricardo Verschuut alias 'Tectonia', der unlängst auf dem Dutch Masters in Best eine ganze Menge neuer Fans gewonnen hat. Im Unterschied zu früher wird sein erstes Set aber nicht vor dem ersten, sondern nach dem zweiten Konzert steigen. Einstweilen kommt Ricardo zufrieden und entspannt die Treppe herunter. Einen kurzen Blick auf sein modulares Setup zu werfen, ist natürlich gestattet - aber bitte nur schauen und nichts anfassen...

Allzu lange sollte man das aber nicht tun, denn im Erdgeschoss bildet sich bereits die Schlange vor dem Eingang zum grossen Saal. Der Einlass läuft geordnet und ohne Gedränge ab, und kurz darauf kann Ron Boots vor einer dicht mit Instrumenten gefüllten Bühne seine Begrüssungs-Rede halten. Die fällt - wie üblich vor dem ersten Konzert - etwas länger aus. Das liegt auch daran, dass mehr als die üblichen 'Regeln' bezüglich der Parkgarage zu verkünden ist. Zum einen wäre da eine Restaurant-Empfehlung für die große Pause, zum anderen - und das ist der Knüller des Tages - ist es ihm gelungen, kurz vor Weihnachten noch einmal Tangerine Dream hierher nach Oirschot zu holen. In ihrem aktuellen Lineup werden Thorsten, Hoshiko und Paul im Rahmen der '50 Jahre Phaedra'-Tour spielen. Das ideale Weihnachtsgeschenk? Man gehe nachher einfach zum Groove-Stand, Monique wird heute schon Vorbestellungen entgegen nehmen. In den kommenden Tagen wird dann auch eine reguläre Bestellung über die Groove-Webseite
möglich sein.

Nun aber endlich zum ersten Act des Tages: Hinter 'AE van Elst Projects' stehen die Brüder Arjan und Eelco van Elst. Die gehen zwar schon das eine oder andere Jahrzehnt gemeinsam durchs Leben, und haben ihre gemeinsame Liebe zu den Klassikern der EM wie Jean-Michel Jarre, Kraftwerk und Vangelis gepflegt. Ihr erstes gemeinsames Album haben die beiden aber gerade erst im letzten Jahr veröffentlicht. Nun, es ist nie zu spät, das richtige zu tun, und Ron hat das Ergebnis so gut gefallen, dass sie den heutigen Tag eröffnen dürfen. Rons Frage an die beiden ist nur ein schlichtes 'Ready?' Aber ja doch, der erste Trip des Tages kann beginnen...

...und der geht in die 80er-Jahre zurück, mit flotten Sequenzen, Melodien und eher kurzen Titeln. Der große Vorteil, dass hier zwei Brüder auf der Bühne stehen: Vier Hände können mehr Spuren live spielen als zwei, und die beschränken sich nicht darauf, den Sound der grossen Vorbilder einfach zu reproduzieren. Die kurzen Titel gestatten es, öfter mal die Stimmung zu wechseln, und so kommt Titel Nummer zwei etwas dunkler als der Opener daher. Passend dazu wechselt auch das Licht, und wir haben etwas mehr Gelegenheit, nachzuspüren, wo die Sounds des französischen Vorbilds durchklingen.  Die Zitate sind gelungen, wie der Zwischenapplaus beweist, und jetzt darf der Stimmungswechsel ein wenig größer ausfallen. Dunkelrotes Licht untermalt loungige und improvisierte Passagen, auch Jazz hat seine Spuren im Sound der Brüder  hinterlassen. Das kann auch mal bis ins Experimentelle hinein reichen, wenn die Nadel des virtuellen Plattenspielers fest zuhängen scheint.

Mit solchen Ausflügen wollen Arjan und Eelco uns aber auch nicht zu lange heraus fordern.  Mit sanftem Rauschen tauchen wir ins Meer ab, um uns gleich darauf in die Weiten des Weltraums zu schwingen. Eine verträumte Melodie geleitet und sanft wieder zur Erde zurück, wo uns auch schon das Finale erwartet. Die beiden Brüder, obgleich Newcomer auf der Bühne, haben ihr Set flüssig und ohne Hänger gespielt, und einem dem Tag würdigen Opener abgeliefert. Ron kommt zum Abschluss nicht noch einmal nach vorne; von ihm schallt nur ein knappes 'Pause!' aus den Lautsprechern.

