Es ist Anfang Dezember, das Fest der Liebe wirft seine Schatten voraus, und die erste Kerze auf dem Adventskranz verbreitet wohlige Wärme. Aber einen Tag, bevor wir eine weitere hinzufügen dürfen, ist es an der Zeit für den Schallwende-Verein, ein kleines Highlight in das ansonsten so trübe und noch gar nicht weihnachtliche Spätherbst-Wetter zu setzen: Das alljährliche EM-Breakfast, eine Verbindung von Brunch und Live-Musik. Die Besucher können bei belegten Brötchen, Rührei und Nachspeise elektronische Klänge genießen, und sich dabei auch zwanglos unterhalten.
Ein solches Szenario ist auf der anderen Seite für den Musiker ungewöhnlich, steht sein Auftritt für die Besucher nicht immer im Mittelpunkt, sondern wird streckenweise eher als 'Begleitung' wahrgenommen. Nicht jeder Künstler kann sich mit so einer Situation arrangieren, das ist bei der Auswahl des Acts zu berücksichtigen. In diesem Jahr konnte der Vereinsvorsitzende Klaus-Ulrich Sommerfeld einen Musiker gewinnen, der mit dieser Situation vertraut sein dürfte: Frank Tischer, seines Zeichens Vollblutmusiker, spielt unter anderem auch auf Kreuzfahrten, und genießt dort auch nicht immer die volle Aufmerksamkeit der Gäste, die er durchweg verdienen würde.
Auch wenn die Veranstaltung auf den Namen 'Breakfast' hört, ist es doch eher ein Brunch, der erst um 10.30 Uhr beginnt. Das ist gut für die Besucher, die nicht in Bochum und Umgebung wohnen und eine etwas weitere Anreise haben. Weit genug war es allemal für Frank: Alleine die Fahrtzeit aus dem hessischen Fulda beträgt über drei Stunden und sein Tag hat heute um fünf Uhr begonnen. Ganz so früh musste ich in Aachen nicht aufstehen, aber so kurz nach acht musste ich mich schon auf den Weg machen, um mit etwas Reserve das Gasthaus Goeke zu erreichen.
Das Wetter soll am Vortag stürmisch gewesen sein, und reichlich abgebrochenes Geäst auf den Straßen zeugt noch davon. Der Wind hat wieder abgeflaut, aber angenehm ist es draußen immer noch nicht. Also direkt hinein in die gute Stube, wo auch schon eifrig gewerkelt wird. Die erste Überraschung: Frank hat sein Setup - neben ein paar Keyboards auch ein Modularsystem - nicht auf der Bühne aufgebaut, sondern davor, quasi auf Augenhöhe mit dem Publikum. Die im Vergleich zum Vorjahr etwas niedrigere Zahl der Anmeldungen gestattete so einen Aufbau. Warum es dieses Mal ein paar Besucher weniger sind? Darüber kann immer viel spekuliert werden. Ein Punkt ist sicher, dass die gerade in der Luft liegenden Viren für die eine oder andere Absage gesorgt haben.
Aber auch so wird der Raum voll genug, dass sich Anreise und Aufwand für Frank gelohnt haben. Den einen oder anderen der mitgebrachten Tonträger wird er dabei auch noch verkaufen - sie liegen bereits ausgebreitet auf einem der Tische. Und im Vorraum baut Lambert gerade seinen CD-Stand auf. Wer dort nichts findet - Stefan Erbe ist zwar heute nur Besucher, hat aber natürlich auch ein Köfferchen dabei. Einige Exemplare der Retrologica-Fan-Edition und der BlueRay von 'Genesys 2023' sind noch zu haben.
Zur angekündigten Zeit ist es an Klaus Sommerfeld, die Besucher zu begrüßen und die Veranstaltung zu eröffnen. Es ist übrigens das siebenundzwanzigste Breakfast seiner Art. Die Tradition wurde einzig vor ein paar Jahren durch Corona und Sylvias Tod unterbrochen. An Sylvia Sommerfelds Wirken und ihre Verdienste um den Verein und die EM kann gar nicht oft genug erinnert werden.
