Die Konzerte mit Pyramid Peak in der Iserlohner Dechenhöhle haben eine lange Tradition. Nur einmal durch Corona unterbrochen, hat Axel Stupplich alle zwei Jahre die neuesten Werke seiner Projekte in der einmaligen Atmosphäre inmitten von Tropfsteinen präsentiert, und lädt sich seit einigen Jahren noch einen musikalischen Gast dazu ein.
Zuletzt war das im Oktober 2023 der Fall, und so war es eine kleine Überraschung, dass die Ankündigung einer Neuauflage bereits im Frühsommer dieses Jahres erfolgte. Aber die Resonanz im letzten Jahr war wohl sehr gut, und so entschieden Axel und Stefan Niggemann, Betriebsleiter der Dechenhöhle, sich dafür, nicht wieder zwei Jahre verstreichen zu lassen. Und dieses Mal konnte Axel niemand anderen als 'Mr Bombastic' Ron Boots als Gast gewinnen. Ein Ron kommt selten alleine, und so wurde daraus das bewährte deutsch/niederländische Trio mit Frank Dorittke und Harold van der Heijden. Man durfte also erwarten, dass die Tropfsteine an diesem Abend gut in Schwingung versetzt werden.
Und in der Tat, die Rechnung ging auf: Etwa zwei Wochen vor dem Termin konnten Axel, Stefan und Ron stolz ein 'ausverkauft' verkünden - bei den etwa 140 Stühlen, für die in der Kanzelgrotte Platz ist, ein durchaus beachtliches Ergebnis. Wer sich also kurz entschlossen an diesem Samstag ohne Ticket auf den Weg nach Iserlohn gemacht hatte, musste auf kurzfristig verhinderte Gäste spekulieren.
Mein Ticket hing schon seit einigen Monaten an dem schwarzen Brett in der Küche, wo bei mir auch alle anderen Termine landen. Zusammen mit frisch aufgeladenen Kameras und passender Kleidung konnte ich mich also entspannt auf den Weg machen. In der Höhle herrschen konstant 10 Grad und 100 Prozent Luftfeuchte. Es ist hier also nicht nur erlaubt, sondern auch angeraten, die warme Jacke anzubehalten, die draußen vor spätherbstlichen Temperaturen schützt. Ein paar passende, gefütterte und wasserdichte Wanderstiefel kamen bei mir auch noch als 'Ausrüstung' hinzu.
Die bleiben aber für den Moment noch im Kofferraum. Denn bis zur Vorstellung sind es noch knapp zwei Stunden, als ich auf den Parkplatz einbiege, und es ist noch Zeit für ein vorgezogenes Abendessen. Ein kleiner Weg führt wieder herunter zur Hauptstraße und zu einem Imbiss - schon von außen ist durch die Fenster zu sehen, dass andere die gleiche Idee hatten. Ist hier am Tisch noch ein Plätzchen frei? Ja natürlich! Und so genieße ich den großen Gyros-Teller zusammen mit der einen Hälfte des Teams vom Electronic Circus.
Der kürzeste Tag des Jahres ist nur noch einen guten Monat entfernt, und so ist es bereits stockdunkel, als wir den gleichen Weg zum Höhlenmuseum zurück gehen. Der CD-Stand mit den neuesten Releases von Groove und Axel hat dieses Mal direkt neben dem Eingang seinen Platz gefunden. Monique hat dadurch einige besonders schöne und glitzernde Ausstellungs-Stücke im Rücken. Käuflich zu erwerben sind die wohl nicht, und wären als Schmuck wohl auch etwas unhandlich. Etwas aus dem Museums-Shop für eine grünhäutige Dame, de zu Hausesitzt, muss aber sein. Gegenüber dem letzten Jahr ist das Angebot deutlich erweitert worden, da hat man die Qual der Wahl. Amethysten hat Fiona bereits, und die Wahl fällt auf ein Ammoniten-Fossil.
Auch immer einen Rundgang wert: Das Höhlenmuseum. Hier erfährt man nicht nur Wissenswertes über die Entstehung von Höhlen, sondern auch deren Erforschung, und wie sich die Dechenhöhle über die Jahre zu einem Publikumsmagneten entwickelt hat. Die regelmäßigen Konzerte - natürlich nicht nur mit elektronischer Musik - tragen dazu bei.