Die erste Pause nutzen wir, um uns gleich zum Groove-Stand und zu Monique zu begeben.  Erfahrungen aus früheren Jahren legen nahe, dass die Karten für das TD-Konzert Im Dezember reißenden Absatz finden werden. Offiziell soll der Verkauf erst am kommenden Dienstag beginnen, aber man kann heute gegen Vorkasse bereits reservieren. Eine handschriftliche Quittung gibt es sofort, die offizielle Bestätigungs-Mail dann in wenigen Tagen.

Ein wenig Zeit nimmt diese händische Reservierung schon in Anspruch, und so ist es gleich wieder an der Zeit, sich anzustellen, nachdem die Quittung verstaut ist.  Gefühlt ist das Foyer noch deutlich voller als vor dem ersten Konzert. Auch wenn Ron den Saal dieses Mal nicht ausverkaufen konnte - er wird kein Minus gemacht haben. Dass das auch funktioniert, wenn kein 'ganz großer Name' dabei ist, ist neben der Atmosphäre der Begegnung auch sicher seinem guten Händchen bei der Auswahl der Acts zu verdanken - bekannte Namen gemischt mit solchen, die einem Großteil der Zuhörer bisher noch nicht so geläufig sein dürften. Peter Challoner dürfte eher zur zweiten Kategorie gehören, es sei denn, man reist öfters zu Konzerten über den Ärmelkanal. Peter ist einer der Väter des Diode-Festivals, das in diesen Sommer zum ersten Mal in Nottingham stattgefunden hat. Ron hat nicht nur bei der Organisation mit geholfen - man konnte Thorsten Quaeschning als Haupt-Act verpflichten - er hat auch selber in Nottingham gespielt. Nun revanchiert sich Peter mit einem Auftritt in Oirschot.

Peter hatte ich einmal schon in Rugeley gesehen und gehört, und dabei seinen ganz eigenen Stil kennen gelernt, der Ambient und Berliner Schule vereint. Und genau so steigt Peter in sein Set ein, eine 45-minütige Traumreise mit Sequenzen und Rhythmen: Keine Brüche, keine abrupten Wechsel, stattdessen werden die Rhythmen ganz langsam dominanter und bestimmender.  Ich muss nur aufpassen, dabei nicht gänzlich wegzudösen und meine dokumentarischen Pflichten als Fotograf zu vernachlässigen. Sind die Rhythmen heute noch ein gute Stück fetter, und war das so geplant? Egal, der Weg stimmt, und führt Peter und uns immer tiefer in den Tunnel.  Das ist ein absoluter Kontrast zu dem ersten Konzert, wo auch mal hart die Stimmung gewechselt wurde. Peter Challoner ist einer der Musiker, die ihr Konzert in einem Flow durch spielen, so wie es zum Beispiel auch Martin Stürtzer in seinen Ambient/Berlin School Sets macht. Und wenn der Flow zu Ende ist, dann ist er es auch - eine dazu passende Zugabe würde wie ein
fünftes Rad am Wagen wirken.

Peter wählt als 'Aussteiger' daher den Weg, den er bereits früher gegangen ist. Das bisher ungenutzte Keyboard an der Seite wird für ein getragenes Piano-Solo genutzt. Das setzt zwar den erforderlichen Kontrapunkt, reißt uns aber auch nicht allzu abrupt aus den Tunnel heraus. Wer in den noch einmal eintauchen möchte, findet direkt neben Stefan Erbes Stand das passende Material dafür.

Der eingangs erwähnte Zeitplan ermahnt uns aber auch dazu, die Treppe in den ersten Stock zu nehmen. Dass der Zugang zum kleinen Saal jetzt auch offiziell freigegeben ist, mag man daran ermessen, dass die Spielecke am Fuß der Treppe beiseite geräumt wurde. Oben angekommen, erwartet uns bereits Ricardo. Einen Moment wartet er noch ab, bis auch die Nachzügler einen Platz gefunden haben. Dann erst einmal etwas Werbung in eigener Sache: Tectonias neues Album 'Stardust' ist heute erschienen und kann auch hier in physischer Form erworben werden. Wer aber erst einmal hören möchte, was auf diesem Album zu erwarten ist: Auch kein Problem, dafür spiele ich ja gleich ein Mini-Konzert. Ein paar Worte zu seinem modularen System: Dies besteht zwar aus vielen einzelnen Modulen, von denen die meisten selbst gebaut sind. Durch ihre Verschaltung miteinander wird daraus aber ein einziges Instrument - auch wenn es physisch auf mehrere Gehäuse verteilt ist.