Jetzt aber zum heutigen Live-Act: Frank Tischer ist in der EM-Szene vor allem durch seine Konzerte im Radom auf der Wasserkuppe bekannt. Dieser Radom war einst als 'Hülle' für eine riesige Radarantenne vorgesehen, die vom Gipfel des Berges aus den Flugverkehr auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs beobachten sollte. Aber dann fiel selbiger, die Antenne wurde stattdessen in Berlin aufgestellt und das gerade fertig gestellte 'Gehäuse' war ohne Funktion. Irgendwann kam Frank auf die Idee, die ganz besondere Akustik in diesem Raum für Konzerte zu nutzen.
Hier bei Goeke ist die Akustik zwar eher 'normal', aber der Musiker hat - wie eingangs beschrieben - nicht stets die volle Aufmerksamkeit des Publikums. Parallel zum ersten Set eröffnet Klaus auch das Buffet, und die meisten haben Hunger mitgebracht. So wollen erst einmal die Teller mit Rührei, Schinken, Brötchen und Aufschnitt gefüllt werden. Während wir dafür im Vorraum anstehen, hören wir aus der Ferne, wie Frank mit eher sphärischen und ruhigen Sounds einsteigt. Als ich vom Buffet zurück bin, hat er bereits ein paar Sequenzen hinzu gefügt, die ihn als Schulze-Fan ausweisen. Das konnte man auch schon vorher an seinem Notebook erkennen: Das Cover der 'Irrlicht' dient als Desktop-Hintergrund.
Das soll aber jetzt nicht heißen, dass das Vorbild einfach nur nachgeahmt wird. Frank hat genug eigene Ideen, und genug andere Einflüsse aufgenommen, um daraus seinen ganz eigenen Weg zu entwickeln. Darüber gelegte melodische Parts lassen die Stimmung nicht allzu dunkel werden, und so werden die ersten zwanzig Minuten zu einer angenehm warmen Reminiszenz an frühere Jahrzehnte. Danach testet Frank etwas neues aus: Piano-Sounds gehen mit einer deutlich feineren Sequenz eine Melange ein. Ich sehe vor meinen geistigen Augen beinahe die Schneeflocken tanzen, die draußen bisher noch nicht vom Himmel fallen. Langsam erhöht Frank das Tempo und spannt dabei noch weitere Räume auf. Mir kommen Erinnerungen an 'Timewind', und damit liege ich wohl nicht ganz so verkehrt: Frank wird nach dem ersten Set verraten, dass selbiges Album damals für ihn die Tür zur EM aufgestoßen hat.
Der erste Hunger ist mittlerweile gestillt, und es wird im Saal auch etwas ruhiger. So kann Frank nun auch etwas leisere Passagen spielen, und setzt einen ersten Kontrapunkt: Statt Schulze kommen mir jetzt Assoziationen zu Vangelis. Aber auch hier: Nichts wird einfach nur nachgeahmt, sondern kreativ zu neuem verwoben.
Und mit diesen vielfältigen Eindrücken ist auch das erste Set bereits vorbei. Wie doch die Zeit vergeht! Frank erzählt im Nachgang, das dies ein Ausschnitt aus dem 'Dunkel-Programm' für das kommende Jahr im Radom sein wird. Im Radom hat er die Möglichkeit, die Beleuchtung komplett abzuschalten, so dass nur noch Tageslicht durch die Ritzen hinein dringt. Der zweite Teil wird etwas dynamischer werden, verspricht er. Aber einstweilen hat er sich jetzt auch sein Frühstück verdient.
Das ist auch Für Frank noch in voller Auswahl verfügbar, denn der Wirt legt nach, wenn einmal etwas knapp werden sollte - gerade die 'warmen Sachen' erfreuen sich zu Anfang großer Beliebtheit und müssen wieder aufgefüllt werden. Derart gestärkt, kann er jetzt auch die Wünsche nach signierten Alben an seinem eigenen CD-Stand erfüllen. Seine aktuelle Veröffentlichung 'Impulse' ist allerdings nur elektronisch erhältlich, zum Beispiel bei Bandcamp. Der Erwerb von digitalen Alben auf dieser Seite sei hier empfohlen, denn im Gegensatz zu Spotify kommt dort der größere Teil des Geldes bei den Künstlern auch an.
Eine knappe halbe Stunde nach dem Ende des ersten Sets greift Klaus Sommerfeld wieder zum Mikrofon und kündigt den zweiten Teil an. Bevor der beginnt, möchte Frank noch ein wenig zu sich erzählen: Er passt selber in keine musikalische Schublade, er liebt einfach die Musik, egal ob es Bach oder Schulze ist. Und gerade diese Breite erlaubt es ihm auch, auf Kreuzfahrten ein Programm zu spielen, wo für Alle etwas dabei ist. Der Vorteil auf so einer Kreuzfahrt, wie er erzählt: Dort wird von ihm lediglich erwartet, dass er um 16 Uhr rasiert und im Anzug erscheint. Der Flügel ist fertig aufgebaut, er muss sich nur daran setzen. Heute war es eher umgekehrt...