Vom Höhlenmuseum führt normalerweise eine kleine Treppe zum rückseitigen Ausgang und zu dem Weg, der zum Höhleneingang verläuft. Eine defekte Tür sorgt dieses Mal dafür, dass wir dorthin einen kleinen Umweg über den Haupteingang nehmen müssen, vorbei an der Bahnstation. Der Weg selber ist aber noch nicht freigegeben: In der Höhle laufen noch letzte Vorbereitungen, die die Musiker natürlich gerne in Ruhe abschließen möchten. Die sind an diesem Spielort aufwendiger als anderswo, alleine schon weil man nicht einfach mit dem Wagen am Hintereingang eines Saals vorfahren kann - alles Equipment muss per Handkarren über den selben Weg in die Höhle geschafft werden, und nach dem Konzert natürlich auch wieder hinaus.
Im großen Schaukasten hängen übrigens nicht nur Hinweise auf aktuelle Veranstaltungen, sondern auch Plakate früherer Höhlenkonzerte mit Pyramid Peak. Das älteste stammt von 2015, aber die Tradition reicht noch weiter zurück. Und sie wird jetzt fortgesetzt: Das Gitter wird geöffnet, die Karten werden kontrolliert und wir dürfen uns auf den Weg in die Kanzelgrotte machen. Auf dem Weg dahin sind bereits einige beeindruckende Tropfstein-Formationen zu sehen. Eine genauere Betrachtung muss aber bis zur Pause warten, jetzt möchte ich erst einmal einen Platz ergattern, von dem sich gute Fotos machen lassen - war wäre ein Bericht hier auf EMpulsiv ohne die?
Ein Platz mit guter Aussicht konnte gesichert werden, und so steht dem Konzertgenuss nichts mehr im Wege. Das Vorwort gehört natürlich dem Gastgeber des heutigen Abends, Dr. Stefan Niggemann, seines Zeichens Betriebsleiter der Dechenhöhle. Der wichtigste Hinweis: Wir befinden uns hier in einem Naturdenkmal, also bitte nichts berühren und schon gar nichts beschädigen! Besonders aufpassen sollten diejenigen, die nahe den Wänden der Höhle sitzen. Eine Höhle hat natürlich keine senkrechten Wände, und so sollte man dort besonders aufpassen, keine Tropfsteine mit dem Kopf zu beschädigen - die 'heilen' nämlich viel langsamer als die mögliche Beule!
Dass diese Höhle nach wie vor 'lebt', kann man daran erkennen, dass einige der Instrumente auf der Bühne noch mit Plastikfolie abgedeckt sind. Kontinuierlich sickert Wasser durch das Gestein über uns, löst dabei Mineralien und tropft irgendwann von der Decke. Falls man einen Tropfen mal abbekommt, lohnt es sich, das Wasser bei der Gelegenheit zu probieren: Es hat seinen ganz eigenen, durchaus angenehmen Geschmack.
Jetzt aber zu der Musik, die wir heute hören werden: Bereits im letzten Jahr war Axel Stupplich solo als 'Pyramid Peak' aufgetreten, und auch das 2024er-Album 'Kontinuum' hat er alleine eingespielt. Heute ist aber auch der Release-Termin für 'Resurrection', das neue Album seines Solo-Projekts 'Axess'. Und unter diesem Namen wird er heute auch das erste Konzert des Abends präsentieren.
2024 war ein bewegtes Jahr für Axel, in dem der Tod seiner Frau sicherlich das einschneidenste Ereignis war. Aber auch das (zeitweilige?) Ende der Zusammenarbeit mit Andreas Morsch dürfte einiges in Axels Leben verändert haben. Auf der 'Haben-Seite' steht ein sehr gelungener Auftritt mit Max Schiefele in Oirschot. Und wie der Titel erahnen lässt, hat er sein neues Solo-Album dazu genutzt, den Verlust zu verarbeiten: Gibt es so etwas wie ein Leben nach dem Tod? Und wenn ja, in welcher Form leben Verstorbene weiter? Ohne Frage bestehen die Erinnerungen im Gedächtnis derer weiter, die noch da sind - so wie auch die an diesen Abend, der ohne Axel nicht möglich wäre.