Nach wenigen Minuten formt sich bei mir ein noch differenzierteres Bild von diesem System: So wie unser Hirn zwei Hälften hat, die unterschiedliche Funktions-Schwerpunkte haben, so hat auch jedes der Racks seine Funktion im Gesamtkonzept. Ricardo steigt eher meditativ mit Flächen und Glocken-Sounds ein, und nutzt dabei fast ausschließlich das von ihm aus gesehenen linken Rack. Erst nach etwa zehn Minuten kommen Rhythmen dazu, die vom rechten Rack zu kommen scheinen. Und als er im zweiten Track anfängt zu variieren, benutzt Ricardo die Teile in der Mitte des Aufbaus - hier findet quasi die Synthese der beiden Teile statt. Ist es ein weit hergeholter Vergleich, so ein Modularsystem mit dem Gehirn und seinen Verschaltungen zu vergleichen? Natürlich ist letzteres ungleich komplexer, aber man hat schon den Eindruck, dass unter Ricardos Händen die Maschine zum Leben erweckt wird. Der Sound wird dabei immer fülliger, und es stecken so viele Details darin, dass man sie gar nicht alle beim ersten Mal erfassen kann. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn 'Tectonia' wird am heutigen Abend noch ein weiteres Mal performen. Einstweilen ist es nach 20 Minuten virtuoser Sequenzen an der Zeit, sich wieder nach unten zu begeben. Wie sich vom oberen Ende der Treppe besonders gut erkennen lässt, hat sich in der Zwischenzeit schon wieder eine Schlange an der Tür zum grossen Saal gebildet.

Nach Musikern aus den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich gehört die Bühne jetzt einem Künstler aus Belgien, und Frank van Bogaert ist alles andere als ein Newcomer. Dass ich persönlich ihn heute zum ersten Mal live sehe, ist einfach der Tatsache geschuldet, dass er in den letzten 15 Jahren im Bereich der EM eher nicht in Erscheinung getreten ist. Das soll aber nicht bedeuten, dass Frank in dieser Zeit untätig war! Als Teil von 'Fish on Friday' war er in den letzten Jahren in der Progressive-Rock-Szene unterwegs, und das durchaus mit Erfolg und Anerkennung. Den dafür eingeheimsten Preis bekommt er heute vor Publikum überreicht, und zwar aus der Hand von Paul Rijkens, der beim ProgRock-Magazin 'iO Pages' aktiv ist.

Im heutigen Konzert soll es aber nicht um Progressive Rock, sondern um EM gehen, und zu der hat Frank nach 15 Jahren mit seinem Album 'Sounds From Higher Grounds' wieder etwas beigetragen. Die Titel von diesem Album werden uns natürlich durch das Konzert begleiten. Gleich der erste Track ist auch der Einsteiger des Albums: 'Green Valley' kommt rhythmisch daher, begleitet von den Visuals, die auch dessen Cover zieren. Es könnte eine aus einem Fantasy-Film entsprungene Szene sein, und die Musik der dazu passende Soundtrack. Dem schließt sich der Titel-Track des Albums an.

Aber Frank spielt in diesem Konzert nicht nur Titel vom aktuellen Album. Zwischendurch ist auch immer einmal etwas für die 'alten Fans' dabei, die sich an Franks Klassiker erinnern können. Und auch Frank macht die Zeitreise sichtlich Spaß: Er geht den Rhythmus mit, der mit seinen 80er-Jahre TD-Sounds bei mir Erinnerungen an 'Choronzon' weckt.

Vor jedem Titel nimmt Frank sich auch die Zeit, ein paar erklärende Worte ans Publikum zu richten. Das schließt auch die etwas getrageneren Titel wie 'Acceptance' und 'Cold Steel' ein. Letzterer ist als eine Art Requiem für die Musiker gedacht, die in den letzten Jahren verstorben sind. Ob das die Stimmung in dem ansonsten von guter Laune und aufstrebenden Klängen getragenen Konzert herunter zieht? Nein, es sind eher die Momente zum Einhalten, bevor man sich mit 'Deserts' - einem von Franks bekanntesten Titeln - wieder in höchste Höhen schwingt. Frank fühlt sich nach all den Jahren der EM-Abstinenz sichtbar wohl auf der Bühne, und das hat sicher nicht nur mit dem Teppich zu tun, auf dem seine Keyboard-Burg steht. Weil die ein ums andere Mal die Sicht auf sein Spiel verdeckt, hat er sich technische Unterstützung bei Stefan Erbe geholt.  Stefan hat Erfahrung damit, mittels Kamera und Video-Software Perspektiven auf die Leinwand zu bringen, die von den Zuschauerplätzen aus nicht einsehbar sind. Und das funktioniert auch hier und heute ganz wunderbar.