Im zweiten Set knüpft Frank zu Beginn an den ersten Teil an. Liebliche und zarte Sounds dominieren den Einstieg, bis nach wenigen Minuten der Rhythmus einsteigt - wir sind jetzt quasi von 'Timewind' zu 'Moondawn' weiter gereist. Aber auch hier verweilt Frank nicht lange. Er entwickelt das Thema nach und nach in Richtung Jazz und Soul weiter, wenn er seine Improvisationen über die Sequenzen legt. Man sieht dabei auch schon an Franks Gesichtsausdruck, wie wohl er sich dabei fühlt und 'im Tunnel' ist.
Aber auch die Zeit auf so einem Breakfast ist endlich, und Frank möchte gerne auch noch ein paar weitere Seiten seines Schaffens präsentieren. So fällt der nächste Übergang eher abrupt aus, und es wird beinahe bombastisch - das könnte auch Filmmusik sein. Den dazu passenden Film müssen wir uns einstweilen selber ausdenken. Viel Zeit bleibt aber auch dafür nicht, denn ist auch schon die Zeit fürs Finale. 'Timestream 24' von Franks aktuellem Album 'Impulse' erinnert mit dem Titel und dem Ticken der Uhr zu Anfang an die unaufhaltsam fortschreitende Zeit. Es wandelt sich aber zu einer wunderbar schwungvollen und melodischen Abschluss-Nummer, bei der Frank noch einmal zeigen kann, was alles an musikalischer Virtuosität in ihm steckt. So wird das diesjährige EM-Breakfast sicher Allen in bester Erinnerung bleiben.
Aber der Blick geht natürlich auch in die Zukunft, wenn Klaus Sommerfeld in seinen finalen Worten auf das hinweist, was noch kommt: In wenigen Tagen beginnen die Wahlen für die Schallwelle-Preise, und einen Tag vor Silvester wäre da natürlich noch 'Hello', der traditionelle Jahresabschluss im Planetarium Bochum. Karten sind dafür noch zu haben, und der diesjährige Gast - Wolfram Spyra mit seiner Frau Roksana Vikaluk - hat versprochen, ein brandneues Album mitzubringen.
All diese schönen Events wären natürlich nicht ohne den Einsatz unseres Vorsitzenden Klaus Sommerfeld möglich. Wie viel Zeit die Planung und Organisation verschlingt, bekommt man als 'Außenstehender' ja kaum mit. Sich selber für etwas zu loben, das geht natürlich nicht so recht, und so übernimmt Andreas Pawlowski, der zweite Vorsitzende, die Aufgabe, dafür noch einmal einen Extra-Applaus einzufordern.
Und nein, das diesjährige EM-Breakfast ist noch nicht ganz zu Ende. Franks Auftritt hat so gut gefallen, dass wir ihn nicht ohne eine Zugabe ziehen lassen. In der zelebriert Frank noch einmal das ganze Spektrum seines Oeuvres, inklusive eines schönen Solos. Und das, was eigentlich als Breakfast gedacht ist, reicht doch wieder bis in den frühen Nachmittag hinein. Frank muss noch abbauen und wird sich auf den Heimweg ins hessische machen - ihm gilt unser Dank, dass er heute morgen so früh aufgestanden ist. Was wir mit dem Rest des Tages anfangen? Da gibt es zur Adventszeit viele Optionen: Weihnachtsmarkt, noch ein paar Geschenke einkaufen, einem Tannenbaum besorgen...oder in der Gegend bleiben und heute Abend ein weiteres EM-Event besuchen. Aber das ist Stoff für einen anderen Bericht!
Was auch immer man am heutigen Tag noch vor hat, eines sollte man tun: sich schon einmal den Samstag vor dem zweiten Advent in 2025 reservieren. Auch dann wird aller Voraussicht nach der Schallwende-Verein wieder zum EM-Breakfast einladen. Wer dazu spielen wird? Das wird man zu gegebener Zeit erfahren. Für den Moment aber noch eine schöne Adventszeit 2024!
Alfred Arnold