Der Stimmung angemessen, steigt Axel sehr ruhig und ambient, beinahe getragen in das Set ein. Schwaches blaues Licht unterstreicht die fast schon ein wenig melancholische Stimmung und regt zum Nachdenken an. Aber auch wenn man das nicht will: das ist auch einfach eine schöne Auszeit von dem hektischen und verrückten Geschehen in der Welt außerhalb der Höhle. Behutsam dreht Axel das 'Stimmungthermometer' im zweiten Track ein paar Grade höher, und auch das Licht wechselt dazu ins Rote. Jetzt kommt auch der Laser zum Einsatz, der seinen grünen Fächer über Axels Kopf hinweg in die Grotte wirft. Irgendwelcher künstlicher Nebel, der die Strahlen besser sichtbar macht, ist an diesem Ort übrigens nicht nötig: In der mit Wasser gesättigten Luft bricht sich das Licht auch ohne dass man 'nachhelfen' müsste.
Mit Track Nummer drei nimmt die Musik Fahrt auf und wird rhythmischer. Das geht auch der Laser mit, und die Lichtspiele in der Höhle werden bunter und verspielter. Beliebig steigern möchte Axel das Tempo in diesem Teil aber nicht und kehrt zu sanftem Meeresrauschen zurück. Stattdessen beschließt er ihn mit einem schönen Piano-Solo. Das bildet gleichzeitig einen kleinen Höhe- und Wendepunkt - Zeit, zu neuen Ufern aufzubrechen! Dunkle Flächen leiten den neuen Part ein. Hier dürfen die Sounds auch gerne einmal etwas wuchtiger werden, und mit seiner Dramatik würde dieser Track auch als Filmmusik taugen. Gab es nicht einmal in den 80er Jahren eine Dokumentation über ein Team, das unter Stefan Niggemanns Vorgänger Elmar Hammerschmidt in die Attahöhle hinab stieg? Die war damals mit Musik von Tangerine Dream hinterlegt. Was wir hier gerade hören, bietet sich als Soundtrack für eine Neuauflage an.
Für den letzten Titel greift Axel noch einmal zum Mikrofon. 'Echoes' von Pyramid Peaks neuestem Album hatte 'Farewell' als Arbeitstitel. Hätte Axel gewusst, dass er seine Frau kurz vor der Veröffentlichung verlieren würde, wäre es sicher bei 'Farewell' geblieben. So ist 'Echoes' jetzt ihr gewidmet, und Axel nutzt die Gelegenheit, sich bei seiner Familie, bei Dr. Stefan Niggemann und dem vielen anderen Helfern zu bedanken.
Sagte Axel 'letzter Titel'? Nein, ohne eine Zugabe lassen wir ihn nicht von der Bühne, und natürlich hat er dafür noch etwas besonderes vorbereitet. Frank Dorittke, der eigentlich erst bei Ron mitmischen soll, darf jetzt schon einmal eine seiner Gitarren unter der Abdeckung hervor holen. Original hat Max Schiefele die Gitarre in diesem schon etwas älteren Titel von Pyramid Peak gespielt. Frank verleiht ihm heute mit seinem warmen Spiel eine ganz eigene Note, die vielleicht etwas besser zu dem passt, was Axel in diesem ersten Konzert vermitteln wollte. Es ist auf jeden Fall beim Publikum angekommen, wie der lang anhaltende Beifall bezeugt.
Das kann nach einer guten Stunde eine Pause genauso gut gebrauchen, wie die Musiker zum Umbau. Die Bühne in der Grotte ist naturgemäß nicht allzu groß, und damit dort neben Ron auch Frank und Harold für den zweiten Teil Platz finden, muss Axel seine Geräte flink abbauen. Aber es geht Gründlichkeit vor Hast, und so reicht die Pause bequem für einen kurzen Weg zurück ins Höhlenmuseum, falls dringende Geschäfte keinen Aufschub gestatten. Ich nutze die Pause, um ein paar gute Fotos der Tropfstein-Formationen aufzunehmen, die ich auf dem Weg zur Grotte gesehen habe. Natürlich sehe ich die nicht zum ersten Mal, und bei einem Wachstum von einem Millimeter pro Jahr haben sie sich gegenüber dem letzten Mal kaum merklich verändert. Aber es sind das Licht, und die Perspektiven, die jedes Mal neue Ansichten hervor zaubern.
Währenddessen kann man aus der Grotte schon erste Töne hören. Ron, Frank und Harold sind eben 'alte Hasen' und haben Routine beim Aufbau. Da Rons Keyboard-Burg bereits aufgebaut war, hat er natürlich einen kleinen Vorsprung und kann schon einmal testen, ob die Lautstärke so in Ordnung ist - als Musiker hört man die Lautsprecher ja 'von hinten' und kann das nur schwer beurteilen. Sie passt aber auf Anhieb, und so können Ron und Frank noch etwas stimmen, während Harold seine Drums aufbaut.