Gibt es eine Seite an Frank, die heute noch nicht angeklungen ist? Ja, die Anflüge von Weltmusik, die auch auf dem neuen Album wieder zu finden sind. Auch die finden ihren Platz in dem bisher längsten Konzert des Tages, bis es ganz zum Schluss wieder ein wenig melancholisch wird.  Ryuichi Sakamoto gehört auch zu Franks Inspirationsquellen, und er durfte ihn vor vielen Jahren  auch einmal persönlich kennen lernen. Leider ist auch dieser große Japaner nicht mehr unter uns.  Aber seine Musik lebt als Vermächtnis weiter, und als Tribut interpretiert Frank zum Abschluss einen von Ryuichis bekanntesten Titeln, nämlich 'Merry Christmas, Mr. Lawrence'. Die beiden Köpfe nebeneinander auf der Leinwand, da will sich Frank sicher nicht auf eine Stufe mit dem grossen Meister aus Japan stellen. Aber er kann stolz sein auf das, was er in den letzten Jahren und heute erreicht hat, und entlässt uns alle mit einem wohligen Gefühl in die große Pause.

Auf der Bühne wird in der grossen Pause natürlich emsig gewerkelt und umgebaut werden, aber für einen grossen Teil der Besucher geht es jetzt in Richtung Stadt zum Abendessen. Die klassische Pizzeria gibt es immer noch, und Ron hatte auch noch die eine oder andere neue, empfehlenswerte Restauration genannt. Das Foyer leert sich also merklich, aber es ist noch genug los, dass wir den kleinen Hunger mit den hier angebotenen Snacks stillen. Ein Burger und eine Tüte Fritten sind für die gleichen Wertmünzen zu haben, wie auch die Getränke an der Theke.

Die Gespräche dürfen währenddessen weiter gehen, und nach einer knappen Stunde werden auch die Gesprächspartner wieder mehr - die Gastronomie in Oirschot arbeitet flott und ist auf solche Kundschaft eingerichtet. Gerüchteweise soll der Betreiber einer nahe gelegenen Pizzeria sehr traurig gewesen sein, als 'De Enck' die Pforten schließen musste. Um so mehr dürfte ihn gefreut haben, dass die 'guten alten Zeiten' wenigstens in dieser Hinsicht zurück gekehrt sind. Und zu den Traditionen in Oirschot gehört auch eine Anmerkung von Ron, als er uns zum vierten Konzert im Saal wieder begrüßen darf: Es stehen noch zwei Autos in der Tiefgarage! Wenn deren Halter sie nicht jetzt umparken, dann bleiben sie dort auch fürs erste. Dafür ist auch ein wenig mehr Zeit als erwartet, denn Ron nimmt sich etwas Zeit, noch einmal an das TD-Konzert am 21. Dezember zu erinnern. Und dann wären da noch ein paar Besucher von der Insel, die mit ihrem verspäteten Auftauchen für eine unerwartete Einlage sorgen. Immerhin erspart Ron ihnen das übliche "You're late"...

...Haben jetzt alle ihren Platz gefunden? Dann lasst uns jetzt endlich zu Axess und Maxxess kommen.  Für Max Schiefele und Axel Stupplich hat dieses Konzert gleich eine doppelten Anlass. Zum einen wäre da natürlich das gerade frisch erschienene Album 'Sleep', aber die beiden haben auch noch ein Jubiläum zu feiern: Vor zwanzig Jahren hat man beschlossen, dass man etwas zusammen machen muss. Das ist eine lange Strecke, und weil sowohl Axel als auch Max sich dieser Zeit weiter entwickelt haben, hat sich auch der gemeinsame 'Output' verändert. Axel hat solo in den letzten Jahren die Ambient-Musik für sich entdeckt, und Max hat auf der gerade frisch erschienenen 'Waldgeist' gezeigt, dass er sein sonst so energisches und vorantreibendes Gitarrenspiel auch einmal zügeln kann. So kommt es gar nicht so unerwartet, dass auf der 'Sleep' auch viel Raum für leisere Töne ist.

Wir dürfen uns in der folgenden Stunde also einen abwechslungsreichen Streifzug durch zwei Jahrzehnte gemeinsamer Arbeit. Und der beginnt in der Gegenwart, mit der 'Sleep'. Ruhige, fast meditative Klänge vermitteln uns das Gefühl, dass man (hoffentlich) kurz vor dem Einschlafen hat. Die Gitarre von Max ist natürlich da und prägnant, aber sie dominiert nicht und lässt Raum für Atmosphäre. Dazu gehört auch der Herzschlag am Ende des Openers. In der Summe ist das keine 180-Grad-Abkehr von dem Stil früherer Alben, aber man hört deutlich den Einfluss ihrer neuere Solowerke heraus. Und zwei 'alte Hasen' haben sichtlich Spaß dabei, auch einmal etwas Neues auszutesten.

Als direkten Vergleich stellen Max und Axel gleich dahinter ein Stück von der 'Contact', ihrem allerersten Album. Der Unterschied ist signifikant, das ist elektronischer Rock mit Gitarre, der wieder wach macht und nicht zum Einschlafen taugt. Man spürt in jedem Moment, welche Energie Max in sein Spiel hineinzulegen vermag. Ob Schlaflosigkeit das Ergebnis ist? Gleich danach folgt mit 'Insomnia' ein Sprung zum aktuellen Album. Die vorantreibende Sequenz beschreibt die innere Unruhe, die man in so einem Zustand verspürt, und Max zeigt, dass er an den Tasten genauso souverän ist wie an den Saiten. Die beiden sind jetzt im Flow, und der wird auch nicht mehr nach jedem Titel mit einer Ansage unterbrochen. Die Stimmungswechsel sind immer wieder da, zum Beispiel mit einem feinen Gitarrensolo von der 'Contact', aber die Energie der Musik reißt uns die ganze Zeit mit. Da kommt das Ende eher spontan und ungelegen - es werden erste Rufe nach einer Zugabe laut. Die sind Max aber noch ein wenig zu zaghaft und er fordert  mit gehobenem Daumen nach mehr. Die Aufforderung wirkt und Ron muss akzeptieren, dass sein Zeitplan für den Abend ab hier nur noch begrenzte Gültigkeit hat. Für den 'Rausschmeisser' wird die Bühne noch einmal in ein schönes Nachtblau getaucht. Davon lassen sich Axel und Max aber nicht beirren und geben noch einmal so richtig Gas. Mit glücklichen und zufriedenen Gesichtern machen sie ihre zweite Verbeugung vor dem Publikum und nehmen Ron dabei in die Mitte.

Der hatte die ganze Zeit schon im Hintergrund gelauert, aber auch er ist von der Stimmung im Saal angefixt: Mit genauso lachender Mine bedankt der sich noch einmal bei Axess und Maxxess und bittet uns ein letztes Mal für diesen Abend, den Saal kurz zu verlassen. Die Zeit soll uns nicht lang werden, denn Ricardo wartet kleineren Saal bereits darauf, sein zweites Set zu spielen. Der Zuspruch ist nicht schlechter als am Nachmittag, und wir können vergleichen, wie sich bei improvisierter Musik auf modularen Systemen nie zweimal das gleiche entwickelt. Die Elemente und Sounds sind zwar die gleichen wie beim ersten Mal, aber Ricardo entwickelt die meditative Passage dieses Mal ein wenig länger aus. Gibt es von beiden Sets Mitschnitte? Ich würde gerne noch einmal nachhören und vergleichen.

Von der Länge her sind die beiden Sets aber ungefähr gleich, und länger dürfte das Set auch nicht werden, denn der Zeitplan ist wie erwähnt ja ein wenig aus den Fugen geraten. Und dabei muss man auch immer an diejenigen denken, die von den Fahrplänen von Bus und Bahn abhängig sind und das letzte Konzert - ja üblicherweise der Höhepunkt eines Festivals - nicht mehr ganz verfolgen können.

Bevor Ron auf den Höhepunkt des heutigen Tages eingeht, ist aber erst einmal ein Dank an das Team fällig, das all dies überhaupt erst möglich gemacht hat. Dazu gehört natürlich nicht nur das 'Groove-Team', sondern auch das Personal von 'De Stolendans'. Falls es mit der Bedienung an der Theke einmal nicht ganz so zügig gegangen sein sollte: Dies ist ein inklusiver Betrieb, der auch Menschen mit Behinderungen integriert. Solche Einrichtungen sind wichtig und richtig!