Als beides erledigt ist, ist die Grotte auch schon wieder voll besetzt - es hat genügend akustische 'Hinweise' gegeben, sich wieder zurück zum Platz zu begeben, so dass das niederländisch-deutsche Trio direkt loslegen kann. Um es gleich vorweg zu schicken: Das wird ein deutlicher Kontrast zum ersten Konzert. Ron steigt mit einer Sequenz ein, wie man sie von dem Klaus Schulze der 80er kennt, aber mit dem von ihm bekannten Drive. Und so dauert es auch nicht lange, bis Harold dazu kommt und die Post abgeht - hoffentlich sind die etwas zarteren Tropfsteine vorher gut befestigt worden...
Track Nummer zwei beginnt mit einer deutlich feineren Sequenz, und lässt Frank mehr Raum für sein Gitarrenspiel. Das erinnert an Tangerine Dream und 'Coldwater Canyon', und mündet in einer temporeichen Jagd, die er sich mit Ron liefert. Atempausen gibt es bei Ron eben eher selten, aber eine kurze muss zu Beginn vom dritten Titel doch schon sein. Was hören wir da von Frank? Das klingt doch deutlich nach 'To France', und er macht wieder einmal seinem Ruf alle Ehre, der beste Mike Oldfield neben dem Original zu sein. Das ist einen dicken Zwischenapplaus wert, so dass das Trio danach erst einmal wieder neu ansetzen muss.
Waren wir eben noch mit 'Coldwater Canyon' in den 70ern, so erinnert dieser Einstieg an den Stil, den TD in den 80ern gepflegt hat. Mit Harold entwickelt er sich zu einem fast ekstatischen Höhepunkt, und erst ein paar Glockenschläge setzten diesem Track ein dramatisches Ende. Zeit, sich wieder etwas auszuruhen? Ja, aber Ron verblüfft uns ein ums andere Mal. Fast nahtlos lässt er darauf etwas folgen, was genauso gut in ein Enya-Konzert passen würde. Will er uns in die Falle locken und uns mit dem Folgetitel gleich wieder aus den Träumen reißen?
Das kann schon sein, denn mit 'Acoustic Shadows' folgt ein echter Klassiker, der eigentlich in keinem Boots-Konzert fehlen darf. Neulich in Best hat es dabei so richtig gekracht. Hier in der Höhle ist der Wechsel nicht ganz so hart, und auch die Gitarre ist dieses Mal etwas feiner und sanfter. Aber nichtsdestotrotz wird Ron seinem Spitznamen (siehe oben...) wieder einmal voll gerecht!
Zum Abschluss darf Frank noch einmal zeigen, dass er nicht nur den Oldfield 'drauf hat': Seine 'Shine on...' Variationen sind ebenso ein Klassiker, und werden hier und heute in aller epischer Breite gefeiert - so lang, das die eigentlich angekündigte Länge des zweiten Konzerts schon erfüllt wäre. Aber auch hier ist klar, dass noch nicht Schluss sein kann: "Wir machen eine Zugabe"...und holen die Leute zurück auf die Erde. In der Zugabe blitzt noch einmal der 'ambiente Boots' auf, einige Sounds erinnern mich an das, was er vor einigen Jahren unter dem Namen 'Derelict Thoughts' veröffentlicht hat. Dieses Album ist bisher (leider) ein Solitär geblieben, aber man soll die Hoffnung nicht aufgeben.
Worauf wir jedoch nicht nur hoffen, sondern setzen dürfen, ist eine Neuauflage des Höhlenkonzerts mit Axel Stupplich und Gästen im kommenden Jahr. Eine ausverkaufte Grotte ist das beste Argument dafür. Ein genauer Termin steht noch nicht fest, ebenso wenig wen Axel dann in die Höhle einladen wird. Ron hat er ja bei 'Hello 2024' gewinnen können, also dieses Mal...? Aber warten wir einfach ab, die Ankündigung wird irgendwann im Frühjahr kommen. Und auch dann wird man wieder den Ticket-Erwerb nicht auf die lange Bank schieben dürfen. Denn die Dechenhöhle bietet dieser Musik einen einfach einzigartigen Raum. In diesem Sinne: Man sieht sich wieder im Spätherbst 2025 - in Iserlohn!
Alfred Arnold