Eine zweite Sache noch: Man darf heute das 25-jährige Jubiläum von E-Live feiern. Ganz so lange bin ich selber zwar noch nicht regelmäßiger Besucher, aber auch für mich schließt sich heute in gewisser Weise der Kreis: Als ich vor einem guten Jahrzehnt zum ersten Mal nach Oirschot kam, war David Wright mit Callisto der Haupt-Act, und auch heute wird er das Abschlusskonzert bestreiten, als 'David Wright and Friends'. Zu den guten Freunden gehört natürlich seit vielen Jahren Carys, die die Titel mit ihren Vocals bereichert. Auch Stephan Whitlan hat schon oft mit David zusammen gespielt. Für das heutige Set, das quer durch Davids Projekte gehen wird, fehlte aber noch ein Gitarrist - die eigentlich dafür eingeplante Person ist leider kurzfristig ausgefallen. Aber da gibt es ja in Dinslaken einen wohl bekannten Gitarristen, der zuletzt beim Dutch Masters seine Qualitäten als 'Helfer in der Not' bewiesen hat. Und so wird das britische Trio um David heute von Frank Dorittke komplettiert.

Wir steigen in den Abend mit 'Enchantress' ein: Warme, melodische Klänge umschmeicheln unsere Ohren, und sowohl Carys als auch Stephan leisten ihren Beitrag am Keyboard. Was etwas schade ist: Von Stephan sieht man zu diesem Zeitpunkt noch nicht so viel, er agiert an seinem Setup ganz hinten links auf der Bühne, während Frank vor ihm bereits mächtig in die Saiten greift.  Weiter geht es mit zu 'Callisto', das David und Stephan aktuell zu zweit betreiben, und man kann sehen, wie sie sich gegenseitig zu Höchstleistungen motivieren.

Von Callisto geht es weiter zu 'Oracle', dem aktuellen Album von David und Carys, und hier hat Carys zum ersten Mal den Raum, ihre Vocals auch im Vordergrund zu präsentieren. Für den 'EM-Orthodoxen' ist das vielleicht etwas ungewohnt, aber David war schon immer dafür bekannt, seine Form der EM in Richtung Rock und Pop auszudehnen. Direkt danach darf man dafür wieder etwas entspannen, wenn die Musiker und wir uns Südseeträumen hingeben. Die Visuals unterstreichen das sehr schön: Träume machen eine Tür in eine andere Welt auf.

Als sich diese Tür wieder geschlossen hat, ist es an der Zeit, an jemanden zu erinnern, der hier leider aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mit spielen kann: Robert Fox ist seit einer Weile live nicht mehr aktiv, aber seine Musik ist immer noch präsent. 'Call of the Earth' ist ihm gewidmet. Sowohl David als auch Stephan hält es mittlerweile nicht mehr auf ihren Plätzen, sie haben jeder eine Keytar mitgebracht. David liefert sich mit Frank sogar einen kleinen Wettstreit.

Der Streifzug ist durch Davids Klangwelten und Projekte ist so kurzweilig, dass man kaum bemerkt, wie dabei die Zeit vergeht. Eine Zugabe muss aber noch drin sein? Bei 'Old Hat' kommen mir Erinnerungen an 'Hallo Gallo' - keineswegs ein alter Hut, sondern genauso frisch und warm wie all das andere, was wir in den vergangenen knapp anderthalb Stunden gehört haben. Ein großer Dank geht bei der abschließenden Verbeugung natürlich an Frank Dorittke, der diesen spontanen Einsatz so souverän gemeistert hat wie  sonst auch.

Der allergrößte Dank geht natürlich an die Person, die zum Abschluss dieses E-Live die Worte spricht: Ron Boots ist nach Oirschot zurück gekehrt, und hat mit dem Schmoelling-Konzert im letzten Monat und dem heutigen E-Live bewiesen, dass 'De Stolendans', das sicher noch eine ganze Weile noch als 'De Enck' angesprochen werden wird, wieder einer der Eckpfeiler in der EM-Szene sein wird. Biss zum nächsten Mal hier ist es ja gar nicht mehr so lange hin: Der 21. Dezember ist bereits in zwei Monaten, aus dem geplanten Neujahrs- ist ein Weihnachts-Konzert geworden. So verweisen die abschließenden Worte ausnahmsweise noch nicht auf das kommende Jahr. Die Termine für E-Day und E-Live in 2025 stehen natürlich bereits fest, alle Energie wird Ron aber jetzt erst einmal auf das Tangerine Dream-Konzert vor den Feiertagen richten.  In diesem Sinne: Freuen wir uns auf die nächsten Events in Oirschot!

Alfred Arnold

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.